»Ein Schmuck in seinem Fache«, sagte eine Stimme, »ist doch wie ein Bild ohne Rahmen, oder noch mehr wie ein Rahmen ohne Bild.«
»Freilich ist es so«, entgegnete Risach, »man kann jedes Ding nur an seinem Platze beurteilen, und da mein Freund als mein Nebenbuhler aufgetreten ist, so wäre es nicht zu verwerfen — Natta, bist du mein liebes Kind?«
»Vater, wie gerne!« antwortete diese.
Sie stand von ihrem Stuhle auf, entfernte sich und kam so gekleidet wieder, daß man ihr einen kostbaren Schmuck umlegen konnte. Es geschah zuerst mit den Diamanten und Rubinen. Wie herrlich war Natalie, und es bewährte sich, daß der Schmuck der Rahmen sei. Am Vormittage, in beklemmenden und tieferen Gefühlen befangen, konnte ich dem Schmucke keine Aufmerksamkeit schenken. Jetzt sah ich die schönen Gestaltungen wie von einem sanften Scheine umgeben. Im Mittelpunkte aller Blicke errötete die junge Frau, und die Rosen ihrer Farbe gaben den Rubinen erst die Seele und empfingen sie von ihnen. Der Ausdruck der Bewunderung war allgemein. Hierauf wurde der Smaragdschmuck umgelegt. Aber auch er war vollendet. Der dunkle, tiefe Stein gab der Oberfläche von Nataliens Bildungen etwas Ernstes, Feierliches, fremdartig Schönes. War der Diamantschmuck wie fromm erschienen, so erschien der Smaragdschmuck wie heldenartig. Keiner erhielt den Preis. Risach und der Vater stimmten selber überein. Natalie nahm ihn wieder ab, beide Schmuckstücke wurden in ihre Fächer gelegt, Natalie trug sie fort und erschien nach einer Zeit wieder in ihrem früheren Anzuge.
Bei dem Smaragdschmucke hatte sich etwas Auffälliges ereignet. Von ihm waren die Ohrgehänge im Fache zurückgeblieben. Der Diamantschmuck enthielt keine Ohrgehänge. Mathilde und Natalie trugen Ohrgehänge nicht, weil nach ihrer Meinung der Schmuck dem Körper dienen soll. Wenn aber der Körper verwundet wird, um Schmuck in die Verletzung zu hängen, werde er Diener des Schmuckes.
Als noch immer von den Steinen gesprochen wurde, was ihre Bestimmung sei und wie sie sich auf dem Körper ganz anders ansehen lassen als in ihrem Fache, sagte Eustach etwas, das mir als sehr wahr erschien: »Was die innere Bestimmung der Edelsteine ist«, sprach er, »kann nach meiner Meinung niemand wissen: für den Menschen sind sie als Schmuck an seinem Körper am schönsten, und zwar zuerst an den Teilen, die er entblößt trägt, dann aber an seinem Gewande und an allem, was sonst mit ihm in Berührung kommt, wie Königskronen, Waffen. An bloßen Geräten, wie wichtig sie sind, erscheinen die Steine als tot, und an Tieren sind sie entwürdigt.«
Man sprach noch länger über diesen Gegenstand und erläuterte ihn durch Beispiele.
»Da heute unser Wettkampf unentschieden geblieben ist«, sagte Risach zu meinem Vater, »so wollen wir nun sehen, wer mit geringerem Aufwande seinen Sitz zu einem größeren Kunstwerke machen kann, du deinen Drenhof, oder wenn du ihn lieber Gusterhof nennen willst, oder ich meinen Asperhof.«
»Du bist schon im Vorsprunge«, entgegnete mein Vater, »und hast gute Zeichner bei dir: ich fange erst an, und mein Zeichner liefert mir wahrscheinlich keine Zeichnung mehr.«
»Wenn es uns im Asperhofe an Arbeit fehlt, so worden wir in den Drenhof hinüber geliehen«, sagte Eustach.
»Auch dann, wenn wir hier Arbeit haben«, erwiderte Risach, »ich will dem Feinde Waffen liefern.«
Der Nachmittag war ziemlich vorgerückt und es fehlte nicht mehr viel zum Abende. Das Mahl war schon längst aus und man saß nur mehr, wie es öfter geschieht, im Gespräche um den Tisch.
Mir war schon länger her das Benehmen des Gärtners Simon aufgefallen; denn er, so wie die vorzüglicheren Diener des Hauses und Meierhofes, war zu Tische geladen worden. Die Andern hatten in dem Meierhofe ein Mahl. Ich hatte ihm am Morgen zur Erinnerung an den heutigen Tag eine silberne Dose mit meinem Namen in dem Deckel gegeben. Diese Dose hatte er bei sich auf dem Tische und sprach ihr unruhig zu. Manches Mal flüsterte er mit seinem Weibe, das an seiner Seite saß, und öfter ging er fort und kam wieder. Eben trat er nach einer solchen Entfernung wieder in den Saal. Er setzte sich nicht und schien mit sich zu kämpfen. Endlich trat er zu mir und sprach: »Alles Gute belohnt sich, und euch erwartet heute noch eine große Freude.«
Ich sah ihn befremdet an.
