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„Also, warum werde ich dann vor Gericht zitiert?“

„Weil. weil.“

„Wohin glotzt du denn die ganze Zeit so? Hast du noch nie einen Hjjk-Stern gesehen?“

Der Gerichtsdiener wandte schuldbewußt den Blick ab und begann sich unsicher mit hastigen Bürststrichen das Fell zu glätten. „Seine Lordschaft Gerichtsoberling ersucht dich um deine Mitarbeit, mehr nicht“, platzte er schließlich heraus. „Als Gerichtsdolmetscherin. Man hat einen Fremden gefangen und in die Basilika gebracht. einen jungen Mann, und der kann anscheinend keine andre Sprache als die der Hjjkse.“

In Nialli Apuilanas Seele erhob sich ein plötzliches betäubendes Sausen. Ihr Herz begann zu rasen, schmerzhaft, so daß sie fast Angst bekam.

Solch ein Trottel! Braucht der so lange, um sie zu informieren!

Sie packte den Gerichtsdiener an einer Schärpe. „Warum hast du das denn nicht gleich gesagt?“

„Das war ja nicht möglich, meine Dame. Du.“

„Es muß ein heimgekehrter Gefangener sein. Du hättest es mir sofort sagen müssen!“

Aus den untersten Tiefen der Erinnerung schossen Bilder herauf. Überwältigende Visionen von jenem Tag, an dem alles zerspellte und ihr Leben verändert worden war.

Sie sah sich selber, jünger, bereits langbeinig und weibsgeschmeidig, doch mit noch kaum knospenden Brüsten, unschuldig die blauen Chilly — Blüten in den Bergen jenseits der Mauern der Stadt pflücken. Es war am Tag nach ihrem ersten Tvinnr. Und dann: Schwarzgelbe Gestalten mit sechs Gliedmaßen, fremdartig und schrecklich, größer als irgendein Mann in der Stadt, größer sogar als Thu-Kimnibol, brechen ohne Vorwarnung aus einem tiefen Spalt im gelblichen Fels hervor. Entsetzen. Starre Ungläubigkeit. Die ganze sichere Welt, wie sie sie dreizehn Jahre lang gekannt hatte, zerbrach um sie herum in Trümmer. Scharfschnäblige Schädel von Ungeheuern, riesige vielfacettierte Augen, mehrfach artikulierte Arme mit gräßlichen Klauen am Ende. Der zirpende Lärm, das Klicken und Summen. Nein, doch nicht mir, sagt sie sich, das geschieht doch nicht wirklich mir. Wißt ihr nicht, wessen Tochter ich bin? Aber die Worte kommen ihr nicht über die Lippen. Wahrscheinlich wissen die es ja sowieso. Ein Fang wie sie — um so besser! Und dann umringt sie die ganze Horde, begrapscht sie, hält sie fest. Und dann — das Entsetzen ist urplötzlich verschwunden. Eine unheimliche, traumhafte Gelassenheit überkommt irgendwie mächtig ihre Seele. Die Hjjk schleppen sie fort. Ein langer Marsch, endlos und durch unvertrautes Land. Und dann — das hitzigfeuchte Dunkel des NESTS — dies befremdend völlig andere Leben, das wie eine gänzlich andere Welt war, obwohl doch genau hier, auf der Erde — die Kraft und Stärke der Königin, gewalttätig packend, umfassend, verschlingend, verwandelnd.

Und seither immer — die Einsamkeit, das bittere Gefühl, es gebe nirgends auf der Welt jemand ihresgleichen. Und nun war da endlich ein anderer, dem widerfahren war, was sie erlebt hatte. Endlich! Einer, der wußte.

„Wo ist er?“ rief sie hastig. „Ich muß ihn sehen! Schnell!“

„In der Basilika, Edle. Im Thronsaal bei Seiner Lordschaft Husathirn Mueri.“

„Dann rasch! Gehen wir!“

Und sie stürzte aus ihrer Kammer, ohne sich auch nur um ihre Schärpe zu kümmern. Ihre Nacktheit bedeutete ihr im Augenblick gar nichts. Sollen sie ruhig gaffen, dachte sie. Der Gerichtsdiener hastete verzweifelt unter Schnaufen und Keuchen hinter ihr drein, als sie die Treppen im Nakhaba-Haus hinabeilte. Verdutzte Sakraldiener in Priesterhauben stoben vor ihrem Ansturm zur Seite und starrten ihr erzürnt nach, brabbelten. Doch sie kümmerte sich nicht darum.

An diesem Spätfrühlingstag stand die Sonne noch hoch im westlichen Firmament, obschon der Nachmittag bereits dem Abend zuschwand. Die Stadt lag in der Tropenwärme, wie von einem Mantel umhüllt. Der Gerichtsbote hatte draußen einen Wagen warten, ein Gespann von zwei sanften grauen Xlendis. Sie sprang neben ihm auf, und die Tiere setzten sich gemächlich und mit stetigem langsamen Trott in Bewegung und zogen sie durch die gewundenen Straßen in Richtung Basilika.

„Kannst du sie nicht ein wenig rascher laufen lassen?“ fragte sie.

Der Büttel zuckte die Achseln und gab den Tieren die Peitsche. Es bewirkte nichts. Nur das eine Xlendi krängte den langen Hals und blickte mit großen ernsten Goldaugen nach hinten, als wäre es verblüfft, daß da jemand ein rascheres Tempo von hm erwartete, als es sowieso vorlegte. Nialli Apuilana zwang sich, ihre Ungeduld zu zügeln. Der Heimkehrer, der Entronnene oder was sonst er war, der Fremde aus dem NEST, würde nirgendwohin gehen. Er wartete auf sie.

„Wir sind da, edle Dame“, sagte der Büttel.

Der Wagen hielt. Die Basilika lag vor ihnen, der hohe, von fünf Kuppeln gekrönte Palastbau am östlichen Rand des Hauptplatzes der Stadt. Die sinkende Sonne lag auf den grüngoldenen Mosaiken der Fassade und entflammte sie zu hellem Leuchten.

Drinnen glühten in dunklen Metalleuchtern flackernde Glühkugeln. Beamte standen steif im Gang herum und schienen weiter keine Aufgabe zu haben, als sie mit Kopfnicken und Verbeugungen zu grüßen, während sie vorbeigingen.

Der Fremde war die erste Person, die Nialli Apuilana erblickte. Er stand als scharfumrissene Silhouette in der Lichtpyramide, die von einem dreieckigen Fenster hoch droben, fast an der Spitze der Zentralkuppel, herabfiel. Er stand bedrückt da, die Schultern hängend, die Augen gesenkt.

Am Handgelenk trug er ein Nestband. An einer Schnur um seinen Hals hing ein Nestschutz.

Nialli Apuilanas Herz flog ihm entgegen. Wären sie allein gewesen, sie wäre auf ihn zugestürzt und hätte ihn unter Freudentränen umarmt.

Doch sie hielt sich zurück. Sie blickte vielmehr zu dem reichgeschmückten Thron des Richters unter dem bronzenen Bögengeflecht, das die Kuppel bildete, auf dem Husathirn Mueri saß, und erlaubte sich, seinen scharfen, nachdenklich prüfenden Augen zu begegnen.

Er wirkte irgendwie steif und verkrampft. Ein deutliches Duftsignal — ähnlich wie der Geruch von brennendem Holz — ging von ihm aus. Die Sprache seines Körpers war deutlich und keineswegs schwer zu entziffern.

In seinen glitzernden Bernsteinaugen stand hungriges Verlangen — nach ihr.

Ein anderes Wort vermochte sie dafür nicht zu finden. Nicht bloße geschlechtliche Lust, obwohl dies mitschwang; nicht eine Sehnsucht nach ihrer Freundschaft, obwohl er das durchaus so empfinden mochte; auch nicht ein zartes Gefühl, das man leichthin als Liebe hätte gelten lassen können. Nein, es war Hunger. Einfach, aber keineswegs klar. Und eigentlich auch gar nicht so einfach. Ihr schien es, als wollte er sich auf sie stürzen, sie verschlingen, ihr Fleisch zu seinem eigenen machen. Es war jedesmal das gleiche, wenn sie mit ihm zusammentraf (und dies war so selten, wie sie es anständigerweise einrichten konnte). Aber jetzt, als Husathirn Mueri sie über die Weite der Gerichtshalle hin anstarrte, hatte sie fast das Gefühl, als läge sein Gesicht zwischen ihren Schenkeln und bohre sich dort gierig ein. Was für ein sonderbarer Mann! Dabei doch äußerlich durchaus anziehend: schlank, elegant, geschmeidig, sogar schön (sofern es konventionell möglich gewesen wäre, einen Mann als ‚schön‘ zu bezeichnen). Und intelligent und in seinem Betragen sanft und höflich. Aber seltsam eben. Nein, Nialli Apuilana mochte ihn ganz und gar nicht!

Rechts vom Thron stand der gewaltige Muskelheld und Hauptmann der Wachen, Curabayn Bangkea, und sah unter seinem Riesenhelm halb begraben aus. Auch er glotzte sie ziemlich lasziv an, aber sie wußte, das, was sich in seinem Hirn abspielte, war weit weniger kompliziert. Sie war es gewöhnt, von Männern aller Art angestarrt zu werden. Natürlich wußte sie, daß sie attraktiv war. Alle Welt versicherte ihr, sie sei das Abbild ihrer Mutter Taniane, als diese jung war und einen seidigschimmernden rotbraunen Pelz und lange schlanke Beine hatte. und ihre Mutter hatte als die schönste Frau ihrer Zeit gegolten. Sogar heute noch sah sie außergewöhnlich attraktiv aus. Also — bin auch ich schön. also. starren sie mich an. Das geht bei denen ganz automatisch. Doch sie hatte auch irgendwie eine Ahnung, daß die Aura absoluter Unnahbarkeit, mit der sie sich gewöhnlich umgab, sie für manche Leute nur noch attraktiver machte.