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Er saß da und wartete; und er war jetzt ruhiger. Schließlich drang der Schatten von Curabayn Bangkeas Gigantenhelm in die Kuppel vor, und dem folgte Curabayn Bangkea selber, und er führte den Fremdling an einem langen geflochtenen Weidenstrick herein. Bei seinem Anblick richtete sich Husathirn Mueri straff auf, und seine Finger umklammerten fest die Armstützen des Thrones, die klauenumklammerte Kugeln waren.

Der Fremdling wirkte wahrhaftig sehr fremd.

Er war jung, am Ende seiner Knabenjahre vielleicht, vielleicht schon im Frühstadium der Mannheit; schmale, gebogene Schultern, Arme, die aussahen wie vertrocknete Halme, kurz: von geradezu schmerzender Magerkeit war der Fremde. Was er an Schmuck trug, der Armreif und die schimmernde Brustplatte, schienen in der Tat polierte Fragmente eines harten Hjjk-Panzers zu sein (ein etwas gruseliger Akzent). Der Pelz war schwarz, jedoch nicht von dem tiefen, üppigen Schwarz wie bei Husathirn Mueri; ihm haftete ein stumpfgrauer Schimmer an, und insgesamt war es, was einen Pelz angeht, eine erbärmlich struppige Angelegenheit: stellenweise schütter, ja beinahe abgewetzt. Husathirn Mueri begriff: Dieser junge Mann wurde seiner Lebtage lang unterernährt; er hat gelitten.

Und diese Augen! Bleich, kalt und starr wie Eis! Sie schienen wie über einen viele Welten weiten Abgrund zum Gerichtsthron heraufzustarren. Die fürchterlichen, erbarmungslosen Augen eines Feindes. Doch je mehr er in diese Augen blickte, desto mehr begann Husathirn Mueri sie als von Trauer erfüllt und mitleidsvoll zu sehen, als die Augen eines Propheten und Heilbringers.

Wie war das möglich? Der Widerspruch brachte ihn durcheinander.

Auf jeden Fall — wer immer und was immer dieser Jüngling sein mochte — gab es wohl keinen Grund, ihn so in Fesseln zu halten. „Befreit ihn!“ befahl er.

„Aber wenn er flieht, deine Thron-Gnaden.!“

„Er ist in bestimmter Absicht hergekommen. Durch eine Flucht würde er sie nicht fördern. Setzt ihn frei!“

Curabayn Bangkea knüpfte den Knoten auf. Der Fremdling wirkte auf einmal größer, aber er bewegte sich weiter nicht.

Husathirn Mueri sprach: „Ich bin hier, um für diesen Tag die Thronpflichten dieses Gerichts wahrzunehmen. Mein Name ist Husathirn Mueri. Wer bist du, und zu welchem Behufe kamst du in unsere Stadt Dawinno?“

Der Knabe gestikulierte mit heftigen, hastigen flatternden Fingerzuckungen und produzierte tief in der Brust heiser-zirpende Hjjk-Laute, als wollte er sie Husathirn Mueri sozusagen vor die Füße spucken.

Husathirn Mueri überlief ein Schauder, und er lehnte sich zurück. Das war ja fast so, als hätte man einen leibhaftigen Hjjk hier im Thronsaal. Er spürte, wie der Abscheu in ihm wuchs.

„Ich spreche kein Hjjk“, sagte er eisig.

„Shhhtkkkk“, antwortete der Junge (oder so ähnlich). „Gggk thhhhsp shtgggk.“ Und dann sagte er, und er mußte sich das Wort aus dem Rachen reißen, als wäre es ein widerspenstiger Knorpel, den er herauswürgen mußte: „Frieden.“

„Frieden.“

Der Knabe nickte. „Frieden. Liebe.“

„Liebe“, sagte Husathirn Mueri bedächtig und schüttelte den Kopf.

„Genauso war’s, wie ich ihn verhört hab“, brummte Curabayn Bangkea.

„So sei doch still!“ Und zu dem jungen Fremden sagte Husathirn Mueri überdeutlich und überlaut (wie wenn damit etwas gewonnen wäre): „So befrage ich dich denn erneut: Wie lautet dein Name?“

„Frieden. Liebe. Ddddkddftshhh.“

„Dein Name!“ wiederholte er noch einmal. Dann pochte er gegen die eigene Brust, wo die weißen Krauszeichnungen, die er von seiner Mutter ererbt hatte, diagonal über den schwarzen Pelz liefen. „Ich bin Husathirn Mueri. Mein Name ist Husathirn Mueri. Mein Name. Sein Name.“ — er deutete auf ihn — „ist Curabayn Bangkea. Wie ist dein Name.“

„Shthhhjjk. Vtstsssth, Njnnnk!“ Der Junge schien sich unendliche Mühe zu geben, etwas genau zu artikulieren; die Muskulatur seiner eingefallenen Wangen arbeitete heftig; die Augen rollten; er verkrampfte die Fäuste und grub die Ellbogen in seine dürren Flanken. Und auf einmal brach ein vollkommen verständlicher Satz aus ihm heraus: „Ich komme in Frieden und in Liebe von der Königin.“

„Also doch! Ein Gesandter, siehste!“ blökte Curabayn Bangkea und grinste überheblich.

