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»Obwohl es draußen sehr unwirtlich war, wenn man den äußerst freundlichen blauen Himmel abrechnet, so war es in dem Hause sehr heimisch. Alles war auf das Reinlichste geputzt und zu dem Empfange der Bewohner hergerichtet. Die Zimmer glänzten, die Fenster spiegelten, durch die Vorhänge schien eine helle Märzsonne herein und in den Kaminen brannte ein behagliches Feuer. Meine zwei Gemächer waren um ein sehr liebliches Eckzimmerchen vermehrt worden, und man hatte mir schönere und bequemere Geräte in meine Wohnung gestellt. Ich traf jetzt die Veranstaltung, daß die Tür von meiner Wohnung in Alfreds Zimmer immer offen war, daß beide Wohnungen eine bildeten und daß ich gleichsam neben einem jüngeren Bruder lebte. Hatte ich eine Arbeit vor, bei der eine Störung hindernd gewesen wäre, so ging ich in mein Eckzimmer.«

»Das Leben in dem Landhause begann jetzt wieder wie in dem vorigen Sommer. Wenn auch noch kein Laub auf den Bäumen war, wenn sich das Grün der Wiesen noch dürftig zeigte und auf den Feldern für die Sommerfrucht noch die nackte Scholle lag, so gingen wir doch schon vielfach spazieren. Alfred und ich gingen täglich, selbst wenn trübes Wetter war, nur nicht, wenn heftiger Regen von dem Himmel strömte. Wenn nach einem klaren Morgen, an dem wir noch die Erde und die Dächer weiß gesehen hatten, ein heiterer Tag kam und die Wege trocken waren, ging Mathilde mit uns, und wir führten sie auf Anhöhen oder Felder, wo wir kurz vorher die schönsten Triller der Lerchen gehört hatten. Diese Sänger waren die einzigen, die mit uns schon die Gegend bevölkerten.«

»Nach und nach wurde das Weiß auf Feld und Wiesen seltener, die Sonne schien kräftiger, das Feuer in den Kaminen war nicht mehr nötig, die Wiesen gewannen Grün, die Bäume Knospen und an den Zweigen der Lattenpfirsiche im Garten erschienen einzelne Blüten. Die Sänger der Luft erschienen in verschiedenen Gestalten und Farben. Wenn ich irgendwo Veilchen oder andere Frühlingsblumen fand, welche Mathilde nicht mit uns hatte pflücken können, so brachte ich sie ihr in einem Strauße für das Blumenglas ihres Tischchens nach Hause. Als Dank für solche Aufmerksamkeiten erhielt ich zu meinem Geburtsfeste, welches in die ersten Tage des Frühlings fiel, von ihrer Hand gestickt ein rundes Deckchen, worauf ein silberner Handleuchter, den mir Mathildens Mutter gab, zu stehen bestimmt war.«

»Der Frühling war endlich mit voller Pracht gekommen. Im vergangenen Jahre hatte ich ihn in dieser Gegend nicht gesehen, weil ich erst später angelangt war. Überhaupt hatte ich meines längern Stadtlebens willen schon lange nicht einen vollkommenen Frühling in der Tiefe des Landes erblickt. Nur an der Grenze des Landes, das heißt, wo es an die Stadt reicht, hatte ich den einen oder andere Frühlingstag zugebracht oder irgend einen Sonnenblick erlauscht. Das teilt man aber mit Vielen, die aus der Stadt hinaus kommen, und muß es im Gedränge und Staube genießen. In Heinbach war Einsamkeit und Stille, die blaue Luft schien unermeßlich, und die Blütenfülle wollte die Bäume erdrücken. Jeden Morgen strömte neue Würze durch die geöffneten Fenster. Man fühlte in Heinbach, wie sehr mich Ungewohnten dieser Reichtum überrasche und freue, und man suchte mir diese Freude auf jede Weise noch fühlbarer zu machen und sie zu erhöhen. Jeden Tag wurden die Blumen in meiner Wohnung durch neu aufgeblühte aus den Gewächshäusern ersetzt. Wenn in dem freien Grunde sich etwas zeigte, sei es ein Gesträuch, sei es eine Blume, so machte man mich darauf aufmerksam, man brachte den größten Teil der Zeit im Freien zu, und machte weit öfter und weit längere Spaziergänge als sonst. Mathilde erzählte mir es, wenn sie den Gesang eines Vogels gehört hatte, wenn Faltern vorüber geflogen waren, wenn sich ein Becher in einem Gebüsche geöffnet hatte, ja sie gab mir zuweilen Blumen, um sie in meiner Wohnung aufzubewahren.«

