Als sich alle eingefunden hatten, stand mein Gastfreund, welcher so festlich angezogen war wie wir, auf und sprach: »Ich richte noch einmal an alle, welche gekomrnen sind, den Empfangsgruß innerhalb der Wände dieses Hauses. Es ist ein schöner Tag. Wenn gleich mancher liebe Freund und gewissermaßen Schlachtkamerade, den ich noch besitze, nicht hier ist, so kann eben nicht immer alles, was man liebt, versammelt sein. Das Eigentliche ist hier, ist aus einem lieben Anlasse hier, aus welchem ein noch schönerer Tag für Manche hervorgehen kann. Ihr, sehr hochgeehrte Frau, die Mutter des jungen Mannes, welcher zu verschiedenen Malen unter dem Dache dieses Hauses gewohnt hat, seid dem Hause willkommen. Es hat euren Namen oft gehört und die Namen eurer Tugenden, und wenn der Schall der Rede oft auch ganz Anderes zu verkünden schien, so gingen unbewußt eure Eigenschaften daraus hervor, sammelten sich hier und erzeugten Ehrerbietung und, erlaubt einem alten Manne das Wort, Liebe. Ihr, mein edler Freund — gönnt mir den Namen auch, den ich euch so gerne gebe —, ein graues Haupt wie ich, aber ehrwürdiger in der Verehrung seiner Kinder und darum auch in der anderer Leute, ihr habt mit eurer Gattin unsichtbar dieses Haus bewohnt und ehrt es, da es eure Gestalt nun selber in seinen Räumen sieht. Ihr, Klotilde, wandeltet mit euren Eltern hier und seid gleichfalls in eurem Eigentume. Zu dir, Mathilde, spreche ich erst jetzt, nachdem ich zu den Andern gesprochen habe, die nicht so oft die Schwelle dieses Hauses betreten haben wie du. Du bringst uns heute etwas, das allen lieb sein wird. Sei deshalb nicht mehr gegrüßt und willkommen, als du hier immer gegrüßt und willkommen gewesen bist. Sei willkommen, Natalie, und seid gegrüßt, Heinrich. Eustach, Roland, Gustav sind als Zeugen hier von dem, was da geschieht.«
Meine Mutter antwortete hierauf: »Ich habe immer gedacht, daß wir in diesem Hause werden herzlich empfangen werden, es ist so, ich danke sehr dafür.«
»Ich danke auch, und möge die gute Meinung von uns sich bewähren«, sagte der Vater.
Klotilde verneigte sich nur.
Mathilde sprach: »Sei bedankt für deinen Gruß, Gustav, und wenn du sagst, daß ich etwas bringe, das allen lieb sein wird, so berichte ich, daß Heinrich Drendorf und Natalie vor neun Tagen im Sternenhofe verlobt worden sind. Wir haben den Weg zu dir gemacht, um deine Billigung zu dieser Vornahme zu erwirken. Du hast immer wie ein Vater an Natalien gehandelt. Was sie ist, ist sie größtenteils durch dich. Daher könnte ein Band sie nie beglücken, das deinen vollen Segen nicht hätte.«
»Natalie ist ein gutes, treffliches Mädchen«, erwiderte mein Gastfreund, »sie ist durch ihr innerstes Wesen und durch ihre Erziehung das geworden, was sie ist. Ich mag ein Weniges beigetragen haben, wie alle nicht bösen Menschen, mit denen wir umgehen, zu unserem Wesen etwas Gutes beitragen. Du weißt, daß der geschlossene Bund meine Billigung hat, und daß ich ihm alles Glück wünsche. Weil du mich aber Vater Nataliens nennst, so mußt du erlauben, daß ich auch als Vater handle. Natalie erhält als meine Erbin den Asperhof mit allem Zubehör und allem, was darin ist, sie erhält auch, da ich gar keine Verwandten besitze, meine ganze übrige Habe. Die Ausfolgung geschieht in der Art, daß sie einen Teil des gesammten Vermögens an ihrem Vermählungstage empfängt nebst den Papieren, welche ihr das Anrecht auf den Rest zusprechen, der ihr an meinem Todestage anheim fällt. Einige Geschenke an Freunde und Diener werden in den Papieren enthalten sein, die sie gerne verabfolgen wird. Weil ich Vater bin, so werde ich auch meine liebe Tochter ausstatten, von ihrer Mutter kann sie nur Geschenke annehmen. Und einen Eigensinn müßt ihr mir gestatten, dessen Bekämpfung von eurer Seite mich sehr schmerzen würde. Die Vermählung soll auf dem Asperhofe gefeiert werden. Hieher ist der Bräutigam vor mehreren Jahren zuerst gekommen, hier habt ihr ihn kennen gelernt, hier ist vielleicht die Neigung gekeimt und hier endlich wohnt ja der Vater, wie er eben genannt worden ist. Vom Vermählungstage an wird im Asperhofe für die jungen Eheleute eine Wohnung in Bereitschaft stehen, es wird aber an sie nicht die Forderung gestellt werden, daß sie dieselbe benützen. Sie sollen nach ihrer Wahl ihre Wohnung aufschlagen: entweder im Asperhofe oder im Sternenhofe oder in der Stadt oder auch abwechslungsweise, wie es ihnen gefällt.«
Mathilde war während dieser ganzen Rede mit Würde und Anstand in ihrem Sitze gesessen, wie überhaupt in der ganzen Versammlung ein tiefer Ernst herrschte. Mathilde suchte ihre Haltung zu bewahren; allein aus ihren Augen stürzten Tränen, und ihr Mund zitterte vor starker Bewegung. Sie stand auf und wollte reden; aber sie konnte nicht und reichte nur ihre Hand an Risach. Dieser ging um den Tisch — denn eine Ecke desselben trennte sie —, drückte Mathilden sanft in ihren Sitz nieder, küßte sie sachte auf die Stirne und strich einmal mit seiner Hand über ihre Haare, die sie glatt gescheitelt über der feinen Stirne hatte.
