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„Nur noch ein Stückchen. Bleib doch und warte auf die große Enthüllung.“

Er bemühte sich um einen leichten Ton. Es ging nicht an, sie seine Bedrückung merken zu lassen.

Sie hatte selbst Frustrationen zur Genüge, wie er wußte. Auch sie kam sich inmitten der angehäuften Fragmente zerbröselnder ausgewaschener Vergangenheit, die das Haus des Wissens barg, mehr und mehr verloren vor.

Er streifte sie mit einem Blick und fragte: „Was war mit den Relikten, mit denen du herumgespielt hast? Das Zeug, das diese Bauern in der Senufit-Schlucht gefunden haben.“

Sie lachte ohne Fröhlichkeit. „Der Kasten voller Schrott? Nichts außer Sand und Rost.“

„Ah? Und ich dachte schon, du sagtest, es stammt aus einer Prägroßweltschicht von sieben, acht Millionen Jahren?“

„Dann ist es eben sieben, acht Millionen Jahre alter Sand und Moder. Ich hatte gehofft, du hast hier mehr Glück.“

„Bei meinem Glück?“

„Das kann man nie wissen“, sagte Chupitain Stuld und trat an den Arbeitstisch. „Darf ich helfen?“

„Klar, gern. Bring die Zugkrampen da in Position. Ich hab den Schnitt jetzt fast fertig, und wir können dann die obere Hälfte abheben.“

Chupitain Stuld zog die Krampen herunter und befestigte sie. Plor Killivash nahm die letzte Stärkejustierung an seinem Skalpell vor. Seine Finger fühlten sich wie geschwollen an und waren grob und ungeschickt. Er ertappte sich bei dem Wunsch, daß Chupitain Stuld in ihrem eigenen Arbeitsbereich geblieben wäre. Sie war ein so bezaubernder Anblick — klein und zierlich, und mit dem für ihren Stamm typischen weichen limonengrünen Pelz war sie außerordentlich schön. Und heute trug sie überdies eine gelbe Schärpe und eine königsblaue Mantilla. sehr elegant. Sie waren nun schon seit einigen Monden Kopulationspartner und hatten sogar bereits ein paarmal getvinnert. Aber trotzdem, in diesem Moment wollte er sie einfach nicht hier haben. Er war überzeugt, daß er beim letzten Schnitt alles versauen werde, und der Gedanke, daß sie ihm dabei zuschauen sollte, war ihm zuwider.

Schluß! Kein fürdres Zaudern, befiehlt er sich. Kontrolliert seine Kalibrierung zum letztenmal. Holt heftig Luft. Und zwingt sich schließlich dazu, den Auslöser zu drücken. Der Strahl züngelt und beißt sich in die muschelähnliche Wandung des Artefakts. Ein rascher Nagebiß. Er schaltet den Strahl ab. Eine dunkle Inzisionslinie zeichnet sich ab. Der obere Teil des Objektes hebt sich unmerklich von der unteren Hälfte.

„Soll ich ein bißchen mehr Zug geben?“ fragte Chupitain Stuld.

„Ja. Aber nur ganz wenig.“

„Es gibt nach, Plor Killivash! Gleich hebt es sich!“

„Vorsichtig jetzt. behutsam.“

„Wäre es nicht wunderbar, wenn das Ding voll von Amuletten und Juwelen der Seelords steckte! Vielleicht noch ein Geschichtsbuch aus der Großen Welt, geschrieben auf unvergänglichen Goldmetallplatten.“

Plor Killivash lachte glucksend. „Wieso nicht gleich einen ganzen richtigen Seelord im Tiefschlaf, der bloß drauf wartet, erweckt zu werden, damit er uns alles über sich selber sagen kann, he?“

Die Schalenhälften hoben sich voneinander. Das wuchtige Oberteil stieg um Fingersbreite, dann noch einmal und noch einmal. Als die letzte innerste Schutzhülle brach, ergoß sich eine Fontäne von Meerwasser aus dem Spalt.

Einen Moment lang verspürte Plor Killivash kurz wieder die zuckende Erregung wie in der ersten Zeit, als er hier ein Neuling war, vor fünf, sechs Jahren, als ihm ein jeder neue Tag als wunderbarer Fortschritt auf dem Weg der Erkenntnis der Rätsel der Vergangenheit erschienen war. Aber die Chancen standen wohl eher so, daß das Ding wertlos war. Es war nicht mehr viel aus der Großwelt übrig, siebentausend Hundertjahre nach ihrem Zusammenbruch, das man hätte finden können. Die Gletscher, die über die Oberfläche des Landes auf und ab gehobelt hatten, hatten nur allzu gute Arbeit geleistet.

„Siehst du was?“ fragte Chupitain Stuld und versuchte über die Kante des geöffneten Behältnisses zu spähen.

