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Wir gingen an jenem Abende später auseinander als gewöhnlich.

Am anderen Morgen, als ich aufgestanden war und das beginnende Licht einen Ausblick durch die Fenster gestattete, sah ich frischen Schnee über alle Gefilde ausgebreitet, und in dichten Flocken, die um das Glas der Fenster spielten, fiel er noch immer von dem Himmel herunter. Der Wind hatte etwas nachgelassen, die Kälte mußte gestiegen sein.

Wir machten an diesem Tage alle zusammen einen ziemlich großen Spaziergang. Im Garten wurde herumgegangen, ob etwas zu richten sei, die Gewächshäuser wurden besucht, in dem Meierhofe wurde nachgesehen und Abends wurde in dem Buche, welches von der Seidenweberei handelte, weiter gelesen. Der Schneefall hatte bis in die Dämmerung gedauert, dann kamen heitere Stellen an dem Himmel zum Vorscheine.

Wie diese zwei Tage vergangen waren, so vergingen nun mehrere, und mein Gastfreund begann nicht, seine Mitteilungen, welche er versprochen hatte, zu machen. Wir hatten außer der Zeit, die jeder in seiner Wohnung bei seinen Arbeiten zubrachte, manche Gänge durch die Gegend gemacht, was um so angenehmer war, als nach den stürmischen Tagen bei meiner Ankunft sich heiteres, stilles und kaltes Wetter eingestellt hatte. Ich war zu mancher Zeit in der Gesellschaft meines Gastfreundes, ich sah ihm zu, wenn er seine Vögel vor dem Fenster fütterte oder wenn er für Ernährung der Hasen außerhalb der Grenze seines Gartens sorgte, was des tiefen Schnees willen, der gefallen war, doppelt notwendig wurde, wir hatten weitere Fahrten in dem Schlitten gemacht, um Nachbarn zu besuchen, Manches zu besprechen oder die freie Luft und die Bewegung zu genießen, einmal war ich mit meinem Gastfreunde zu einer Brücke gefahren, die er mit mehreren Männern beschauen sollte, weil man vorhatte, sie im Frühlinge neu zu bauen — man hatte meinen Gastfreund nicht verschont und ihn mit Gemeindeämtern betraut —, mehrere Male waren wir in verschiedenen Teilen der Wälder gewesen, um bei dem Fällen der Hölzer nachzusehen, welche zum Bauen und zur Verarbeitung in dem Schreinerhause verwendet werden sollten, welche Fällung in dieser Jahreszeit vor sich gehen mußte; wir waren auch einmal im Inghofe gewesen und hatten die dortigen Gewächshäuser besehen. Der Hausverwalter und der Gärtner hatten uns bereitwillig und freundlich herum geführt. Der Herr des Besitztums war mit seiner Familie in der Stadt.

Eines Tages kam mein Gastfreund in meine Wohnung, was er öfter tat, teils um mich zu besuchen, teils um nach zu sehen, ob es mir nicht an etwas Notwendigem gebreche. Nachdem das Gespräch über verschiedene Dinge eine Weile gedauert hatte, sagte er: »Ihr werdet wohl wissen, daß ich der Freiherr von Risach bin.«

»Lange wußte ich es nicht«, antwortete ich, »jetzt weiß ich es schon eine geraume Zeit.«

»Habt Ihr nie gefragt?«

»Ich habe nach der ersten Nacht, die ich in eurem Hause zugebracht habe, einen Bauersmann gefragt, welcher mir die Antwort gab, Ihr seiet der Aspermeier. An demselben Tage forschte ich auch in weiterer Entfernung, ohne etwas Genaues zu erfahren. Später habe ich nie mehr gefragt.«

»Und warum habt Ihr denn nie gefragt?«

»Ihr habt euch mir nicht genannt; daraus schloß ich, daß ihr nicht für nötig hieltet, mir euren Namen zu sagen, und daraus zog ich für mich die Maßregel, daß ich euch nicht fragen dürfe, und wenn ich euch nicht fragen durfte, durfte ich es auch einen andern nicht.«

»Man nennt mich hier in der ganzen Gegend den Asperherrn«, antwortete er, »weil es bei uns gebräuchlich ist, den Besitzer eines Gutes nach dem Gute, nicht nach seiner Familie zu benennen. Jener Name erbt in Hinsicht aller Besitzer bei dem Volke fort, dieser ändert sich bei einer Änderung des Besitzstandes, und da mußte das Volk stets wieder einen neuen Namen erlernen, wozu es viel zu beharrend ist. Einige Landleute nennen mich auch den Aspermeier, wie mein Vorgänger geheißen hat.«

»Ich habe einmal zufällig euren richtigen Namen nennen gehört«, sagte ich.

»Ihr werdet dann auch wissen, daß ich in Staatsdiensten gestanden bin«, erwiderte er.

»Ich weiß es«, sagte ich.

»Ich war für dieselben nicht geeignet«, antwortete er.

»Dann sagt Ihr etwas, dem alle Leute, die ich bisher über Euch gehört habe, widersprechen. Sie loben eure Staatslaufbahn insgesammt«, erwiderte ich.

»Sie sehen vielleicht auf einige einzelne Ergebnisse«, antwortete er, »aber sie wissen nicht, mit welchem Ungemache des Entstehens diese aus meinem Herzen gekommen sind. Sie können auch nicht wissen, wie die Ergebnisse geworden wären, wenn ein Anderer von gleicher Begabung, aber von größerer Gemütseignung für den Staatsdienst, oder wenn gar einer von auch noch größerer Begabung sie gefördert hätte.«

»Das kann man von jedem Dinge sagen«, erwiderte ich.

»Man kann es«, antwortete er, »dann soll man aber das, was nicht gerade mißlungen ist, auch nicht sogleich loben. Hört mich an. Der Staatsdienst oder der Dienst des allgemeinen Wesens überhaupt, wie er sich bis heute entwickelt hat, umfaßt eine große Zahl von Personen. Zu diesem Dienste wird auch von den Gesetzen eine gewisse Ausbildung und ein gewisser Stufengang in Erlangung dieser Ausbildung gefordert und muß gefordert werden. Je nachdem nun die Hoffnung vorhanden ist, daß einer nach Vollendung der geforderten Ausbildung und ihres Stufenganges sogleich im Staatsdienste Beschäftigung finden und daß er in einer entsprechenden Zeit in jene höheren Stellen empor rücken werde, welche einer Familie einen anständigen Unterhalt gewähren, widmen sich mehr oder wenigere Jünglinge der Staatslaufbahn. Aus der Zahl derer, welche mit gutem Erfolge den vorgeschriebenen Bildungsweg zurückgelegt haben, wählt der Staat seine Diener und muß sie im Ganzen daraus wählen. Es ist wohl kein Zweifel, daß auch außerhalb dieses Kreises Männer von Begabung für den Staatsdienst sind, von großer Begabung, ja von außerordentlicher Begabung; aber der Staat kann sie, jene ungewöhnlichen Fälle abgerechnet, wo ihre Begabung durch besondere Zufälle zur Erscheinung gelangt und mit dem Staate in Wechselwirkung gerät, nicht wählen, weil er sie nicht kennt und weil das Wählen ohne nähere Kenntnis und ohne die vorliegende Gewähr der erlangten vorgeschriebenen Ausbildung Gefahr drohte und Verwirrung und Mißleitung in die Geschäfte bringen könnte. Wie nun diejenigen, welche die Vorbereitungsjahre zurückgelegt haben, beschaffen sind, so muß sie der Staat nehmen. Oft sind selbst große Begabungen in größerer Zahl darunter, oft sind sie in geringerer, oft ist im Durchschnitte nur Gewöhnlichkeit vorhanden. Auf diese Beschaffenheit seines Personenstoffes mußte nun der Staat die Einrichtung seines Dienstes gründen. Der Sachstoff dieses Dienstes mußte eine Fassung bekommen, die es möglich macht, daß die zur Erreichung des Staatszweckes nötigen Geschäfte fortgehen und keinen Abbruch und keine wesentliche Schwächung erleiden, wenn bessere oder geringere einzelne Kräfte abwechselnd auf die einzelnen Stellen gelangen, in denen sie tätig sind. Ich könnte ein Beispiel gebrauchen und sagen, jene Uhr wäre die vortrefflichste, welche so gebaut wäre, daß sie richtig ginge, wenn auch ihre Teile verändert würden, schlechtere an die Stelle besserer, bessere an die Stelle schlechterer kämen. Aber eine solche Uhr dürfte kaum möglich sein. Der Staatsdienst mußte sich aber so möglich machen oder sich nach der Entwicklung, die er heute erlangt hat, aufgeben. Es ist nun einleuchtend, daß die Fassung des Dienstes eine strenge sein muß, daß es nicht erlaubt sein könne, daß ein Einzelner den Dienstesinhalt in einer andern Fassung als in der vorgeschriebenen anstrebe, ja daß sogar mit Rücksicht auf die Zusammenhaltung des Ganzen ein Einzelnes minder gut verrichtet werden muß, als man es, von seinem Standpunkte allein betrachtet, tun könnte. Die Eignung zum Staatsdienste von Seite des