»Ihr habt den Cereus peruvianus vom Untergange gerettet«, fuhr er fort, »wenigstens hätte er leicht untergehen können, und ihr seid Ursache gewesen, daß er in dieses Haus gekommen ist, und heute noch wird er blühen. Ich habe ihn durch Kälte zurück zu halten gesucht, selbst auf die Gefahr hin, daß er die Knospe abwerfe, damit er nicht eher blühe als heute. Es ist alles gut gegangen. Eine Knospe steht zum Entfalten bereit. In mehreren Minuten kann sie offen sein. Wenn die Gesellschaft dem Gewächshause die Ehre antun wollte…«
»Ja, Simon, ja, wir gehen hin«, sagte mein Gastfreund.
Sofort erhob man sich von dem Tische und rüstete sich zu dem Gange in die Gewächshäuser. Simon hatte alles Andere um die Stelle des Peruvianus, der in ein eigenes Glashäuschen hinein ragte, entfernt und Platz zum Betrachten der Pflanze gemacht. Die Blume war, da wir hinkamen, bereits offen. Eine große, weiße, prachtvolle, fremdartige Blume. Alles war einstimmig im Lobe derselben.
»So viele Menschen den Peruvianus haben«, sagte Simon, »denn gar selten ist er eben nicht, so mächtig groß sie auch seinen Stamm ziehen, so selten bringen sie ihn zur Blüte. Wenige Menschen in Europa haben diese weiße Blume gesehen. Jetzt öffnet sie sich, morgen mit Tagesanbruch ist sie hin. Sie ist kostbar mit ihrer Gegenwart. Mir ist es geglückt, sie blühen zu machen — und gerade heute. — Es ist ein Glück, das die wahrste Freude hervorbringen muß.«
Wir blieben ziemlich lange und erwarteten das völlige Entfalten.
»Es kommen auch nicht viele Blumen, wie bei gemeinen Gewächsen, hervor«, sagte Simon wieder, »sondern stets nur eine, später etwa wieder eine.«
Mein Gastfreund schien wirklich Freude an der Blume zu haben, ebenso auch Mathilde. Natalie und ich dankten Simon besonders für seine große Aufmerksamkeit und sagten, daß wir ihm diese Überraschung nie vergessen werden. Dem alten Manne standen die Tränen in den Augen. Er hatte Lampen um die Blume angebracht, die bei hereinbrechender Dämmerung angezündet worden sollten, wenn etwa jemand die Blume in der Nacht betrachten wolle. Bei längerem Anschauen gefiel uns die Blume immer mehr. Es dürften in unsern Gärten wenige sein, die an Seltsamkeit, Vornehmheit und Schönheit ihr gleichen. Von den Anwesenden hatte sie nie einer gesehen. Wir gingen endlich fort, und der eine und der andere versprach, im Laufe des Abends noch einmal zu kommen.
Da wir auf dem Rückwege waren und an dem Gebüsche, das sich in der Nähe des Lindenganges befindet, vorbeigingen, ertönte dicht am Wege in den Büschen ein Zitherklang. Risach, welcher meine Mutter führte, blieb stehen, ebenso mein Vater und Mathilde und dann auch die Andern, die sich eben in unserer Nähe befanden. Ich war mit Natalien mehr gegen den Busch getreten; denn ich erkannte augenblicklich den Klang meines Zitherspiellehrers. Er trug eine ihm eigentümliche Weise vor, dann hielt er inne, dann spielte er wieder, dann hielt er wieder inne, und so fort. Es waren lauter Weisen, die er selber ersonnen hatte oder die ihm vielleicht eben in dem Augenblicke in den Sinn gekommen waren. Er spielte mit aller Kraft und Kunst, die ich an ihm so oft bewundert hatte, ja er schien heute noch besser als je zu spielen. Es war, als wenn er nichts auf Erden liebte als seine Zither. Alles, was sich in der Nähe befand, lauschte unbeweglich, und nicht einmal ein Zeichen eines Beifalles wurde laut. Nur Mathilde sah einmal auf Natalien hin, und zwar so bedeutsam, als wollte sie sagen: das haben wir nicht gehört, und das vermögen wir nicht hervorzubringen. Die Zither war ein lebendiges Wesen, das in einer Sprache sprach, die allen fremd war und die alle verstanden. Als die Töne endlich nicht mehr wieder beginnen zu wollen schienen, trat ich mit Natalien ins Gebüsch, und da saß mein Zitherspiellehrer an einem Tischchen und hatte seine Zither vor sich. Sein Anzug war graues Tuch und sehr abgetragen, sein grüner Hut lag neben der Zither auf dem Tische.