Kein Geringerer als Curabayn Bangkea, der Hauptmann der Stadtwache persönlich, überbrachte ihm die Nachricht: ein Mann von herzhaftem Wuchs und breitspurigem Gehabe, der in der Regel mit einem kolossalen blitzenden Goldhelm bedeckt war, anderthalbmal so groß wie sein Schädel und verziert mit geschmacklosen zahllosen Hörnern und Klingen. Er trug den Helm auch jetzt. Husathirn Mueri empfand dies als zugleich amüsant und ärgerlich.
Natürlich war es durchaus in Ordnung, daß er einen Helm trug. Die meisten Bürger taten das jetzt, ohne Rücksicht darauf, ob sie wirklich Abkömmlinge des einstigen helmtragenden Stammes der Beng waren oder nicht. Curabayn Bangkea war immerhin Vollblut-B eng. Doch Husathirn Mueri, väterlicherseits selber ein Beng, während seine Mutter eine Koshmar war, fand denn doch, der Hauptmann der Wachen übertreibe das Prinzip über Gebühr.
Er selbst legte auf Formalitäten keinen besonderen Wert. Ein Wesenszug, den er möglicherweise von seiner Mutter hatte, die eine freundliche umgängliche Frau war. Und außerdem konnten ihn Männer wie dieser Wachsoldat nicht weiter tief beeindrucken; Leute, die breitbeinig durchs Leben stampften und sich durch Körpermasse und protziges Gehabe Bahn brachen. Er selbst war von leichtem Körperbau, hatte eine schmale Taille und abfallende Schultern. Sein Pelz war schwarz und dicht, mit scharfen weißen Streifen an einigen Stellen und beinahe so seidig wie der einer Frau. Allerdings war seine körperliche Leichtigkeit trügerisch, er war schnell und gewandt, und sein Körper verfügte über eine raffiniert plötzliche Kraft — wie eine Peitsche (seine Seele im übrigen gleichfalls).
„Nakhaba sei dir hold“, erklärte Curabayn Bangkea mit grandiosem Helmkopfneigen, als er sich dem Thron näherte. Und um noch eins draufzusetzen schlug er auch noch die Zeichen Yissous-des-Beschützers und Dawinno-des-Zerstörenden. Die waren zwei Hauptgötter der Koshmar. (So etwas ist stets nützlich, wenn man es mit Gemischtrassischen zu tun hat!)
Husathirn Mueri war insgeheim überzeugt, daß alle Welt mit derartigen Segenssprüchen und Gestenritualen viel zuviel Zeit vergeude, und antwortete mit einer Andeutung des Yissou-Zeichens. Dann sprach er: „Was gibt’s denn, Curabayn Bangkea? Ich muß mich da mit diesen erzürnten Bohnensäcken herumplagen, und ich habe eigentlich nicht vor, mir heut nachmittag noch mehr Ärger zuzumuten.“
„Vergebung, Throngnaden. Man hat einen Fremdling arretiert, direkt vor der Stadtmauer.“
„Einen Fremden? Was für einen Fremden?“
„Das weiß ich ebensowenig wie du“, sagte der Hauptmann und schüttelte so heftig den Kopf, daß ihm fast der klirrende Riesenhelm davongeflogen wäre. „Es ist ein sehr fremder Fremdling, ja, das ist er. Ein Jüngling noch, sechzehn, siebzehn, dünn wie eine Zaunlatte, als wie wenn er sich sein Leben lang bis jetzt durchgehungert hätte. Und dann kommt der aus dem Norden hier angeritten und sitzt auf dem größten Zinnobären, den man je gesehen hat. Ein Haufen Bauern hat ihn aufgespürt, weil er ihnen draußen im Emakkis-Tal die Felder zertrampelt hat.“
„Soeben, sagst du?“
„Vor zwei Tagen, oder so etwa. Also, zwei und einen halben, um genau zu sein.“
„Und er ritt auf einem Zinnobären?“
„Ja, so groß wie anderthalb Häuser“, sagte Curabayn Bangkea und breitete die Arme aus. „Doch warte, es kommt noch besser. Das Zinnobär trägt am Hals eine Hjjk-FIagge, und seine Ohren sind mit Hjjk-Abzeichen bestickt. Und der Kerl hockt da droben und gibt Laute von sich — genau wie ein Hjjk.“ Curabayn Bangkea legte beide Pranken an den Hals und stieß trockne rasselnde Kehllaute aus: „Khkhkh, Sjsjsjsss, Ggggggggjjjjk. Du weißt schon, was die für einen gespenstischen Lärm machen. Seit die Bauern ihn abgeliefert haben, haben wir ihn ununterbrochen verhört, aber mehr ist einfach nicht aus ihm rauszukriegen. Ab und zu stottert er ein Wort, das wir mehr oder weniger verstehen: Frieden, sagt er. Liebe, sagt er. die Königin, sagt er.“
