Er schwieg nach diesen Worten eine Weile, und ich auch. Dann fuhr er wieder fort: »Ich habe das alles mitteilen müssen, damit ihr wißt, wie ich mit der Familie in dem Sternenhofe zusammenhänge, und damit in dem Kreise, in welchen ihr nun auch tretet, für euch Klarheit ist. Die Kinder wissen die Verhältnisse im Allgemeinen, ein näheres Eingehen war für sie nicht so nötig wie für euch. Ich wünsche nicht, daß ihr gegen eure künftige Gattin Geheimnisse habt, ihr könnt Natalien mitteilen, was ich euch sagte, ich konnte es, wie ihr begreifet, nicht. Über Nataliens Zukunft sprach ich oft mit Mathilden. Sie sollte einen Gatten bekommen, den sie aus tiefer Neigung nimmt. Es sollte die gegenseitige größte Hochachtung vorhanden sein. Durch Beides sollte sie das Glück finden, das ihre Mutter und ihren väterlichen Freund gemieden hat. Mathilde hat in Begleitung des alten Raimund, der seitdem gestorben ist, große Reisen gemacht. Sie hat auf denselben dauerndere Ruhe gesucht und auch gefunden. Sie hat sie in der Betrachtung der edelsten Kunstwerke des menschlichen Geschlechtes und in der Anschauung mancher Völker und ihres Treibens gefunden. Natalie ist dadurch befestigt, veredelt und geglättet worden. Manche junge Männer hat sie kennen gelernt, aber sie hat nie ein Zeichen einer Neigung gegeben. Sogenannte sehr glänzende Verbindungen sind auf diese Weise für sie verloren gegangen. Ich hätte auch große Sorge gehabt, wenn ich unter unseren jungen Männern hätte wählen müssen. Als ihr zum ersten Male an dem Gitter meines Hauses standet und ich euch sah, dachte ich: ›Das ist vielleicht der Gatte für Natalien.‹ Warum ich es dachte, weiß ich nicht. Später dachte ich es wieder, wußte aber warum. Natalie sah euch und liebte euch, so wie ihr sie. Wir kannten das Keimen der gegenseitigen Neigung. Bei Natalien trat sie Anfangs in einem höheren Schwunge ihres ganzen Wesens, später in einer etwas schmerzlichen Unruhe auf. In euch erschloß sie euer Herz zu einer früheren Blüte der Kunst und zu einem Eingehen in die tieferen Schätze der Wissenschaft. Wir warteten auf die Entwicklung. Zu größerer Sicherheit und zur Erprüfung der Dauer ihrer Gefühle brachten wir absichtlich Natalien zwei Winter nicht in die Stadt, daß sie von euch getrennt sei, ja sie wurde von ihrer Mutter wieder auf größere Reisen und in größere Gesellschaften gebracht. Ihre Gefühle aber blieben beständig und die Entwicklung trat ein. Wir geben euch mit Freuden das Mädchen in eure Liebe und in euren Schutz, ihr werdet sie beglücken und sie euch; denn ihr werdet euch nicht ändern, und sie wird sich auch nicht ändern. Gustav wird einmal den Sternenhof und was dazu gehört erhalten; denn das Haus ist Mathilden so lieb geworden, daß sie wünscht, daß es ein Eigentum ihrer Familie bleibe und daß die kommenden Geschlechter das ehren, was die erste Besitzerin darin niedergelegt hat. Gustav wird es tun, das wissen wir schon, und seinen Nachfolgern die gleiche Gesinnung einzupflanzen, wird wohl auch sein Bestreben sein. Natalie erhält von mir den Asperhof mit allem, was in ihm ist, nebst meinen Barschaften. Ihr werdet mein Andenken hier nicht verunehren.«
Mir traten die Tränen in die Augen, da er so sprach, und ich reichte ihm meine Hand hinüber. Er nahm sie und druckte sie herzlich.
