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›Verehrte Frau‹, sagte ich nach einer Weile, ›es ist nicht nötig, daß ich euch morgen oder in diesen Tagen antworte; ich kann es jetzt sogleich. Was ihr mir an Gründen gesagt habt, wird sehr richtig sein, ich glaube, daß es wirklich so ist, wie ihr sagt; allein mein ganzes Innere kämpft dagegen, und wenn das Gesagte noch so wahr ist, so vermag ich es nicht zu fassen. Erlaubt, daß eine Zeit hierüber vergehe und daß ich dann noch einmal durchdenke, was ich jetzt nicht denken kann. Aber eins ist es, was ich fasse. Ein Kind darf seinen Eltern nicht ungehorsam sein, wenn es nicht auf ewig mit ihnen brechen, wenn es nicht die Eltern oder sich selbst verwerfen soll. Mathilde kann ihre guten Eltern nicht verwerfen, und sie ist selber so gut, daß sie auch sich nicht verwerfen kann. Ihre Eltern verlangen, daß sie jetzt das geschlossene Band auflösen möge, und sie wird folgen. Ich will es nicht versuchen, durch Bitten das Gebot der Eltern wenden zu wollen. Die Gründe, welche ihr mir gesagt habt und welche in mein Wesen nicht eindringen wollen, werden in dem eurigen fest haften, sonst hättet ihr mir sie nicht so nachdrücklich gesagt, hättet sie mir nicht mit solcher Güte und zuletzt nicht mit Tränen gesagt. Ihr werdet davon nicht lassen können. Wir haben uns nicht vorzustellen vermocht, daß das, was für uns ein so hohes Glück war, für die Eltern ein Unheil sein wird. Ihr habt es mir mit eurer tiefsten Überzeugung gesagt. Selbst wenn ihr irrtet, selbst wenn unsere Bitten euch zu erweichen vermöchten, so würde euer freudiger Wille, euer Herz und euer Segen mit dem Bunde nicht sein, und ein Bund ohne der Freude der Eltern, ein Bund mit der Trauer von Vater und Mutter müßte auch ein Bund der Trauer sein, er wäre ein ewiger Stachel, und euer ernstes oder bekümmertes Antlitz würde ein unvertilgbarer Vorwurf sein. Darum ist der Bund, und wäre er der berechtigteste, aus, er ist aus auf so lange, als die Eltern ihm nicht beistimmen können. Eure ungehorsame Tochter würde ich nicht so unaussprechlich lieben können, wie ich sie jetzt liebe, eure gehorsame werde ich ehren und mit tiefster Seele, wie fern ich auch sein mag, lieben, so lange ich lebe. Wir werden daher das Band lösen, wie schmerzhaft die Lösung auch sein mag. — O Mutter, Mutter! — laßt euch diesen Namen zum ersten und vielleicht auch zum letzten Male geben — der Schmerz ist so groß, daß ihn keine Zunge aussprechen kann und daß ich mir seine Größe nie vorzustellen vermocht habe!‹

›Ich bekenne es‹, antwortete sie, ›und darum ist ja der Kummer, den ich und mein Gatte empfinden, so groß, daß wir unserem teuren Kinde und euch, den wir auch lieben, die Seelenkränkung nicht ersparen können.‹

›Ich werde morgen Mathilden sagen‹, erwiderte ich, ›daß sie ihrem Vater und ihrer Mutter gehorchen müsse. Heute erlaubt mir, verehrte Frau, daß ich meine Gedanken etwas ordne — und daß ich auch noch andere Dinge ordne, die not tun.‹

»Die Tränen waren mir wieder in die Augen getreten.«

›Sammelt euch, lieber Gustav‹, sagte sie, ›und tut, was ihr für gut haltet, sprecht mit Mathilden oder sprecht auch nicht, ich schreibe euch nichts vor. Es wird eine Zeit kommen, in der ihr einsehen werdet, daß ich euch nicht so unrecht tue, als ihr jetzt vielleicht glauben möget.‹

»Ich küßte ihr die Hand, die sie mir gütig gab, und verließ das Zimmer.«

»Am andern Tage bat ich Mathilden, mit mir einen Gang in den Garten zu machen. Wir gingen durch den ersten Teil desselben, und wir gingen durch den Weinlaubengang bis zu dem Gartenhause, an dem die Rosen blühten. Während wir so wandelten, sprachen wir fast kein Wort, außer daß wir sagten, wie uns hie und da eine Blume gefalle, wie das Weinlaub schön sei und wie der Tag sich so ausgeheitert habe. Wir waren zu gespannt auf das, was da kommen werde, Mathilde auf das, was ich ihr mitzuteilen habe, und ich auf das, wie sie die Mitteilung aufnehmen werde. In der Nähe des Gartenhauses war eine Bank, auf welche von einem Rosengebüsche Schatten fiel. Ich lud sie ein, mit mir auf der Bank Platz zu nehmen. Sie tat es. Es war das erste Mal, daß wir ganz allein in den Garten gingen und daß wir allein bei einander auf einer Bank saßen. Es war das Vorzeichen, daß uns dies in Zukunft entweder ungestört werde gestattet sein oder daß es das letzte Mal sei und daß man darum ein unbedingtes Vertrauen in uns setze. Ich sah, daß Mathilde das empfinde; denn in ihrem ganzen Wesen war die höchste Erwartung ausgeprägt. Deßohngeachtet rief sie mit keinem Worte den Anfang der Mitteilungen hervor. Mein Wesen mochte sie in Angst gesetzt haben; denn obwohl ich mir unzählige Male in der Nacht die Worte zusammengestellt hatte, mit denen ich sie anreden wollte, so konnte ich doch jetzt nicht sprechen, und obwohl ich suchte, meine Empfindungen zu bemeistern, so mochte doch der Schmerz in meinem Äußern zu lesen gewesen sein. Da wir schon eine Weile gesessen, waren, auf unsere Fußspitzen gesehen und, was zu verwundern war, uns nicht an der Hand gefaßt hatten, fing ich an, mit zitternder Stimme und mit stockendem Atem zu sagen, was ihre Eltern meinen, und daß sie den Wunsch hegen, daß wir wenigstens für die jetzige Zeit unser Band auflösen mögen. Ich ging auf die Gründe, welche die Mutter angegeben hatte, nicht ein, und legte Mathilden nur dar, daß sie zu gehorchen habe und daß unter Ungehorsam unser Bund nicht bestehen könne.«

