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»Ich ging zu ihr hinzu, um sie empor zu heben. Ich ergriff ihre Hand. Ihre Hand war wie Glut. Sie stand auf, entzog mir die Hand, und ging gegen das Gartenhaus, an dem die Rosen blühten.«

›Mathilde‹, sagte ich, ›es handelt sich nicht um den Bruch der Treue, die Treue ist nicht gebrochen worden. Verwechsle die Dinge nicht. Wir haben gegen die Eltern unrecht gehandelt, daß wir ihnen verbargen, was wir getan haben, und daß wir in dem Verbergen beharrend geblieben sind. Sie fürchten Übles für uns. Nicht die Zerstörung unserer Gefühle verlangen sie, nur die Aufhebung des Äußerlichen unseres Bundes auf eine Zeit.‹

›Kannst du eine Zeit nicht mehr du sein?‹ erwiderte sie, ›kannst du eine Zeit dein Herz nicht schlagen lassen? Äußeres, Inneres, das ist alles eins, und alles ist die Liebe. Du hast nie geliebt, weil du es nicht weißt.‹

›Mathilde‹, antwortete ich, ›du warst immer so gut, du warst edel, rein, herrlich, daß ich dich mit allen Kräften in meine Seele schloß: heute bist du zum ersten Male ungerecht. Meine Liebe ist unendlich, ist unzerstörbar, und der Schmerz, daß ich dich lassen muß, ist unsäglich, ich habe nicht gewußt, daß es einen so großen auf Erden gibt; nur der ist größer, von dir verkannt zu sein. Ich unterscheide nicht, wer dir das Gebot der Eltern hätte sagen sollen, es ist das einerlei, sie sind die Eltern, das Gebot ist das Gebot, und das Heiligste in uns sagt, daß die Eltern geehrt werden müssen, daß das Band zwischen Eltern und Kind nicht zerstört werden darf, wenn auch das Herz bricht, So fühlte ich, so handelte ich, und ich wollte dir das Notwendige recht sanft und weich sagen, darum übernahm ich die Sendung; ich glaubte, es könne dir niemand das Bittere so sanft und weich sagen wie ich, darum kam ich. Aus Güte, aus Mitleid kam ich. Die Pflicht leitete mich, in der Pflicht bricht mein Herz, und in dem brechenden Herzen bist du.‹

›Ja, ja, das sind die Worte‹, sagte sie, indem ihr Schluchzen immer heftiger und fast krampfhaft wurde, ›das sind die Worte, denen ich sonst so gerne lauschte, die so süß in meine Seele gingen, die schon süß waren, als du es noch nicht wußtest, denen ich glaubte wie der ewigen Wahrheit. Du hättest es nicht unternehmen müssen, mich zur Zerreißung unserer Liebe bewegen zu wollen, es soll, wenn hundertmal Pflicht, dir nicht möglich gewesen sein. Darum kann ich dir jetzt nicht mehr glauben, deine Liebe ist nicht die, die ich dachte und die die meinige ist. Ich habe den Vergleichpunkt verloren und weiß nicht, wie alles ist. Wenn du einst gesagt hättest, der Himmel ist nicht der Himmel, die Erde nicht die Erde, ich hätte es dir geglaubt. Jetzt weiß ich es nicht, ob ich dir glauben soll, was du sagst. Ich kann nicht anders, ich weiß es nicht, und ich kann nicht machen, daß ich es weiß. O Gott! daß es geworden ist, wie es ward, und daß zerstörbar ist, was ich für ewig hielt! Wie werde ich es ertragen können?‹

»Sie barg ihr Angesicht in den Rosen vor ihr, und ihre glühende Wange war auch jetzt noch schöner als die Rosen. Sie drückte das Angesicht ganz in die Blumen und weinte so, daß ich glaubte, ich fühle das Zittern ihres Körpers oder es werde eine Ohnmacht ihren Schmerz erschöpfen. Ich wollte sprechen, ich versuchte es mehrere Male; aber ich konnte nicht, die Brust war mir zerpreßt und die Werkzeuge des Sprechens ohne Macht. Ich faßte nach ihrem Körper, sie zuckte aber weg, wenn sie es empfand. Dann stand ich unbeweglich neben ihr. Ich griff mit der bloßen Hand in die Zweige der Rosen, drückte, daß mir leichter würde, die Dornen derselben in die Hand und ließ das Blut an ihr nieder rinnen.«