»Ihr könnt hier auf dem Asperhofe wohnen oder in dem Sternenhofe oder bei euren Eltern. Überall wird Platz für euch zu machen sein. Ihr könnt auch euern Aufenthalt abwechselnd zwischen uns teilen, und das wird wohl wahrscheinlich der Fall sein, bis sich alle unsere Verhältnisse dem neuen Ereignisse gemäß gerichtet haben. Die Schriften bezüglich der Übertragung meines Vermögens an Natalien werden ihr nach der Vermählung eingehändigt werden. So lange ich lebe, erhält sie einen Teil, den Rest nach meinem Tode. Wie ihr mit dem, was sie jetzt empfängt, gebaren sollt, darüber wird euer Vater die beste Belehrung geben können. Er wird wohl mit mir auch darüber sprechen. Natalie erhält auch nach ihrer Vermählung den Teil, der ihr aus dem Nachlasse ihres Vaters Tarona gebührt.«
»Ist Nataliens Name Tarona?« fragte ich.
»Habt ihr das nicht gewußt?« fragte er seinerseits.
»Ich habe Mathilden immer die Frau von Sternenhof nennen gehört«, antwortete ich, »bin mit Mathilden und Natalien nirgends zusammen gewesen als im Sternenhofe, Asperhofe und Inghofe, und da wurden beide stets bei ihrem Vornamen genannt. Weitere Forschungen stellte ich gar nie an.«
»Mathilde ließ geschehen, daß sie nach dem Sternenhofe geheißen wurde, der Name war ihr lieber. So mag es wohl gekommen sein, daß ihr keinen andern gehört habt. Für Gustav wird die Erlaubnis zur Führung dieses Namens nachgesucht werden.«
»Aber die Tarona, erzählte man mir, sei gerade in jenem Winter, an welchem ich Natalien in der Loge gesehen habe, nicht in der Stadt gewesen«, sagte ich, und dachte an Preborn, welcher mir diese Tatsache mitgeteilt hatte.
»Ganz richtig«, erwiderte mein Gastfreund, »wir sind auch nur zur Aufführung des König Lear hingefahren. Ich war in der Loge hinter Natalien, habe euch aber nicht gesehen.«
»Ich euch auch nicht«, antwortete ich.
»Natalie hat uns von dem jungen Manne erzählt, der ihr im Schauspielhause aufgefallen sei«, erwiderte er, »aber erst nach langer Zeit konnte sie uns eröffnen, daß ihr es gewesen seid.«
»Habe ich euch nicht einmal im Winter in der Stadt nach der Wiedergenesung des Kaisers, mit euren Ehrenzeichen geschmückt, fahren gesehen?« fragte ich.
»Das ist möglich«, antwortete er, »ich war in jener Zeit in der Stadt und an dem Hofe.«
»Nun mein sehr lieber junger Freund«, sagte er nach einer Weile, »ich habe euch von meinem Leben erzählt, da ihr einer der unseren werden sollt, ich habe zu euch von meinem tiefsten Herzen geredet, und jetzt enden wir dieses Gespräch.«
»Ich bin euch Dank schuldig«, antwortete ich, »allein all das Gehörte ist noch zu mächtig und neu in mir, als daß ich jetzt die Worte des Dankes finden könnte. Nur eins berührt mich fast wie ein Schmerz, daß ihr mit Mathilden nach eurer Wiedervereinigung nicht in einen nähern Bund getreten seid.«
Der Greis errötete bei diesen Worten, er errötete so tief und zugleich so schön, wie ich es nie an ihm gesehen hatte.
»Die Zeit war vorüber«, antwortete er, »das Verhältnis wäre nicht mehr so schön gewesen, und Mathilde hat es auch wohl nie gewünscht.«
Er war schon früher aufgestanden, jetzt reichte er mir die Hand, drückte die meine herzlich und verließ das Zimmer.
Ich blieb eine geraume Weile stehen und suchte meine Gedanken zur Sammlung zu bringen. Das wäre mir nie zu Sinne gekommen, als ich zum ersten Male zu diesem Hause heraufstieg und des andern Tages seinen Inhalt sah, daß alles so kommen würde, wie es kam, und daß das alles zu meinem Eigentume bestimmt sei. Auch begriff ich jetzt, weshalb er meistens, wenn er von seinem Besitze sprach, das Wort »unser« gebrauchte. Er bezog es schon auf Mathilden und ihre Kinder.
Nachdem ich noch eine Zeit in meiner Wohnung verweilt hatte, verließ ich sie, um in frischer Luft einen Spaziergang zu machen und noch das Gehörte in mir ausklingen zu lassen.