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Diese Hjjks! Wie sehr sie dieses Volk verabscheute — und fürchtete! Von Kindesbeinen an wurde einem beigebracht, sie zu verachten. Sie waren häßlich, sie waren riesige, gräßliche Wanzengeziefer, wie aus einem Alptraum, erbarmungslos böse und eiskalt, fähig jede nur denkbare Greueltat zu begehen.

Ständig gab es Gerüchte über sie, über umher streifende Hjjk-Banden, die im freien Land überall im Osten und Norden lauerten. In Wahrheit steckte hinter fast all diesen Horrorgeschichten keinerlei Realität. Trotzdem — die Hjjks hatten ihr einziges Kind entführt, direkt vor den Mauern der Stadt hatten sie sie geraubt; und daß Nialli nach ein paar Monaten zurückgekehrt war, hatte Tanianes Abscheu vor ihnen nicht mildern können, denn das Mädchen war nachher auf geheimnisvolle Weise anders geworden. Nein, die Hjjks blieben die große Bedrohung. Sie waren der Feind, gegen den das VOLK eines Tages zum Kampf um die Vorherrschaft in der Welt würde antreten müssen.

Und dieses Vertragsangebot — diese angebliche Botschaft von ihrer gräßlichen Königin.

Taniane stieß Hreshs Bericht beiseite.

Ich bin jetzt schon so lange Häuptling, dachte sie. Schon seit meinen Mädchentagen. Mein ganzes Leben lang, wie es aussieht. fast vierzig Jahre lang.

Sie war zum Häuptling gewählt worden, als der Stamm noch winzigklein und sie selbst gerade erst Frau geworden war. Koshmar lag im Sterben, und Taniane war unter den jungen Frauen die stärkste und mit dem größten Weitblick begabte. Alle hatten ihr per Akklamation das Vertrauen ausgesprochen. Und sie hatte nicht gezögert. Sie wußte, sie war für das Häuptlingsgeschäft geschaffen, ebenso wie das Amt für sie. Allerdings hatte ihre Weitsicht nicht genügt, diese Entwicklung vorherzusehen: derartige Berichte und Untersuchungen und Importgenehmigungen. Und Gesandte von den Hjjks. Niemand hätte so etwas vorhersehen können. Wahrscheinlich nicht einmal Hresh.

Sie nahm einen weiteren Vorgang — die Sache mit den Rissen im Trassengrund der Thaggoran-Brücke. Dies schien ihr im Augenblick von vorrangiger Dringlichkeit zu sein. Du willst dich damit bloß vor dem wirklichen Problem drücken, schalt sie sich selbst. Und dann tauchten wieder diese anderen Wortgebilde vor ihren Augen auf.

DU HOCKST SCHON VIEL ZU LANG DA

HÖCHSTE ZEIT, DASS DU PLATZ MACHST

UND DIE RECHTMÄSSIGEN LEUTE

HERRSCHEN LÄSST

(„Abdanken, Edle? Du sollst abdanken?“ — „Ach, das ist doch bedeutungslos.“)

HÖCHSTE ZEIT.

(Bericht... Vertragsangebot... Hjjks

„. abdanken, Edle?“

„Würdest du mit denen einen Vertrag unterzeichnen?“

„Mutter? Mutter, geht es dir nicht gut?“

„Abdanken?“

Mutter, hörst du mich denn nicht?“)

HÖCHSTE ZEIT. DASS DU PLATZ MACHST.

„Mutter? Mutter!“ — Taniane hob den Blick. In der Tür zu ihrer Suite stand eine Gestalt. Und diese Tür stand jedem Bürger in Dawinno immer offen (allerdings wagten sich nur sehr wenige zu solcher Kühnheit vor). Mühsam konzentrierte Taniane den Blick. Sie begriff, daß sie sich in einer Art Dämmerzustand befunden hatte. War das Minguil Komeilt, die Sekretärin? Nein, bestimmt nicht. Minguil Komeilt war ein weiches, mollig rundes, verhuschtes Weibchen, und die Gestalt da war hochgewachsen, kräftig, athletisch und vibrierte von Ungeduld.

,„Nialli?“ sagte Taniane nach einer Weile.

„Du hast mich rufen lassen.“

„Ja. Ja, natürlich. Ja. Dann komm doch herein. Kind!“

Aber das Kind hing unschlüssig in der Tür herum. Nialli hatte eine grüne Mantilla beiläufig über die eine Schulter geworfen und trug um die Taille die orangerote Schärpe der Edelgeborenen. „Du siehst heut so merkwürdig aus“, sagte sie mit einem unverschämt festen Blick. „Ich hab dich noch nie so gesehen, Mutter. Was ist denn mit dir? Du bist doch nicht etwa krank?“

„Nein. Es ist gar nichts. Überhaupt nichts.“

„Ich hab gehört, sie haben dich heut früh mit Steinen beworfen.“

„Ach, du weißt es schon?“

„Alle wissen es. Hunderte von Leuten haben es selbst gesehen, und alle reden jetzt davon. Es macht mich so zornig, Mutter! Daß jemand es wagen darf. es wagt...“

„In einer derart großen Stadt muß es zwangsläufig auch eine beträchtliche Menge Narren geben“, sagte Taniane.