»Als das eine Zeit gedauert hatte, als sich ihr Weinen etwas gemildert hatte, hob sie das Angesicht empor, trocknete mit dem Tuche, das sie aus der Tasche genommen, die Tränen und sagte: ›Es ist alles vorüber. Weshalb wir noch länger hier bleiben sollen, dazu ist kein Grund, lasse uns wieder in das Haus gehen und das Weitere dieser Handlung verfolgen. Wer uns begegnet, soll nicht sehen, daß ich so sehr geweint habe.‹«

»Sie trocknete neuerdings mit dem Tuche die Augen, ließ neue Tränen nicht mehr hervorquellen, richtete sich empor, strich sich die Haare ein wenig zurecht und sagte: ›Gehen wir in das Haus.‹«

»Sie richtete sich mit diesen Worten zum Gehen gegen den Weinlaubengang, und ich ging neben ihr. Das Blut an meiner Hand konnte sie nicht sehen. Ich unternahm es nicht mehr, sie zu trösten, ich sah, daß ihre Verfassung dafür nicht empfänglich war. Auch erkannte ich, daß sie im Zorne gegen mich ihren Schmerz leichter ertrage, als wenn dieser Zorn nicht gewesen wäre. Wir gingen schweigend in das Haus. Dort gingen wir in das Zimmer der Mutter. Mathilde warf sich ihrer Mutter an das Herz. Ich küßte der Frau die Hand und entfernte mich.«

»Den ganzen übrigen Teil des Tages verbrachte ich damit, meine Habe zu packen, um morgen dieses Haus verlassen zu können. Mathildens Vater besuchte mich einmal und sagte: ›Kränket euch nicht zu sehr, es wird vielleicht noch alles gut.‹«

»Im Übrigen waren seine Gründe, die er freundlich und sanft sagte, die nehmlichen wie die seiner Gattin. Auch Mathildens Mutter kam einmal zu mir herüber, lächelte trübsinnig bei meinem Treiben und gab mir die Hand. Meine Hoffnungen waren düsterer, als es die dieser zwei Menschen zu sein schienen. Mathildens Glauben an mich war erschüttert. Da ich meine Absicht, morgen abreisen zu wollen, erklärt hatte, und man nichts mehr dagegen einwendete, was man Anfangs tat, rief ich Alfred und sagte ihm, daß ich nicht etwa eine größere Reise vor habe, wie er glauben mochte, sondern daß ich auf lange, vielleicht auf immer dieses Haus verlasse. Es seien Umstände eingetreten, die dies notwendig machten. Er fiel mir mit Schluchzen um den Hals, ich konnte ihn gar nicht besänftigen, ja ich weinte beinahe selber laut. Er wurde später zu beiden Eltern, die in der Schreibstube des Vaters waren, geholt, damit sie ihn beruhigten. Sein Schlafzimmer war heute unter der Aufsicht eines Dieners ein anderes. Als er in dasselbe gebracht worden war, ging ich zu den Eltern und sagte ihnen den Dank für alles Gute, das ich in ihrem Hause genossen habe. Sie dankten mir auch und ließen mich Hoffnungen erblicken. Es ward verabredet, daß ich mit den Pferden des Hauses auf die nächste Post gebracht werden solle. Mathilde erschien nicht zum Abendessen.«

»Am nächsten Morgen wurde der Wagen bepackt. Ich machte mich reisefertig. Es war mir erlaubt worden, von Mathilden Abschied nehmen zu dürfen. Sie weigerte sich aber, mich zu sehen. Ich ging daher in meine Wohnung, reichte dem alten Raimund die Hand und sagte: ›Lebe wohl, Raimund.‹«

›Lebt recht wohl, junger Herr‹, antwortete er, ›und seid recht glücklich.‹

›Du weißt nicht, Raimund!‹

›Ich weiß, ich weiß, junger Herr — es kann ja werden.‹

›Lebe wohl.‹

»Ich ging nun die Treppe hinab, er begleitete mich. Unten bei dem Wagen stand der Herr und die Frau des Hauses und mehrere von den Dienstleuten. Auch vom Meierhofe waren Leute herbei gekommen. Alfred, der spät entschlummert war, schlief noch; die Besitzer des Hauses nahmen auf eine auszeichnende Weise von mir Abschied, die Umstehenden beurlaubten sich auch, wünschten mir Glück und eine fröhliche Wiederkehr. Ich bestieg den Wagen und fuhr von Heinbach dahin.«