„Voll von Amuletten und Juwelen, klar doch. Und dazu ein ganzes Sortiment grandioser Maschinen in perfektem Wartungszustand.“

„Ach, hör schon auf!“

Er seufzte. „Also schön. Da, schau selbst. “

Er hob sie hoch und ließ sie auf seinem Arm sitzen, und dann blickten sie beide ins Innere des Objekts.

Dort lagen neun rotbläuliche lederartige, aber durchscheinende Kugelblasen von der Größe eines Männerschädels, die durch stramme gummiartige Hautbänder an der Wandung des Behälters klebten. In ihrem Innern waren undeutlich Formen erkennbar. Irgendwelche verschrumpft und zersetzt wirkende Körperorgane. Ein fauliger Verwesungsgestank stieg auf. Sonst geschah nichts. Und da war nichts sonst außer einer feuchten weißen Sandschicht an der Wand des Behälters und eine flache undurchsichtige Wasserpfütze auf seinem Grund.

„Keine Relikte der Seelords, leider“, sagte Plor Killivash.

„Nein.“

„Der Fischer bildete sich ein, er hat die zertrümmerten Steinsäulen einer Ruinenstadt aus dem Sand am Grund der Bucht ragen sehen, dort wo er das Ding hier eingefangen hat. Der hat an dem Tag bestimmt zuviel Wein zum Mittagbrot getrunken.“

Chupitain Stuld starrte schaudernd in das geöffnete Behältnis. „Was ist das? Irgendwelche Eier?“

Plor Killivash zuckte eine Achsel.

„Das ganze Ding war möglicherweise ein einziges Riesenei, und ich möchte dem Geschöpf ungern begegnen, das es gelegt hat. Die Klumpen da sind die Embryonen von Seeungeheuern, vermute ich. Tot natürlich. Ich mache wohl besser einen Bericht darüber und schau, daß ich sie hier rauskriege. Sie werden ziemlich rasch gräßlich stinken.“

Er hörte ein Geräusch in seinem Rücken. Vom Gang spähte Io Sangrais herein. Seine rubinroten Bengaugen blitzten amüsiert. Io Sangrais war ein pfiffiger verspielter, gewandter und leichtherziger junger Mann. Sogar der Stammeshelm auf seinem Kopf war verspielt: eine eng anliegende Kappe aus dunkelblauem Metall, aus der absurd drei Korkenzieherspiralen aus rotlackierten Schilfstengeln wild emporragten.

„Hoppla! Hast es endlich doch aufgekriegt, wie ich sehe.“

„Ja, und es ist ein wundervolles Schatzkästchen, genau wie ich das erwartet habe“, sagte Plor Killivash mürrisch. „Ein Haufen vergammelter kleiner ungeschlüpfter Seeungeheuer. Ein weiterer großer Triumph für den kühnen Erkunder der Vergangenheit. Bist du gekommen, um dich an meinem Glanz zu weiden?“

„Warum sollte ich das denn wollen?“ Io Sangrais’ Stimme war honigsüß vor gespielter Unschuld. „Nein. Ich bin natürlich nur hier runtergekommen, um dir von dem grandiosen Triumph zu berichten, den ich mir grad geleistet habe.“

„Ach ja? Hast du endlich deine alte Beng-Chronik fertig übersetzt? Und sie strotzt von Zaubersprüchen und Beschwörungsformeln, wie man Wasser in Wein verwandeln kann — oder Wein in Wasser, je nachdem, was man gerade lieber hat. Stimmt’s?“

„Spar dir deinen Spott. Wie sich herausstellte, ist es überhaupt keine Beng-Chronik, sondern stammt von irgendeinem neuntklassigen kleinen Stamm, den die Beng vor langer Zeit geschluckt haben. Und es ist bemerkenswerterweise ein ausführlicher und gründlicher beschreibender Katalog der Sammlung dieses Stammes von geheiligten — Kieseln. Die Steine selbst gingen vor zehntausend Jahren verloren, kapierst du?“

Chupitain Stuld gluckste. „Und so erhebt sich gewaltiges Jauchzen im Land. Die Aufdröselung der Rätsel der Vergangenheit durch die Experten des Hauses des Wissens schreitet unaufhaltsam im gewohnten bestürzenden Trott voran.“

An diesem Nachmittag hatte Husathirn Mueri wieder Throndienst unter der großen Zentralkuppel der Basilika, eine Pflicht, in der er sich in täglicher Rotation mit den Prinzen Thu-Kimnibol und Puit Kjai abwechselte. Müde hörte er die Petitionen zweier grobstimmiger Getreidehändler, die von einem dritten Kornschieber Wiedergutmachung forderten, der sie vielleicht betrogen hatte, vielleicht aber auch nicht, als man ihm Nachricht brachte von der Ankunft des Fremden in der Stadt.