„Trotzdem. Die Sache ist es nicht wert.“ Auf dem Anmarsch hatten sie darüber geredet, daß ihnen da in der Wildnis möglicherweise was Scheußliches über den Weg laufen könnte. Und wäre es dann die paar Tauschlinge wert, hier zu sterben? Gewiß nicht. Aber so war die Sache nun einmaclass="underline" Du ißt gern und möglichst regelmäßig, also ziehst du los und jagst, wo sie es dir befehlen, und da fängst du eben, was sie haben wollen. So ist das nun mal. Die befehlen — wir tun es.
„Also, bringen wir’s hinter uns“, sagte Kaldo Tikret.
„Genau“, sagte Sipirod. „Aber vorher müssen wir erst einmal durch den Sumpf.“
Sie ging voran. Auf Zehenspitzen, als rechnete sie damit, daß der schwammige Grund sie verschlucken könnte, wenn sie mit vollem Gewicht auftrat. Während sie südwärts vordrangen, auf den nächsten See zu, verdichtete sich der Pollendunst in der Luft mehr und mehr. Der Samenstaub setzte sich in ihrem Pelz fest und verklebte ihnen die Nüstern. Die Luft schien zum Greifen dick, und die Hitze war drückend. Sogar in den Eistagen des Langen Winters mußte hier ein milderes Wetter geherrscht haben, und nun, wo der Neue Frühling von Jahr zu Jahr mit größerer Wärme heraufzog, keuchte das Land im Griff einer fast unerträglichen schwülen Hitze.
„Schon irgendwo ’nen Caviandis gesichtet?“ fragte Vyrom.
Sipirod schüttelte den Kopf. „Hier doch nicht. An den Flußläufen, den Bächen.“
Sie zogen weiter. Das ferne polternde Gebrüll wurde lauter.
„Hört sich fast an wie ein Gorynth“, bemerkte Kaldo Tikret nachdenklich. „Wir sollten vielleicht ’ne andre Richtung einschlagen?“
„Es sind aber Caviandis hier“, sagte Sipirod.
Und Kaldo Tikret sagte finster: „Ja, und wir setzen unser Leben aufs Spiel, damit der Chronist nur ja seine Caviandisse zum Studieren kriegt. Bei der Heiligen Fünffaltigkeit, der ist geil auf ihre Kopulationstechnik, meint ihr nicht auch?“
„Der nicht“, sagte Vyrom mit einem Lachen. „Ich wette, den interessiert sowas ebensowenig wie ein feuchter Hjjk-Furz, so wie der ist.“
„Also, aber er muß doch wenigstens einmal“, sagte Kaldo Tikret. „Immerhin gibt’s da ja Nialli Apuilana!“
„Seine wilde Tochter. Stimmt.“
„Andrerseits, wer weiß, ob er überhaupt was mit ihrer Entstehung zu tun hat? Also, wenn ihr mich fragt, dann ist Nialli Apuilana ganz ohne Hreshs Mitwirkung dem Bauch Tanianes entsprossen. Sie hat so gar nichts von ihm. Wie Schwestern sehen die zwei aus, nicht wie Mutter und Tochter.“
„Seid still“, sagte Sipirod und warf den zwei Männern einen drohenden Blick zu. „Das ganze Geschnatter ist hier wirklich nicht grad nützlich für uns.“
Kaldo Tikret sprach dennoch weiter: „Aber man sagt, daß Hresh zu sehr in seinen Studien und Zaubersprüche vertieft ist, als daß er die Zeit für eine Kopulation erübrigen kann. Was für eine Verschwendung! Ich will euch mal was sagen, wenn ich eine von den beiden, die Mutter oder die Tochter, ha, oder beide, nur mal für eine Stunde bei mir im Bett haben dürfte.“
„Schluß!“ sagte Sipirod mit diesmal schärferem Ton. „Wenn ihr schon keinen Respekt vor dem Häuptling oder ihrer Tochter habt, so zeigt doch wenigstens ein bißchen für euren eigenen Hals. Solche Rede ist Hochverrat. Außerdem haben wir zu tun. Da, seht ihr?“
„Ist das ein Caviandi?“ flüsterte Vyrom.
Sie nickte. Hundert Schritt weiter vorn, wo sich ein hurtiges schmales Bächlein in den stagnierenden algenversumpften See ergoß, kauerte eine Kreatur von der Größe eines halbwüchsigen Kindes und fischte mit seinen breiten Händen vom Ufer aus. Sein purpurfarbener Körper war schlank, und vom Hals zog sich eine steife gelbe Haarmähne das Rückgrat hinab. Sipirod bedeutete den Männern mit einer Kopfbewegung, sie sollten still sein, und schlich sich lautlos an. Im letzten Augenblick blickte sich das völlig überraschte Caviandi um. Es stieß einen leisen Seufzer aus und duckte sich wie gelähmt an Ort und Stelle zu Boden.