Husathirn Mueri verzog nachdenklich die Stirn. „Was ist mit seiner Schärpe? Irgendein Stamm, der uns bekannt ist?“
„Er trägt keine Schärpe. Und auch keinen Helm. Überhaupt nichts, was darauf schließen lassen würde, daß er aus Yissou City kommt. Natürlich kann er auch aus einer der Städte im Osten gekommen sein, aber ich bezweifle das stark. Ich denke, es ist ziemlich klar, was er ist, Herr.“
„Und das wäre?“
„Ein Flüchtling der Hjjks.“
„Ein Entflohener.“, sagte Husathirn Mueri nachdenklich. „Ein entsprungener Gefangener? Meinst du das?“
„Na, das ist doch einleuchtend, Herr! Alles an ihm riecht nach Hjjk! Nicht bloß das Gekrächze, das er von sich gibt. Er trägt auch ein Armband, das aussieht, wie wenn es aus geglättetem Hjjkpanzer gemacht ist — leuchtendgelb, ja so ist es, und mit ’nem schwarzen Band. und einen Brustpanzer aus dem gleichen Zeug. Weiter hat er nichts an, nur die zwei Stücke aus Hjjk-Panzer. Was sonst, deine Gnaden, könnte er denn andres sein als ein Flüchtling?“
Husathirn Mueri zog die Augen zu Schlitzen zusammen. Die Augen waren bernsteingolden, ein Merkmal seiner Mischrassigkeit, und sehr scharf.
Hin und wieder geschah es, daß ein umherwandernder Trupp von Hjjks auf ein streunendes Kind stieß, das sich an einem Ort aufhielt, an dem es nicht sein sollte, und sich dann mit dem Streuner aus dem Staub machte. Niemand wußte zu sagen, warum. Aber es war nun einmal die abgründige Besorgnis eines Elters, daß die Hjjks ihr oder ihm ein Kind stehlen könnten. Von den meisten dieser Kinder vernahm man nie wieder etwas. Aber hin und wieder gelang es doch einem, nach Tagen, Wochen oder sogar Monden der Abwesenheit zu entfliehen und zurückzukehren. Dann wirkten diese Heimkehrer zutiefst verwirrt und auf unglaubliche Weise verwandelt, als hätten sie in der Zeit der Gefangenschaft unvorstellbar Entsetzliches durchlitten. Nicht einer der Zurückgekehrten hatte sich jemals bereit gefunden, auch nur mit einem Wort zu schildern, was für Erfahrungen er bei den Insektenleuten durchleben mußte. Und es galt als grob taktlos, sie danach zu fragen.
Allein schon der Gedanke an Hjjks erregte Übelkeit in Husathirn Mueri. Die Vorstellung, unter ihnen leben zu müssen, war für ihn die elendigste Quälerei, die er sich auszudenken vermochte.
Mit eigenen Augen hatte er Hjjk-Leute nur einmal in seinem Leben gesehen, als kleiner Knabe, der unter den Beng in Vengiboneeza heranwuchs, der alten Hauptstadt der Saphiräugigen, in der sich einige Stämme des ‚Volkes‘ am Ende des Langen Winters niedergelassen hatten. Doch diese einmalige Erfahrung hatte ihm genügt. Niemals würde er sie vergessen: die hageren, hochragenden Insektenkreaturen, viel größer als jeder ausgewachsene Mann, diese fürchterlichen abstoßenden Fremden. Sie waren in derart gewaltigen Schwärmen herangezogen und hatten Vengiboneeza dermaßen penetriert, daß der gesamte Stamm der Beng, der sich dort nach Jahren der Wanderschaft in den Großweltbauten niedergelassen hatte, schließlich gezwungen war, die Flucht zu ergreifen. Unter gewaltigen Schwierigkeiten, in einer Periode voll Nässe und Stürme hatten sie die endlosen Küstenebenen und die Täler durchquert. Und sie waren schließlich in Dawinno angelangt, in der großen neuen Stadt im Süden, die der Stamm Koshmar, angeführt von Hresh, nach dessen eigenem Auszug aus Vengiboneeza errichtet hatte. Und hier hatten sie Zuflucht gefunden.
Diese beschwerliche Wanderschaft war noch immer tief in seine Erinnerung gebrannt. Er war damals fünf gewesen, seine Schwester, Catiril, ein Jahr jünger.
„Warum müssen wir denn aus Vengiboneeza fort?“ hatte er wieder und immer wieder gefragt. Und seine liebsanfte Mutter hatte ihm geduldig stets die gleiche Antwort gegeben: