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›Rede nicht von Strafgerichten, Mathilde‹, erwiderte ich, ›und weil alles Andere so ist, so lasse die Vergangenheit und sage, welche deine Lage jetzt ist. Kann ich dir in irgend etwas helfen?‹«

»›Nein, Gustav‹, entgegnete sie, ›die größte Hilfe ist die, daß du da bist. Meine Lage ist sehr einfach. Der Vater und die Mutter sind schon längst tot, der Gatte ist ebenfalls vor Langem gestorben und Alfred — du hast ihn ja recht geliebt…‹

›Wie ich einen Sohn lieben würde‹, antwortete ich.

›Er ist auch tot‹, sagte sie, ›er hat kein Weib, kein Kind hinterlassen, das Haus in Heinbach und das in der Stadt hat er noch bei seinen Lebzeiten verkauft. Ich bin im Besitze des Vermögens der Familie und lebe mit meinen Kindern einsam. Lieber Gustav, ich habe dir den Knaben gebracht — wie wußtest du denn, daß er mein Sohn sei?‹

›Ich habe deine schwarzen Augen und deine braunen Locken an ihm gesehen‹, antwortete ich.

›Ich habe dir den Knaben gebracht‹, sagte sie, ›daß du sähest, daß er ist wie dein Alfred — fast sein Ebenbild —, aber er hat niemanden, der so lieb mit ihm umgeht, wie du mit Alfred umgegangen bist, der ihn so liebt, wie du Alfred geliebt hast, und den er wieder so lieben könnte, wie Alfred dich geliebt hat.‹

›Wie heißt der Knabe?‹ fragte ich.

›Gustav, wie du‹, antwortete sie.

»Ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten.«

›Mathilde‹, sagte ich, ›ich habe nicht Weib, nicht Kind, nicht Anverwandte. Du warst das Einzige, was ich in meinem ganzen Leben besaß und behielt. Lasse mir den Knaben, lasse ihn bei mir, ich will ihn lehren, ich will ihn erziehen.‹

›O mein Gustav‹, rief sie mit den schmerzlichsten Tönen der Rührung, ›wie wahr ist mein Gefühl, das mich an dich, den besten der Menschen, wies, als ich ein Kind war, und das mich nicht verlassen hatte, so lange ich lebte.‹

»Sie war aufgestanden, hatte ihr Haupt auf meine Schulter gelegt und weinte auf das Innigste. Ich konnte mich nicht mehr beherrschen, meine Tränen flossen unaufhaltsam, ich schlang meine Arme um sie und drückte sie an mein Herz. Und ich weiß nicht, ob je der heiße Kuß der Jugendliebe tiefer in die Seele gedrungen und zu größrer Höhe erhebend gewesen ist als dieses verspätete Umfassen der alten Leute, in denen zwei Herzen zitterten, die von der tiefsten Liebe überquollen. Was im Menschen rein und herrlich ist, bleibt unverwüstlich und ist ein Kleinod in allen Zeiten.«

»Als wir uns getrennt hatten, geleitete ich sie zu ihrem Sitze, nahm den meinigen wieder ein, und fragte: ›Hast du noch andere Kinder?‹«

›Ein Mädchen, welches mehrere Jahre älter ist als der Knabe‹, erwiderte sie, ›ich werde dir dasselbe auch bringen, es hat ebenfalls die schwarzen Augen und die braunen Haare wie ich. Das Mädchen behalte ich, den Knaben lasse, weil du so gütig bist, um dich leben, so lange du willst. Er möge werden wie du. O, ich hatte kaum geahnt, wie hier alles werden wird.‹

›Mathilde, beruhige dich jetzt‹, sagte ich, ›ich werde den Knaben holen, wir werden mit ihm freundlich sprechen.‹

»Ich tat es, trat mit dem Knaben an der Hand herein und wir sprachen mit dem Kinde und abwechselnd unter uns noch eine geraume Weile. Ich zeigte Mathilden hierauf das Haus, den Garten, den Meierhof und alles Andere. Gegen Abend fuhr sie wieder fort, um in Rohrberg zu übernachten. Den Knaben sollte sie der Verabredung gemäß wieder mit sich nehmen, ihn ausrüsten und vorbereiten und ihn, wie sie es für gelegen halte, bringen. Wir blieben von dem Augenblicke an in Briefwechsel, und als eine Zeit vergangen war, brachte sie mir Gustav, der noch bei mir ist, sie brachte mir auch Natalien, die damals im ersten Aufblühen begriffen war. Eine größere Gleichheit als zwischen diesem Kinde und dem Kinde Mathilde kann nicht mehr gedacht werden. Ich erschrak, als ich das Mädchen sah. Ob in den Jahren, in denen jetzt Natalie ist, Mathilde auch ihr gleich gewesen ist, kann ich nicht sagen; denn da war ich von Mathilden schon getrennt.«