Mein Vater nahm hierauf, da Risach wieder an seinem Platze war, das Wort, und sprach: »Es ist noch ein Vater da, welcher auch einige Worte reden und einige Bedingungen stellen möchte. Vor allem, Freiherr von Risach, empfanget den innigsten Dank von mir im Namen meiner Familie, daß ihr ein Mitglied derselben zu einem Mitgliede der eurigen aufzunehmen für würdig erachtet habt. Unserer Familie ist dadurch eine Ehre erzeigt worden, und mein Sohn Heinrich wird sich sicherlich bestreben, sich alle jene Eigenschaften zu erwerben, welche ihm zur Erfüllung seiner neuen Pflichten und zur Darstellung jener Menschenwürde überhaupt nötig sind, ohne welche man ein Teil der besseren menschlichen Gesellschaft nicht sein kann. Ich hoffe, daß ich hierin für meinen Sohn bürgen kann, und ihr selber hofft es, da ihr ihn in die Stellung aufgenommen habt, in der er ist. Mein Sohn wird in die neue Haushaltung bringen, was nicht für unbillig erachtet worden soll. In meinem Hause in der Stadt wird eine anständige Wohnung für die Neuvermählten immer in Bereitschaft stehen, und wenn ich das Landleben einmal vorziehen sollte, so werden sie auch in meiner neuen Wohnung einen Platz finden. Ihr eigenes ständiges Haus mögen sie nach Belieben aufschlagen. Daß die Vermählung in dem Asperhofe sei, ist nach meiner Meinung gerecht, und ich glaube, es wird niemand die Maßregel bestreiten. Und nun habe ich noch eine Bitte an euch, Freiherr von Risach, nehmt mich alten Mann und meine alte Gattin nebst unsrer Tochter nicht ungerne in euren Familienkreis auf. Wir sind bürgerliche Leute und haben als solche einfach gelebt; aber in jedem Verhältnisse unsere Ehre und unsern guten Namen aufrecht zu erhalten gesucht.«
»Ich kenne Euch schon lange«, antwortete Risach, »obwohl nicht persönlich, und habe euch schon lange hoch geachtet. Noch höher achtete und liebte ich euch, als ich euren Sohn kennen gelernt hatte. Wie sehr es mich freut, in eine nähere Umgangsverbindung mit euch zu kommen, kann euch euer Sohn sagen und wird euch die Zukunft zeigen. Was die Bürgerlichkeit anlangt, so gehörte ich zu diesem Stande. Vergängliche Handlungen, die man Verdienste nannte, haben mich auf eine Zeit aus ihm gerückt, ich kehre durch meine angenommene Tochter wieder zu ihm zurück, der mir allein gebührt. Ehrenvoller, würdiger Mann einer stetigen Tätigkeit und eines wohlgegründeten Familienlebens, wenn ihr mich, der ich Beides nicht habe, für wert erachtet, so kommt an mein Herz und laßt uns die letzten Lebenstage freundlich mit einander gehen.«
Beide Männer verließen ihre Plätze, begegneten sich auf halbem Wege zu einander, schlossen sich in die Arme und hielten sich einen Augenblick fest. Wie erschütternd das auf alle wirkte, zeigte die Tatsache, daß es totenstill im Zimmer war und daß manche Augen feucht wurden.
Meine Mutter war, da Risach Mathilden verlassen hatte, zu ihr gegangen, hatte sich neben sie gesetzt und hatte ihre beiden Hände gefaßt. Die Frauen küßten sich und hielten sich noch immer beinahe umfangen.