Husathirn Mueri nickte. Curabayn Bangkea wollte noch weiterschwatzen, doch Husathirn Mueri gebot ihm ungeduldig mit einem Wink Stillschweigen.

Ganz gewiß, das muß ein Kind sein, das die Hjjks aus der Wiege gestohlen haben, dachte er. Und dann mußte der arme Kleine seitdem in ihrem undurchdringlichen nördlichen Reich bei ihnen leben. Und nun haben sie ihn zurückgesandt in seine Geburts- und Heimatstadt, und er bringt uns — Yissou-mag-wissen! — was für eine Forderung von dieser Insektenkönigin.

Die Ziele der Hjjks aber waren unerforschlich, das wußte jeder. Die Botschaft jedoch, die dieser Jüngling so qualvoll zu übermitteln sich mühte, mochte vielleicht den Beginn einer neuen Phase in den instabilen Beziehungen zwischen dem VOLK und den Insektenleuten ankündigen. Husathirn Mueri, der nur einer von mehreren Stadtprinzen war und jenen Punkt im Mannesleben erreicht hatte, an dem man sich entscheiden muß, ob man nach Höherem strebt, betrachtete es als ein glückliches Omen, daß der Fremdling an einem Tag erschienen war, an dem er selber die Amtsgeschäfte führte. Gewiß würde sich daraus etlicher Vorteil für ihn ziehen lassen. Zunächst jedoch galt es, herauszufinden, was der Gesandte zu sagen versuchte.

Ihm fiel wie selbstverständlich auch sogleich der geeignete Dolmetsch ein: der berühmteste von allen je in die Stadt zurückgekehrten Gefangenen, das einzige Mädchen von edlem Blut, das je entführt worden war: Nialli Apuilana, Tochter der Taniane und des Hresh.

Wenn überhaupt jemand, dann würde sie einige Kenntnisse der Hjjk-Sprache haben. Drei Monate der Gefangenschaft bei ihnen — und erst vor wenigen Jahren. Direkt vor der Stadt hatten sie sie entführt, und es erhob sich ein großes Geschrei, und warum auch nicht — das einzige Kind des Häuptlings und des Chronisten — gestohlen von den Wanzen! Laute Weheklag erscholl, viel Unruhe entstand. Ausgedehnte Suchaktionen in der weiteren Umgebung. Aber alles blieb erfolglos. Doch Monate später war das Mädchen plötzlich zurückgekehrt, als wäre es vom Himmel gefallen. Sah verwirrt aus, wies jedoch sonst keinerlei äußerliche Anzeichen auf, daß ihr ein Schaden zugefügt worden wäre. Aber wie alle Heimkehrer aus der Hjjk-Gefangenschaft weigerte sie sich, über ihre Erlebnisse zu sprechen; und wie bei den anderen war auch ihre Persönlichkeit irgendwie verändert, und sie war viel verschlossener und stärkeren Stimmungsschwankungen unterworfen als je zuvor. Und launenhaft genug war sie auch damals schon gewesen.

Konnte er Nialli Apuilana ohne Risiko in diese Sache hineinziehen? Sie war eigenwillig, unberechenbar, eine gefährliche Verbündete. Von ihrer starken Mutter und dem geheimnisvollen Visionär von Vater trug sie ein Erbe aus vielerlei unwägbaren Unbeständigkeiten in sich. Und niemand vermochte es, sie zu lenken. Sie war nun einige Monde über ihr sechzehntes Jahr, und stürmte frei wie ein Wildbach durch die Stadt: Soweit Husathirn Mueri wußte, hatte sie nie eine Kopulation mit irgendwem zugelassen, noch angeblich jemals getvinnert, außer natürlich an ihrem Tvinnr-Tag mit der Opferfrau Boldirinthe, doch war das ja nur eine bloße Ritualhandlung, als sie dreizehn wurde, um ihren Übergang ins Weibesalter zu fixieren. Das mußten alle tun. Und genau einen Tag später hatten die Hjjks sie entführt. Es gab Leute, die behaupteten, sie sei überhaupt nicht geraubt worden, sondern ganz einfach ausgerissen, weil sie ihre erste Tvinnr-Erfahrung so verwirrt hätte. Husathirn Mueri hingegen argwöhnte andres: Sie war bei ihrer Rückkehr zu sonderbar gewesen; nein, sie hatte wohl wirklich unter den Hjjks gelebt.