»Ich zog mich nun noch mehr zurück, und mein Leben war sehr trübe. Ich zeichnete viel, ich bildete zuweilen auch etwas in Ton und suchte sogar manches in Farben darzustellen. Nach einiger Zeit kam mir von befreundeter Hand der Antrag, daß ich bei einer gebildeten und wohlhabenden Familie wohnen möchte, daß ich einen Teil des Unterrichtes eines Knaben, der in der Familie sei, gegen vorteilhafte Bedingungen übernehmen möchte, worunter auch die war, daß ich nicht gebunden sei, daß ich öfter abwesend sein und zum Teile sogar kleine Reisen machen könne. In der Verödung, in der ich mich befand, hatte die Aussicht auf ein Familienleben eine Art Anziehung für mich, und ich nahm den Antrag unter der Bedingung an, daß ich die Freiheit haben müsse, in jedem Augenblicke das Verhältnis wieder auflösen zu können. Die Bedingung wurde zugestanden, ich packte meine Sachen, und nach drei Tagen fuhr ich in der Richtung nach dem Landsitze der Familie ab. Dieser Sitz war ein angenehmes Haus in der Nähe großer Meiereien, die einem Grafen gehörten. Das Haus war beinahe zwei Tagereisen von der Stadt entfernt. Es war sehr geräumig, hatte eine sonnige Lage, liebliche Rasenplätze um sich und hing mit einem großen Garten zusammen, in dem teils Gemüse, teils Obst, teils Blumen gezogen wurden. Der Besitzer des Hauses war ein Mann, der von reichlichen Renten lebte, sonst aber kein Amt noch irgend eine andere Beschäftigung zum Gelderwerb hatte. So war er mir geschildert worden, mit dem Beifügen, daß er ein sehr guter Mann sei, mit dem sich jedermann vertrage, daß er eine treffliche, sorgsame Frau habe und daß außer dem Knaben nur noch ein halberwachsenes Mädchen da sei. Diese Dinge waren es auch vorzüglich, welche mich zur Annahme bestimmt hatten. Mein Name sei der Familie in einem Hause genannt worden, mit dem sie in sehr inniger Beziehung stand, und ich sei sehr empfohlen worden. Man hatte mir auf die letzte Post einen Wagen entgegen gesandt. Es war ein schöner Nachmittag, als ich in Heinbach, das war der Name des Hauses, einfuhr. Wir hielten unter einem hohen Torwege, zwei Diener kamen die Treppe herab, um meine Sachen in Empfang zu nehmen und mir mein Zimmer zu zeigen. Als ich noch im Wagen mit Herausnehmen von ein paar Büchern und andern Kleinigkeiten beschäftigt war, kam auch der Herr des Hauses herunter, begrüßte mich artig und führte mich selber in meine Wohnung, die aus zwei freundlichen Zimmern bestand. Er sagte, ich möge mich hier zurecht richten, möge hiebei nur meine Bequemlichkeit vor Augen haben, ein Diener sei angewiesen, meine Befehle zu vollziehen, und wenn ich fertig sei und etwa heute noch wünsche, mit seiner Gattin zu sprechen, so möge ich klingeln, der Diener werde mich zu ihr führen. Hierauf verließ er mich unter höflichem Abschiede. Der Mann gefiel mir sehr wohl. Ich entledigte mich meiner staubigen Kleider, reinigte mich, legte nur das Notwendigste in meinem Zimmer in Ordnung, kleidete mich dann besuchsgemäß an und ließ die Frau des Hauses fragen, ob ich bei ihr erscheinen dürfe. Sie sendete eine bejahende Antwort. Ich wurde über einen Gang geführt, in welchem allerlei Bilder hingen, wir traten in einen Vorsaal und von dem in das Zimmer der Frau. Es war ein großes Zimmer mit drei Fenstern, an welches ein niedliches Gemach stieß. In diesem Zimmer waren heitere Geräte, einige Bilder, und die Nachmittagssonne war durch sanfte Vorhänge gedämpft. Die Frau saß an einem großen Tische, zu ihren Füßen spielte ein Knabe, und seitwärts an einem kleinen Tischchen saß ein Mädchen und hatte ein Buch vor sich. Es schien, es habe vorgelesen. Die Frau stand auf und ging mir entgegen. Sie war sehr schön, noch ziemlich jung, und was mir am meisten auffiel war, daß sie sehr schöne braune Haare, aber tief dunkle, große schwarze Augen hatte. Ich erschrak ein wenig, wußte aber nicht warum. Mit einer Freundlichkeit, die mein Zutrauen gewann, hieß sie mich einen Platz nehmen, und als ich dies getan hatte, nannte sie meinen Vor- und Familiennamen, hieß mich beinahe herzlich willkommen und sagte, daß sie sich schon sehr gesehnt habe, mich unter ihrem Dache zu sehen.«
»›Alfred‹, rief sie, ›komm und küsse diesem Herrn die Hand!‹«
»Der Knabe, welcher bisher neben ihr gespielt hatte, stand auf, trat vor mich, küßte mir die Hand und sagte: ›Sei willkommen!‹«
›Sei auch du willkommen‹, erwiderte ich und drückte ein wenig das Händchen des Knaben. Er hatte ein sehr rosiges Angesicht, ebenfalls braune Haare wie die Mutter, aber dunkelblaue Augen, wie ich sie an dem Vater gesehen zu haben glaubte.‹
