Выбрать главу

Nach einem langen Schweigen sagte Taniane: „Müssen wir immer streiten, Nialli? Wenn ich glaubte, daß bei der Sache Anlaß zu Besorgnis gegeben ist, würde ich ja Maßnahmen ergreifen. Aber wenn jemand mich wirklich stürzen wollte, würde er das ja nicht gerade mit Steinwürfen auf offener Straße tun. Das verstehst du doch?“

„Ja.“ Es war kaum mehr als ein Flüstern. „Ja, ich verstehe.“

„Schön.“ Taniane schloß einen Augenblick die Lider und mühte sich, die Erschöpfung und Anspannung loszuwerden. „Und jetzt können wir uns vielleicht der Sache widmen, deretwegen ich dich zu dieser Besprechung habe rufen lassen. Und zwar ist das der angebliche Gesandte, der von den Hjjks zu uns gekommen ist, und der angebliche Vertrag, den zu unterzeichnen er uns angeblich auffordern soll.“

„Warum soviel angeblich, Mutter?“

„Weil bisher alles, was wir über diese Sache wirklich wissen, von Hresh und dem Barak Dayir stammt. Der junge Mann selbst hat bisher noch nichts Sinnvolles von sich gegeben, oder?“

„Bisher noch nicht, nein.“

„Meinst du, es wird noch kommen?“

„Je mehr er sich wieder an unsere Sprache erinnert, vielleicht. Er hat dreizehn Jahre im NEST verbracht, Mutter.“

„Und wenn du nun in seiner Sprache mit ihm reden würdest?“

Nialli blickte verlegen drein. „Das kann ich nicht.“

„Du kannst überhaupt kein Hjjk sprechen?“

„Nur eine Handvoll Wörter, Mutter. Es ist Jahre her. und ich war doch nur ein paar Monate bei ihnen.“

„Aber du bringst ihm sein Essen?“

Nialli Apuilana nickte.

„Wie wäre es, wenn du die Gelegenheiten dazu benutztest, dein Hjjk aufzufrischen? Oder ihm einiges von unsrer Sprache beizubringen?“

„Das könnte ich ja versuchen“, antwortete Nialli mürrisch.

Das offenkundige Widerstreben war aufreizend. Taniane spürte den Widerstand geradezu körperlich. Das Kind war von Natur aus widerspenstig, immer in Opposition, dachte sie. Also sagte sie, vielleicht ein wenig zu scharf: „Du bist die einzige in dieser Stadt, die für uns als Dolmetsch in Frage kommt. Deine Mitarbeit ist entscheidend, Nialli. Das Präsidium wird bald zusammentreten und diese ganze Vertrags-Sache behandeln. Ich darf mich leider nicht ausschließlich auf Tranceerkenntnisse und Wundersteine verlassen. Der Barak Dayir, das ist ja schön und gut; aber wir brauchen handfeste wirkliche Sätze von diesem Jungen. Du wirst bitte einen Weg der verbalen Kommunikation mit ihm finden und so in Erfahrung bringen, was es mit der ganzen Sache auf sich hat. Dann will ich einen ausführlichen Bericht haben. Mit allem, was er zu dir sagt.“

Etwas war schiefgelaufen. Nialli biß trotzig die Zähne zusammen und schwieg. In ihren Augen war ein kaltes hartes Leuchten. Sie starrte nur wortlos vor sich hin, und das Schweigen dehnte sich über viel zu viele knisternde Augenblicke hin aus.

„Irgendwas problematisch dabei?“ fragte Taniane.

Nialli blickte mürrisch vor sich hin. „Ich mag mich nicht als Spitzel mißbrauchen lassen, Mutter!“

Spitzel? Das kam unerwartet. Es wäre Taniane nie in den Sinn gekommen, daß jemand die Betätigung als Übersetzer im Dienste des eigenen Volks für hinterhältig und für Spitzelei halten könnte. Wegen der Hjjks? überlegte sie.

Ja, ganz gewiß, es hängt damit zusammen, daß Hjjks hier involviert sind. Sie setzte sich betäubt und bestürzt nieder. Zum erstenmal erkannte sie, daß ihre Tochter sich in einem echten Loyalitätskonflikt befinden könnte.