»Es begann nun eine sehr liebliche Zeit. Mathilde kam mit Natalien öfter, um uns zu besuchen. Ich machte ihr in den ersten Tagen den Vorschlag, daß ich die Rosen, wenn sie ihr schmerzliche Erinnerungen weckten, von dem Hause entfernen wolle. Sie ließ es aber nicht zu, sie sagte, sie seien ihr das Teuerste geworden und bilden den Schmuck dieses Hauses. Sie hatte sich zu einer solchen Milde und Ruhe gestimmt, wie ihr sie jetzt kennt, und diese Lage ihres Wesens befestigte sich immer mehr, je mehr sich ihre äußeren Verhältnisse einer Gleichmäßigkeit zuneigten und je mehr ihr Inneres, ich darf es wohl sagen, sich beglückt fühlte. Ein freundlicher Verkehr hatte sich entwickelt, Gustav hatte sich an mich gewöhnt, ich an ihn, und aus der Gewöhnung war Liebe entstanden. Mathilde gab Rat in meinem Hauswesen, ich in der Verwaltung ihrer Angelegenheiten. Nataliens Erziehung wurde oft zwischen uns besprochen und Schritte getan, die wir verabredet hatten. Und in der gegenseitigen Hilfleistung stärkte sich die Neigung, die wir gegen einander hatten, die nie verschwunden war, die sich zu einem edlen, tiefen freundlichen Gefühle gebildet hatte und die nun offen und rechtmäßig bestehen konnte. Ich hatte wieder Jemanden, den ich zu lieben vermochte, und Mathilde konnte ihr Herz, das mir immer gehört hatte, unumwunden an mein Wohl und an mein Wesen wenden. Nach einer Zeit wurde der Sternenhof verkäuflich. Ich schlug Mathilden den Kauf vor. Sie besah das Gut. Seiner Nachbarschaft mit mir willen und schon seiner Linden willen, die sie an die großen Bäume auf dem Rasenplatze vor dem Hause in Heinbach erinnerten, war sie zu dem Kaufe geneigt. Auch hatte der Sternenhof überhaupt große Ähnlichkeit mit dem Hause in Heinbach, war an sich eine sehr angenehme Besitzung und gab Mathilden für den Rest ihres Lebens einen festen Punkt und einige Abrundung ihrer Verhältnisse. Also wurde er erworben. Um dieselbe Zeit ließ ich in meinem Hause die Wohnung für Mathilden und Natalien herrichten. In dem Sternenhofe war viel Arbeit, bis alles zur gefälligen Wohnlichkeit geordnet war. Und auch nach dieser Zeit wurde beständig geändert und umgewandelt, bis das Haus so war, wie es jetzt ist. Und selber jetzt, wie ihr wißt, wird dort wie hier gebaut, befestigt, verschönert, und es wird wohl immer so fortgehen. Die Rosen, dieses Merkmal unserer Trennung und Vereinigung, sollten vorzugsweise auf dem Asperhofe bleiben, weil es Mathilden lieb war, daß sie dieselben dort gefunden hatte. Jede Rosenblütezeit verlebte sie bei mir, sie liebte diese Blumen außerordentlich, pflegte sie und konnte sich freuen, wenn sie mir eine Art, die ich noch nicht hatte, zubringen konnte. Dafür ließ ich ihr in ihrem Schlosse die Geräte machen, die ihr so viel Vergnügen bereiten. Gustav wurde von Tag zu Tage trefflicher und versprach, einmal ein Mann zu werden, woran seines Gleichen Freude haben sollten. Natalie wurde nicht bloß schön und herrlich, sondern sie wurde auch im Umgange mit ihrer Mutter so rein und edel, wie Wenige sind. Sie hatte das tiefe Gefühl ihrer Mutter erhalten; aber teils durch ihr Wesen, teils durch eine sehr sorgfältige Erziehung ist mehr Ruhe und Stetigkeit in ihr Dasein gekommen. Zwischen Mathilden und mir war ein eigenes Verhältnis. Es gibt eine eheliche Liebe, die nach den Tagen der feurigen, gewitterartigen Liebe, die den Mann zu dem Weibe führt, als stille, durchaus aufrichtige süße Freundschaft auftritt, die über alles Lob und über allen Tadel erhaben ist, und die vielleicht das Spiegelklarste ist, was menschliche Verhältnisse aufzuweisen haben. Diese Liebe trat ein. Sie ist innig, ohne Selbstsucht, freut sich, mit dem Andern zusammen zu sein, sucht seine Tage zu schmücken und zu verlängern, ist zart und hat gleichsam keinen irdischen Ursprung an sich. Mathilde nimmt Anteil an meinen Bestrebungen. Sie geht mit in den Räumen meines Hauses herum, ist mit mir in dem Garten, betrachtet die Blumen oder Gemüse, ist in dem Meierhofe und schaut seine Erträgnisse an, geht in das Schreinerhaus und betrachtet, was wir machen, und sie beteiligt sich an unserer Kunst und selbst an unsern wissenschaftlichen Bestrebungen. Ich sehe in ihrem Hause nach, betrachte die Dinge im Schlosse, im Meierhofe, auf den Feldern, nehme Teil an ihren Wünschen und Meinungen und schloß die Erziehung und die Zukunft ihrer Kinder in mein Herz. So leben wir in Glück und Stetigkeit gleichsam einen Nachsommer ohne vorhergegangenen Sommer. Meine Sammlungen vervollständigen sich, die Baulichkeiten runden sich immer mehr, ich habe Menschen an mich gezogen, ich habe hier mehr gelernt als sonst in meinem ganzen Leben, die Spielereien gehen ihren Gang, und etwas Weniges nütze ich doch auch noch.«