›Das ist das Kind, dessentwegen ich euch so sehr in unser Haus gewünscht habe‹, sagte sie. ›Ihr sollt dasselbe weniger unterrichten, dazu sind Lehrer da, welche das Haus besuchen, sondern wir bitten euch, daß ihr bei uns lebet, daß ihr dem Knaben öfter eure Gesellschaft gönnt, daß er außer dem Umgange mit seinem Vater auch den eines jungen Mannes hat, was auf ihn Einfluß nehmen möge. Erziehung ist wohl nichts als Umgang, ein Knabe, selbst wenn er so klein ist, muß nicht immer mit seiner Mutter oder wieder nur mit Knaben umgehen. Der Unterricht ist viel leichter als die Erziehung. Zu ihm darf man nur etwas wissen und es mitteilen können, zur Erziehung muß man etwas sein. Wenn aber einmal jemand etwas ist, dann, glaube ich, erzieht er auch leicht. Meine Freundin Adele, die Gattin des Kaufherrn, dessen Warengewölbe dem großen Tore des Erzdomes gegenüber ist, hat mir von euch erzählt. Wenn ihr es für gut findet, den Knaben auch in irgend etwas zu unterrichten, so ist es eurem Ermessen überlassen, wie und wie weit ihr es tut.‹
»Ich konnte auf diese Worte nichts antworten; ich war sehr errötet.«
›Mathilde‹, sagte die Frau, ›begrüße auch diesen Herrn, er wird jetzt bei uns wohnen.‹
»Das Mädchen, welches immer bei seinem aufgeschlagenen Buche sitzen geblieben war, stand jetzt auf und näherte sich mir. Ich erstaunte, daß das Mädchen schon so groß sei, ich hatte es mir kleiner gedacht. Es war auf einem etwas niederen Stuhle gesessen. Da es in meine Nähe gekommen war, stand ich auf, wir verneigten uns gegen einander, Mathilde ging wieder zu ihrem Sitze, und ich nahm auch den meinigen wieder ein. Die Frau hatte wohl diese Begrüßung eingeleitet, um mein Erröten vorüber gehen zu machen. Es war auch zum großen Teile vorüber gegangen. Sie hatte eine Antwort auf ihre an mich gerichtete Rede auch wahrscheinlich nicht erwartet. Sie fragte mich jetzt um mehrere gleichgültige Dinge, die ich beantwortete. In meine näheren Verhältnisse oder etwa gar in die meiner Familie ging sie nicht ein. Nachdem die Unterredung eine Weile gedauert hatte, verabschiedete sie mich, sagte, ich möchte von der Reise etwas ausruhen, bei dem Abendessen würden wir uns wieder sehen. Der Knabe hatte während der ganzen Zeit meine Hand gehalten, war neben mir stehen geblieben und hatte öfter zu meinem Angesichte heraufgeschaut. Ich löste jetzt meine Hand aus der seinen, grüßte ihn noch, verneigte mich vor der Mutter und verließ das Zimmer.«
»Als ich in meiner Wohnung angekommen war, setzte ich mich auf einen der schönen Stühle nieder. Jetzt wußte ich, weshalb man mir so gute Bedingungen gestellt hatte und wie schwer meine Aufgabe war. Ich zagte. Das Benehmen der Frau hatte mir sehr gefallen, darum zagte ich noch mehr. Als ich eine Zeit auf meinem Stuhle gesessen war, erhob ich mich wieder, und es fiel mir ein, daß ich ja dem Herrn des Hauses auch einen Besuch zu machen habe. Ich klingelte und verlangte von dem eintretenden Diener, daß er mich zu dem Herrn führe. Der Diener antwortete, der Herr sei in den Wald gegangen und werde erst Abends zurückkehren. Er hatte den Befehl hinterlassen, daß man mir sage, ich möge nur meine Reisesachen auspacken, möge ausruhen und möge mir seinethalben keine Pflichten auflegen, morgen könne das Weitere besprochen werden. Ich legte daher die Kleider, welche ich zu dem Besuche bei der Frau genommen hatte, wieder ab, zog mich anders an und brachte meine Sachen nun in meiner Wohnung in Ordnung. Bei dieser Beschäftigung ging mir nach und nach der ganze Rest des noch übrigen Tages dahin. Als ich fertig war, dämmerte es bereits. Nachdem ich mich gereinigt und zum Abendessen angekleidet hatte, sagte mir mein Diener, daß sich der Herr, der schon nach Hause zurückgekehrt sei, zum Besuche bei mir melde. Ich sagte zu, der Herr kam und fragte, ob man in meiner Wohnung alles nach Gebühr vorbereitet habe und ob ich nichts vermisse. Ich antwortete, daß alles meine Erwartung übertreffe und daher ein weiteres Begehren die größte Unbescheidenheit wäre. Er sagte, daß er nun wünsche, daß mein Eintritt in sein Haus gesegnet sei, daß mein Aufenthalt darin erfreulich sein möge und daß ich es einst nicht mit Reue und Schmerz verlasse. Hierauf lud er mich zum Abendessen ein. Wir gingen in ein sehr heiteres Speisezimmer, in welchem ein einfaches Abendmahl unter einfachen Gesprächen eingenommen wurde. Bei demselben war der Herr, die Frau, die zwei Kinder und ich gegenwärtig.«