„Aber mit Steinen zu werfen, Mutter. dich gar verletzen zu wollen.“

„Da bist du falsch unterrichtet. Der Stein fiel weit vor mir zu Boden. Niemand hat versucht, mich zu treffen. Er sollte nur eine Nachricht zu mir bringen. Irgendein bengischer Agitator ist der Überzeugung, ich sollte abdanken. Ich hätte viel zu lang an meinem Amt geklebt, war die Botschaft. Zeit, daß ich Platz mache. Für einen Beng-Häuptling, nehme ich an.“

„Kann wirklich jemand soviel Frechheit besitzen, so etwas vorzubringen?“

„Nialli, die Leute maßen sich an, in allem und jedem mitzureden. Der Vorfall von heute früh ist bedeutungslos. Irgendein Verrückter, weiter nichts. Ein Agitator. Ich kann durchaus noch zwischen einem vereinzelten Drohbrief eines Spinners und dem Ausbruch einer Revolution unterscheiden.“ Sie schüttelte den Kopf. „Aber genug davon. Es gibt andres, worüber wir diskutieren müssen.“

„Du nimmst das so leicht, Mutter.“

„Na, sollte ich mich davon ernstlich beunruhigen lassen? Dann wäre ich eine Närrin.“

„Nein“, sagte Nialli in hitzigem Ton, „ich bin ganz und gar nicht deiner Meinung. Wer kann sagen, was für Kreise das noch ziehen wird, wenn man dem nicht sofort Einhalt gebietet? Du solltest den Kerl aufspüren lassen, der diesen Stein geworfen hat, und ihn an der Stadtmauer aufhängen lassen.“

Verkrampft starrten sie einander an. In Tanianes Augen begann es zu pochen, und sie spürte einen Knoten im Magen. Säfte gurgelten dort wütend und erstarrten. Mit jeder anderen Person, dachte sie, wäre dies hier eine bloße Diskussion; mit Nialli ist es eine Schlacht. Sie bekämpften sich ständig. Warum ist das nur so? Hresh hatte einmal gesagt, sie seien einander so ähnlich, und daß Gleiches Gleiches abstoße. Dann hatte er etwas mit kleinen Metallstäben gemacht, Experimente damit, wie der eine den anderen am einen Ende anzog, während bei umgekehrter Anordnung nichts geschah. Du und Nialli, hatte Hresh gesagt, seid einander zu ähnlich. Darum wirst du sie nie wirklich beeinflussen können. Dein Magnetismus kann bei ihr nicht wirksam werden.

Das mochte wohl so sein. Allerdings vermutete Taniane, daß noch etwas anderes mitspielte — eine Art Verwandlung, die mit Nialli während ihrer Zeit unter den Hjjks stattgefunden hatte und die sie nun so schwierig machte. Die Ähnlichkeit zwischen ihnen beiden allerdings war unbestreitbar. Sie waren beide aus demselben Holz. Und das war unheimlich und zuweilen beunruhigend. Wenn sie Nialli ansah, war das, als blickte sie in einen Spiegel, der zeitverschobene Bilder reflektierte. Fast hätte man sie für Zwillinge halten können, die auf geheimnisvolle Weise drei und eine halbe Dekade voneinander getrennt geboren wurden. Nialli war ihr einziges Kind, das Kind ihrer mittleren Jahre, das sie wie durch ein Wunder empfangen hatte, nachdem Hresh und sie schon längst die Hoffnung aufgegeben hatten, jemals Kinder zu bekommen; und das Mädchen hatte anscheinend so gar nichts von Hresh mitbekommen — außer vielleicht die Hartnäckigkeit und den unabhängigen Verstand. Sonst jedoch war Nialli wirklich wie eine wiedergeborene Taniane. Diese eleganten Beine, kräftigen Schultern und hohen Brüste, dieser seidig-prachtvolle rotbraune Pelz. Ja, dachte Taniane, sie wirkt königlich. Und ihre Haltung ist die eines Häuptlings. Etwas Strahlendes geht von ihr aus. Das war aber nicht immer ein erfreulicher Gedanke. Manchmal fühlte sich Taniane beim Anblick ihrer Tochter nur allzu schmerzlich an den eigenen alternden Leib erinnert. Dann spürte sie oft, wie sie bereits abwärts, in die Erde zu wachsen begann, dem Ruf der Mächte des Verfalls gehorchend, niedergedrückt von der Masse sich zersetzenden Fleisches und mürbe werdender Knochen — viel zu früh! Sie vernahm das Schwirren von Mottenflügeln, sah die grauen Staubstränge auf den Steinböden. Es gab Tage, da roch für sie die Luft nach Tod.