»Als ich geendet hatte, war sie im höchsten Maße erstaunt.«

›Ich bitte dich, wiederholt mir nur in Kurzem, was du gesprochen hast und was wir tun sollen‹, sagte sie.

›Du mußt den Willen deiner Eltern tun und das Band mit mir lösen‹, antwortete ich.

›Und das schlägst du vor, und das hast du der Mutter versprochen, bei mir auszuwirken?‹ fragte sie.

›Mathilde, nicht auszuwirken‹, antwortete ich, ›wir müssen gehorchen; denn der Wille der Eltern ist das Gesetz der Kinder.‹

›Ich muß gehorchen‹, rief sie, indem sie von der Bank aufsprang, ›und ich werde auch gehorchen; aber du mußt nicht gehorchen, deine Eltern sind sie nicht. Du mußtest nicht hieher kommen und den Auftrag übernehmen, mit mir das Band der Liebe, das wir geschlossen hatten, aufzulösen. Du mußtest sagen: Frau, eure Tochter wird euch gehorsam sein, sagt ihr nur euren Willen; aber ich bin nicht verbunden, eure Vorschriften zu befolgen, ich werde euer Kind lieben, so lange ein Blutstropfen in mir ist, ich werde mit aller Kraft streben, einst in ihren Besitz zu gelangen. Und da sie euch gehorsam ist, so wird sie mit mir nicht mehr sprechen, sie wird mich nicht mehr ansehen, ich werde weit von hier fortgehen; aber lieben werde ich sie doch, so lange dieses Leben währt und das künftige, ich werde nie einer Andern ein Teilchen von Neigung schenken und werde nie von ihr lassen. So hättest da sprechen sollen, und wenn du von unserm Schlosse fortgegangen wärest, so hätte ich gewußt, daß du so gesprochen hast, und tausend Millionen Ketten hätten mich nicht von dir gerissen, und jubelnd hätte ich einst in Erfüllung gebracht, was dir dieses stürmische Herz gegeben. Du hast den Bund aufgelöset, ehe du mit mir hieher gegangen bist, ehe du mich zu dieser Bank geführt hast, die ich dir gutwillig folgte, weil ich nicht wußte, was du getan hast. Wenn jetzt auch der Vater und die Mutter kämen und sagten: Nehmet euch, besitzet euch in Ewigkeit, so wäre doch alles aus. Du hast die Treue gebrochen, die ich fester gewähnt habe als die Säulen der Welt und die Sterne an dem Baue des Himmels.‹

›Mathilde‹, sagte ich, ›was ich jetzt tue, ist unendlich schwerer, als was du verlangtest.‹

›Schwer oder nicht schwer, von dem ist hier nicht die Rede‹, antwortete sie, ›von dem, was sein muß, ist die Rede, von dem, dessen Gegenteil ich für unmöglich hielt. Gustav, Gustav, Gustav, wie konntest du das tun?‹

»Sie ging einige Schritte von mir weg, kniete, gegen die Rosen, die an dem Gartenhause blühten, gewendet, in das Gras nieder, schlug die beiden Hände zusammen und rief unter strömenden Tränen: ›Hört es, ihr tausend Blumen, die herabschauten, als er diese Lippen küßte, höre es du, Weinlaub, das den flüsternden Schwur der ewigen Treue vernommen hat, ich habe ihn geliebt, wie es mit keiner Zunge in keiner Sprache ausgesprochen werden kann. Dieses Herz ist jung an Jahren, aber es ist reich an Großmut; alles, was in ihm lebte, habe ich dem Geliebten hingegeben, es war kein Gedanke in mir als er, das ganze künftige Leben, das noch viele Jahre umfassen konnte, hätte ich wie einen Hauch für ihn hingeopfert, jeden Tropfen Blut hätte ich langsam aus den Adern fließen und jede Faser aus dem Leibe ziehen lassen — und ich hätte gejauchzt dazu. Ich habe gemeint, daß er das weiß, weil ich gemeint habe, daß er es auch tun würde. Und nun führt er mich heraus, um mir zu sagen, was er sagte. Wären was immer für Schmerzen von Außen gekommen, was immer für Kämpfe, Anstrengungen und Erduldungen; ich hätte sie ertragen, aber nun er… er!.. Er macht es unmöglich für alle Zeiten, daß ich ihm noch angehören kann, weil er den Zauber zerstört hat, der alles band, den Zauber, der ein unzerreißbares Aneinanderhalten in die Jahre der Zukunft und in die Ewigkeit malte.‹«