»So verging der Frühling, und der Sommer rückte vor. War mir das Leben im vergangenen Jahre in dieser Familie angenehm gewesen, so war es mir in diesem noch angenehmer. Wir gewöhnten uns immer mehr an einander, und mir war zuweilen, als hätte ich wieder eine unzerstörbare Heimat. Der Herr des Hauses zeichnete mich aus, er besuchte mich oft in meiner Wohnung und sprach lange mit mir, er lud mich zu sich, zeigte mir seine Sammlungen, seine Arbeiten und sprach über Gegenstände, die bewiesen, daß er mich auch achte. Mathildens Mutter war sehr liebreich, freundlich und gütig. Sie sorgte wie früher für mich; aber sie tat es einfacher und fast wie ein Ding, das sich von selber verstehe. Wir waren oft alle in ihrem Zimmer und spielten ein kindisches Spiel oder trieben Musik. Alfred hatte gleich Anfangs schon viel Zutrauen zu mir gezeigt, dieses Zutrauen war immer gewachsen und war dann unbedingt geworden. Er war ein vortrefflicher Knabe, offen, klar, einfach, gutmütig, lebendig, ohne doch einem heftigen Zorne anheimzufallen, heiter, unschuldig und folgsam. Er war jetzt gegen neun Jahre alt, entwickelte sich stets fröhlicher und gewann am Geiste sowie am Körper. Mathilde wurde immer herrlicher, sie war zuletzt feiner als die Rosen an dem Gartenhause, zu denen wir sehr gerne gingen. Ich liebte beide Kinder unsäglich. Wenn Alfred Unterrichtsstunde hatte, war ich dabei und leitete und überwachte sie, ich überwachte sein Lernen und fragte ihn immer um das Gelernte, damit er sich bei dem Lehrer keine Blöße gebe. Die Gegenstände, die ich mit ihm vornahm, vermehrte ich ansehnlich, ich suchte sie ihm recht gut beizubringen, und er lernte sie auch besser als früher bei andern Lehrern. Vater und Mutter waren oft bei dem Unterrichte zugegen und überzeugten sich von den Fortschritten. Mathilde nahm ich nicht nur sehr gerne, sondern viel lieber als früher zu unsern Spaziergängen mit. Ich sprach mit ihr, ich erzählte ihr, ich zeigte ihr Gegenstände, die an unserm Wege waren, hörte ihre Fragen, ihre Erzählungen und beantwortete sie. Bei rauhen Wegen oder wo Nässe zu befürchten war, zeigte ich ihr die besseren Stellen oder die Richtungen, auf denen man trockenen Fußes gehen konnte. Zu Hause nahm ich an ihren Bestrebungen Anteil. Ich sah öfter ihre Zeichnungen an und gab ihr einen Rat, den sie sehr gerne verlangte und befolgte. Sie freute sich sehr, wenn das Veränderte dann viel besser aussah. Ich war dabei, wenn sie auf dem Claviere spielte, und hörte zu, so lange ihre Finger aus den Saiten die Töne hervor zu locken suchten. Ich schrieb ihr in Hefte sehr zierlich ab, wenn sie irgendwo einen Gesang hörte und sich denselben aus dem Gedächtnisse in Musiknoten aufschrieb. Dies war besonders in Hinsicht der Zither der Fall, die sie spielen zu lernen angefangen hatte, die sie sehr liebte und auf der sie bedeutende Fortschritte machte. Oft hörte die Mutter Mathildens mit Aufmerksamkeit zu, wenn sie anmutige Weisen aus den Metallsaiten hervorbrachte, und ich und Alfred regten uns nicht und lauschten. Ich las ihr und der Mutter aus ihren Büchern vor und bezeichnete schöne Stellen durch eingelegte Zeichen. Auch Blumen, Waldfrüchte und dergleichen brachte ich ihr, wenn ich dachte, daß sie ihr Freude machen könnten.«