Seit der Rückkehr aus der Gefangenschaft hatte Nialli zu keinem Menschen ein Wort über ihre Erfahrungen unter den Hjjks verloren: über das, was sie mit ihr gemacht hatten, kein Wort, nichts über das, was sie zu ihr sagten, kein Bröcklein Information darüber, wie das Leben im NEST war. Nialli hatte sämtliche Fragen unbeirrt abgebogen, war ausgewichen oder hatte auf Einzelfragen mit einer merkwürdigen Mischung von Bekümmertheit und stahlharter Wut reagiert, bis man es überhaupt aufgab, sie zu verhören. Bisher hatte Taniane angenommen, daß das Kind ganz einfach nur seine Intimsphäre nicht preisgeben oder sich gegen wiedererweckte schmerzliche Erinnerungen schützen wolle. Wenn Nialli jedoch in der Aufforderung, über ihre Kontakte mit Kundalimon zu berichten, so etwas wie Verrat und Bespitzelung sah, dann mochte es sehr wohl sein, daß es sich um intime Geheimnisse der Hjjks handelte, die zu schützen sie sich so stark bemühte, nicht ihre eigenen. Die Sache bedurfte weiterer Nachforschungen.

Zum jetzigen Zeitpunkt allerdings konnte sich die Stadt den Luxus derartiger zwiespältiger Loyalitäten nicht leisten. In ihren Mauern befand sich ein leibhaftiger Gesandter der Hjjks — auch wenn seine Zunge stumm blieb und er sich unkommunikativ verhielt. An seiner eventuellen Botschaft herumzurätseln oder sich auf Hreshs durch den Wunderstein gesteigerte telepathische Intuition und Betastung des Bewußtseins des Gesandten zu verlassen, das genügte einfach nicht. Der Mann mußte irgendwie dazu gebracht werden, seinen Auftrag in Worte zu fassen. Also mußte Nialli einfach nachgeben. Ihre Mitwirkung war einfach zu wichtig.

Brüsk sagte Taniane also: „Was ist denn das für ein Unsinn? Das hat doch mit Bespitzelung ganz und gar nichts zu tun. Wir sprechen von einem Dienst an deiner Stadt. Ein Fremder taucht auf, mit Nachrichten, daß die Königin mit uns verhandeln möchte. Doch er kann unsere Sprache nicht sprechen, und keiner hier die seine, mit Ausnahme einer jungen Frau, die zufällig die Tochter des Häuptlings ist, die jedoch irgendwie zu glauben scheint, es sei irgendwie ethisch fragwürdig, wenn sie uns hilft zu begreifen, was der Abgesandte einer fremden Rasse uns mitteilen möchte.“

„Du verdrehst alles, wie es dir paßt, Mutter. Mir gefällt ganz einfach die Vorstellung nicht, wenn es mir gelingt, zu einer Art Kommunikation mit Kundalimon zu gelangen, daß ich dann verpflichtet sein soll, alles, was er mir anvertraut, an dich weiterzugeben.“

Taniane verspürte einen Anflug von Verzweiflung. Einst hatte sie geglaubt, Nialli Apuilana würde einmal ihre Nachfolge als Häuptling antreten; aber das konnte offensichtlich nie geschehen. Das Kind war unmöglich. Nialli war verwirrend: unstet, starrköpfig, launenhaft.

Es war ihr jetzt klar geworden, daß der langen Folge von Häuptlingsherrschaft, die sich bis in die fernen Tage der Kokonzeit zurückverfolgen ließ, nun das Ende drohte. Und es sind die Hjjks, die mir das antun, dachte Taniane. Ein weiterer Grund, sie zu verabscheuen. Trotzdem, ich darf nicht zulassen, daß Nialli in dieser Auseinandersetzung siegt.

Sie raffte alle ihre Kraft zusammen und sagte: „Du mußt es tun. Es ist für unsere Sicherheit von allergrößter Wichtigkeit, daß wir herausfinden, worum es bei der Sache geht.“

„Ich muß?“

„Ich will, daß du es tust. Ja, du mußt.“

Schweigen. Der innere Widerstand zeigte sich an den Trotzfalten auf Niallis Stirn. Taniane starrte sie kalt und mitleidlos an und setzte dem scharfen Blick ihrer Tochter einen noch unbeugsameren Ausdruck entgegen, mit dem sie Nialli zu beugen versuchte. Um dies noch zu unterstreichen, gestattete sie ihrem Zweiten Gesicht sich aufzurichten, und Nialli schaute sie verwirrt an. Taniane setzte den Druck fort.

Aber Nialli Apuilana ihrerseits widersetzte sich gleichfalls weiter.

Schließlich gab sie nach, so schien es jedenfalls. Kühl, beinahe verächtlich sagte sie: „Also gut. Wie du willst. Ich werde tun, was ich kann.“