Gemütes, abgesehen von den andern Fähigkeiten, besteht nun auch in wesentlichen Teilen darin, daß man entweder das Einzelne mit Eifer zu tun im Stande ist, ohne dessen Zusammenhang mit dem großen Ganzen zu kennen, oder daß man Scharfsinn genug hat, den Zusammenhang des Einzelnen mit dem Ganzen zum Wohle und Zwecke des Allgemeinen einzusehen und daß man dann dieses Einzelne mit Lust und Begeisterung vollführt. Das letztere tut der eigentliche Staatsmann, das erste der sogenannte gute Staatsdiener. Ich war keins von beiden. Ich hatte von Kindheit an, freilich ohne es damals oder in den Jugendjahren zu wissen, zwei Eigenschaften, die dem Gesagten geradezu entgegen standen. Ich war erstens gerne der Herr meiner Handlungen. Ich entwarf gerne das Bild dessen, was ich tun sollte, selbst und vollführte es auch gerne mit meiner alleinigen Kraft. Daraus folgte, daß ich schon als Kind, wie meine Mutter erzählte, eine Speise, ein Spielzeug und dergleichen lieber nahm als mir geben ließ, daß ich gegen Hilfe widerspenstig war, daß man mich als Knaben und Jüngling ungehorsam und eigensinnig nannte, und daß man in meinen Männerjahren mir Starrsinn vorwarf. Das hinderte aber nicht, daß ich dort, wo mir ein Fremdes durch Gründe und hohe Triebfedern unterstützt gegeben wurde, dasselbe als mein Eigenes aufnahm und mit der tiefsten Begeisterung durchführte. Das habe ich einmal in meinem Leben gegen meine stärkste Neigung, die ich hatte, getan, um der Ehre und der Pflicht zu genügen. Ich werde es euch später erzählen. Daraus folgt, daß ich eigensinnig in der Bedeutung des Wortes, wie man es gewöhnlich nimmt, nicht gewesen bin und es auch im Alter, in dem man überhaupt immer milder wird, gewiß nicht bin. Eine zweite Eigenschaft von mir war, daß ich sehr gerne die Erfolge meiner Handlungen abgesondert von jedem Fremdartigen vor mir haben wollte, um klar den Zusammenhang des Gewollten und Gewirkten überschauen und mein Tun für die Zukunft regeln zu können. Eine Handlung, die nur gesetzt wird, um einer Vorschrift zu genügen oder eine Fassung zu vollenden, konnte mir Pein erregen. Daraus folgte, daß ich Taten, deren letzter Zweck ferne lag oder mir nicht deutlich war, nur lässig zu vollführen geneigt war, während ich Handlungen, wenn ihr Ziel auch sehr schwer und nur durch viele Mittelglieder zu erreichen war, mit Eifer und Lust zu Ende führte, sobald ich mir nur den Hauptzweck und die Mittelzwecke deutlich machen und mir aneignen konnte. Im ersten Falle vermochte ich es mir nur durch die Vorstellung, daß der Zweck wenn auch dunkel, doch ein hoher sei, abzuringen, daß ich mit aller Kraft an das Werk ging, wobei ich aber immer zum Eilen geneigt war, weshalb man mich auch ungeduldig schalt: im zweiten Falle gingen die Kräfte von selber an das Werk, und es wurde mit der größten Ausdauer und mit Verwendung aller gegebenen Zeit zu Stande gebracht, weshalb man mich auch wieder hartnäckig nannte. Ihr werdet in diesem Hause Dinge gesehen haben, aus denen euch klar geworden ist, daß ich Zwecke auch mit großer Geduld verfolgen kann. Sonderbar ist es überhaupt und dürfte von größerer Bedeutung sein, als man ahnt, daß mit dem zunehmenden Alter die Weitaussichtigkeit der Pläne wächst, man denkt an Dinge, die unabsehliche Strecken jenseits alles Lebenszieles liegen, was man in der Jugend nicht tut, und das Alter setzt mehr Bäume und baut mehr Häuser als die Jugend. Ihr seht, daß mir zwei Hauptdinge zum Staatsdiener fehlen, das Geschick zum Gehorchen, was eine Grundbedingung jeder Gliederung von Personen und Sachen ist, und das Geschick zu einer tätigen Einreihung in ein Ganzes und kräftiger Arbeit für Zwecke, die außer dem Gesichtskreise liegen, was nicht minder eine Grundbedingung für jede Gliederung ist. Ich wollte immer am Grundsätzlichen ändern und die Pfeiler verbessern, statt in einem Gegebenen nach Kräften vorzugehen, ich