Dann richtete es sich auf den Hinterläufen auf und hob die Vorderhände zu einer Art Geste der Unterwerfung. Die Arme waren dick und kurz, und die ausgestreckten Finger sahen nicht sehr anders aus als die der Jäger. Die Augen schimmerten violett und blickten unerwartet intelligent.
Keiner bewegte sich.
Nach einer langen Pause machte das Caviandi plötzlich einen Satz und versuchte zu fliehen. Dabei beging es jedoch den Fehler, in den Wald hinter ihm entkommen zu wollen, anstatt zum See hin, und Sipirod war zu schnell. Sie stürzte schlitternd und springend über den schwammigen Boden und hinterließ eine tiefe Spur. Sie packte das Tier an der Gurgel und an der Leibesmitte und schwang es in die Höhe. Das Caviandi quiekte vor Angst und strampelte, bis Vyrom kam und es in einen Sack stopfte. Kaldo Tikret verschnürte diesen.
„Das war Nummer eins“, sagte Sipirod mit Befriedigung. „Ein Weibchen.“
„Du bleibst da und paßt drauf auf“, sagte Vyrom zu Kaldo Tikret. „Und wir suchen noch eins. Dann können wir von hier verschwinden.“
Kaldo Tikret wischte sich ein gelbes Moospollenklümpchen von seinem struppigen Schnauzer. „Dann beeilt euch mal! Es gefällt mir gar nicht, hier allein rumzustehen.“
„Klar“, höhnte Vyrom. „Es könnten sich ja ein paar Hjjks ranschleichen und dich verschleppen.“
„Hjjks? Meinst du, ich fürchte mich vor Hjjks?“ Kaldo Tikret lachte. Mit raschen kantigen Handbewegungen zeichnete er die Umrisse eines Insektenmenschen in die Luft: den hochragenden verlängerten Körper, die scharfen Einschnürungen zwischen Schädel und Thorax und Thorax und Abdomen, den langen schmalen Kopf, den vorgestülpten Rüssel, die mehrfach artikulierten Gliedmaßen. „Ich würde jedem Hjjk glatt die Beine ausreißen, wenn er versucht, mir lästig zu werden“, sagte er und demonstrierte es gleich in einer wilden Pantomime. „Und dann stopfe ich sie ihm in sein Spundloch. Außerdem, was hätten denn Hjjks in so ’ner heißen Gegend zu suchen? Aber gefährlich genug ist es hier trotzdem, also beeilt euch, ja?“
„Wir machen so schnell, wie es geht“, versprach Sipirod.
Doch das Glück hatte sie verlassen. Eine Stunde und noch eine halbe stapfte sie mit Vyrom fruchtlos durch die Sümpfe, bis ihr Fell elendig naß und überall leuchtendgelb gefärbt war. Die Moosblüten pumpten unermüdlich ihren Pollen und verdunkelten den Himmel damit, und alles, was in der Dschungel phosphorisch oder lumineszent war, fing an zu glühen und zu pulsen. Manche der Laternenbäume begannen zu strahlen wie Leuchttürme, das Moos selbst glühte hell, und von der Seenfläche stieg eine düstre bläuliche Strahlung auf. Und sie fanden keine Spur von irgendwelchen weiteren Caviandis.
Also kehrten sie schließlich um. Fast wieder an der Stelle zurück, an der sie Kaldo Tikret verlassen hatten, hörten sie plötzlich einen heiseren, unheimlich erstickt klingenden Hilferuf.
„Schnell!“ rief Vyrom. „Er steckt in der Klemme.“
Sipirod packte ihren Partner am Handgelenk. „Warte!“
„Warten, wieso?“
„Wenn da was nicht stimmt, wäre es sinnlos, daß wir beide uns da reinstürzen. Ich geh mal vor und schau nach, was dort los ist.“
Sie glitt durch den Bruch und trat auf die Lichtung.
Und sah den schwarzen glitzernden Hals eines Gorynthen aus dem See ragen; vielleicht war es das Ungeheuer, das sie vorher heulen gehört hatten. Der Leib des Riesengeschöpfes lag unter Wasser. Nur die gebogene obere Partie war als ein Strang halb abgesoffener Fässer sichtbar; aber der Hals, fünfmal mannslang und geschmückt mit stumpfen schwarzen Stacheln in Dreieranordnung, ragte empor und krümmte sich wieder abwärts, und an seinem Ende zappelte Kaldo Tikret in den gewaltigen Kiefern. Er rief noch immer um Hilfe, aber es klang bereits ziemlich schwach. Im nächsten Augenblick würde er ins Wasser gezerrt werden.
„Vyrom!“ schrie Sipirod.