wollte die Zwecke allein entwerfen und wollte jede Sache so tun, wie sie für sich am besten ist, ohne auf das Ganze zu sehen und ohne zu beachten, ob nicht durch mein Vorgehen anderswo eine Lücke gerissen werde, die mehr schadet als mein Erfolg nützt. Ich wurde, da ich noch kaum mehr als ein Knabe war, in meine Laufbahn geführt, ohne daß ich sie und mich kannte, und ich ging in derselben fort, so weit ich konnte, weil ich einmal in ihr war und mich schämte, meine Pflicht nicht zu tun. Wenn einiges Gute durch mich zu Stande kam, so rührt es daher, daß ich einerseits in Betrachtung meines Amtes und seiner Gebote meinen Kräften eine mögliche Tätigkeit abrang und daß andererseits die Zeitereignisse solche Aufgaben herbei führten, bei denen ich die Pläne des Handelns entwerfen und selber durchführen konnte. Wie tief aber mein Wesen litt, wenn ich in Arten des Handelns, die seiner Natur entgegengesetzt sind, begriffen war, das kann ich euch jetzt kaum ausdrücken, noch wäre ich damals im Stande gewesen, es auszudrücken. Mir fiel in jener Zeit immer und unabweislich die Vergleichung ein, wenn etwas, das Flossen hat, fliegen, und etwas, das Flügel hat, schwimmen muß. Ich legte deshalb in einem gewissen Lebensalter meine Ämter nieder. Wenn ihr fragt, ob es denn notwendig sei, daß sich in der Gliederung des Staatsdienstes eine so große Anzahl von Personen befinde, und ob man nicht einen Teil der allgemeinen Geschäfte, wie sie jetzt sind, zu besonderen Geschäften machen und sie besonderen Körperschaften oder Personen, die sie hauptsächlich angehen, überlassen könnte, wodurch eine größere Übersicht in den Staatsdienst käme und wodurch es möglich würde, daß sich hervorragende Begabungen mehr im Entwerfen und Vollführen von Plänen zu allgemeinem Besten geltend machen könnten: so antworte ich: diese Frage ist allerdings eine wichtige und ihre richtige Beantwortung von der größten Bedeutung; aber eben die richtige Beantwortung in allen ihren Einzelnheiten dürfte eine der schwersten Aufgaben sein, und ich getraue mir nicht, von mir zu behaupten, daß ich diese richtige Beantwortung zu geben im Stande wäre. Auch liegt dieser Gegenstand unserem heutigen Gespräche zu ferne, und wir können ein anderes Mal von ihm reden, so weit wir im Urteile über ihn zu kommen vermögen. Das ist gewiß: wenn auch im gegenwärtigen Staatsdienste Veränderungen notwendig sein sollten, und wenn die Veränderungen in dem früher angeführten Sinne vor sich gehen werden, so hat der gegenwärtige Zustand doch in den allgemeinen Umwandlungen, denen der Staat so wie jedes menschliche Ding und die Erde selbst unterworfen ist, sein Recht, er ist ein Glied der Kette und wird seinem Nachfolger so weichen, wie er selber aus seinem Vorläufer hervor gegangen ist. Wir haben schon vielmal über Lebensberuf gesprochen, und daß es so schwer ist, seine Kräfte zu einer Zeit zu kennen, in welcher man ihnen ihre Richtung vorzeichnen, das heißt, einen Lebensweg wählen muß. Wir hatten bei unsern Gesprächen hauptsächlich die Kunst im Auge, aber auch von jeder andern Lebensbeschäftigung gilt dasselbe. Selten sind die Kräfte so groß, daß sie sich der Betrachtung aufdrängen und die Angehörigen eines jungen Menschen zur Ergreifung des rechten Gegenstandes für ihn führen, oder daß sie selber mit großer Gewalt ihren Gegenstand ergreifen. Ich hatte außer den Eigenschaften meines Geistes, die ich euch eben darlegte, noch eine besondere, deren Wesenheit ich erst sehr spät erkannte. Von Kindheit an hatte ich einen Trieb zur Hervorbringung von Dingen, die sinnlich wahrnehmbar sind. Bloße Beziehungen und Verhältnisse sowie die Abziehung von Begriffen hatten für mich wenig Wert, ich konnte sie in die Versammlung der Wesen meines Hauptes nicht einreihen. Da ich noch klein war, legte ich allerlei Dinge aneinander und gab dem so Entstandenen den Namen einer Ortschaft,