»Allerhand, was du da alles herausliest«, sagte Kat bewundernd.
Don beteiligte sich nicht an diesem Gespräch. Sein Blick hing an der Mauer, als wolle er sie durchbohren.
»Zu alldem kommt aber noch etwas anderes«, fuhr Al fort. »Dieser Planet gleicht fast hundertprozentig unserer Erde. Die Gravitation ist dieselbe, die Längen von Tag und Nacht stimmen mit den unseren überein, das Klima ist gesund und frühlingshaft, so wie wir es in den Kurparks von Äthiopien oder von Nepal finden. Diese Reihe könnte ich noch beliebig lange fortsetzen. Und diese Ähnlichkeit macht es sehr wahrscheinlich, daß diese Welt Wesen hervorgebracht hat, die uns im großen und ganzen gleich sind.«
»Und du meinst«, sagte Kat, »daß es auch hier…«
Don unterbrach sie abrupt.
»Schluß mit dem Geschwätz! Ich will einen Blick hinter die Mauer werfen. Helft mir lieber!«
An der Steinwand wölbte sich ein Schuttberg empor, und dieser schien gute Bedingungen für Vegetation zu bilden, denn er war mit Büschen überzogen, und von ihm aus rankten sich einige Kletterpflanzen über die Steine bis über den Rand hinauf.
Don kletterte über die Steintrümmer hoch, rüttelte einmal an dem Rankengewächs und fing an, hinaufzusteigen. Die Pflanze mußte schon sehr alt sein, der Stamm war armdick, manche Teile waren verdorrt, aber andere wirkten noch frisch, und vor allem bildeten die vielen Gabelungen eine Kletterwand, wie man sie sich besser nicht vorstellen konnte.
Als Don oben war, stieß er einen Schrei der Enttäuschung aus.
»Kommt nach!« rief er. »Es nützt zwar nichts, aber es lohnt sich!«
Al bat Katja, zuerst aufzusteigen, und kletterte selbst als letzter hoch. Bald standen sie alle auf dem breiten Gesims und schauten hinein ins Innere der Stadt. Es war der Anblick, den sie schon einmal genossen hatten – gestern vom Flugzeug aus –, aber jetzt befanden sie sich viel dichter davor: vor der riesigen burgartigen Anlage mit den breitflächigen rostbraunen und tintigvioletten Dächern, den spitzen Türmen mit Strichmustern aus Schießscharten, den feucht und silbrig glänzenden Mauerflächen, den kopfsteingemusterten Hofarealen. Das Ganze krönte eine Ruine mit einem eingestürzten Turm und einer wie ein Flügel daran hängenden, mehrfach durchlöcherten Wand.
Der Eindruck des Spielzeugartigen war verschwunden und jener von romantischer Erhabenheit an seine Stelle getreten.
Auf der anderen Seite der Mauer gähnte ein tiefer Graben, und darin lag der grüngraue Spiegel von Wasser. Am anderen Ufer zog sich noch eine Mauer dahin, nicht so hoch wie jene, auf der sie standen, aber doch hoch genug, um einen Schwimmer daran zu hindern, sich an der Kante emporzuziehen.
»Wieder nichts«, sagte Don. »Vielleicht können wir hier oben ein Stück entlanggehen.«
Sie wanderten über die Mauer, folgten zwei leichten Knicken und standen dann vor einer Plattform. Sie war mit einer Brüstung eingefaßt, eine Stiege führte von der Straße zu ihr herauf.
»Da hätten wir es wesentlich bequemer gehabt«, murmelte Al.
Don stelzte über das steinerne Geländer, und die beiden anderen folgten seinem Beispiel.
Es schien sich um eine Aussichtsrampe zu handeln, denn von hier hatte man einen besonders guten Überblick über die Anlage. Hier oben pfiff der Wind, die Luft war voll von unbestimmten Geräuschen, es sauste, hallte und heulte, sie glaubten, Hämmern und Klirren herauszuhören, dumpfe Rufe, undeutlich und grollend, windvertragene Stöße von Poltern und Geschrei.
Und dann unterdrückte Don einen Aufschrei, er packte zu, fand die Schultern Als und Katjas, seine Finger gruben sich schmerzhaft ein…
Unten tat sich etwas, was ihnen wie ein Traum vorkam: Zwei Reihen schwarzvermummter Gestalten zogen aus einem runden Tor in einen Hof und postierten sich an der rechten und linken Seite in einem tief in Schatten getauchten Hof, die kapuzenbewehrten Gesichter einander zugewandt. Sie trugen lodernde Fackeln, die die Szene gespenstisch beleuchteten. Dann spie das Tor einen seltsamen Reiter aus: Seinen Körper bedeckte eine graue Rüstung, seinen Kopf ein grauer Helm; das Tier, auf dem er saß, glich einem großen grauen Wiesel. Von der anderen Seite näherte sich ein zweiter Reiter, ein Gegenstück zum ersten, in Weiß. Beide trugen Gegenstände, die Peitschen sehr ähnlich sahen, nur waren sie bedeutend massiver. Sie hielten ihre Tiere einen Augenblick still und hoben ihre Waffen zum Gruß. Hierauf stürmten sie peitschenschwingend aufeinander zu, bei jedem Treffer sprühten Funken, erst nach Sekunden langte der kurze Knall bei den Zuschauern auf der Mauer an.
»Elektrische Peitschen«, flüsterte Don.
Mit größter Spannung verfolgte sie das Geschehen. Die Situationen wechselten blitzschnell, die Reittiere bewegten sich schlangengleich, die Peitschen fuhren durch die Luft, die Schläge klatschten. Jeder der beiden Kämpfer wankte einige Male im Sattel, beiden merkte man die Ermattung an, aber sie warfen ihre Tiere erneut herum, wieder setzte ein wilder Schlagwechsel ein, in der zunehmenden Dunkelheit leuchteten die Funken wie Sternschnuppen – dann war das Duell beendet. Der graue Ritter lag am Boden. Der weiße hob zum Gruß die Peitsche und ritt in das Tor. Die Reihen der Vermummten folgten ihm langsam und plump. Die Fackeln loderten ein letztes Mal. Dann versank der Platz im Dunkel. Der Spuk war vorbei.
Die drei Freunde sahen einander an, Don triumphierend, Katja voll Aufregung, Al in gespannter Nachdenklichkeit.
»Da unten sind sie!« sagte Don. »Sie sind noch am Leben. Sie spielen Ritter. Sie sind in Primitivität verfallen! Wir werden es nicht schwer haben mit ihnen! Wenn wir erst unten wären! Was hast du denn schon wieder, Al?«
Al hatte einen lockeren Stein aus der Mauer gebrochen. Er holte aus und schleuderte ihn mit aller Kraft auf die Wasserfläche. Aufmerksam beobachtete er seinen Fall. Dann wandte er sich enttäuscht ab. »Zu finster, schade!«
»Hast du wieder etwas entdeckt, Al?« fragte Kat.
»Ja«, antwortete er, »aber ich kann es nicht beweisen. Noch nicht. Kommt, gehen wir!«
Von ihrem Standpunkt aus war zu erkennen, daß sich die Mauer nun durch einige meterhohe Stufen erhöhte, die nicht zu überwinden waren. Aber weiter rechts, jenseits eines weiteren Knicks, sahen sie etwas, was ihre Herzen höher schlagen ließ; eine Brücke, die den Burggraben in hohem Bogen überspannte. Eilig stiegen sie die Treppe hinab.
8
Die Sonne war noch nicht untergegangen, ihr Schimmer breitete sich wie rotgoldener Samt auf den höchsten Teilen der westwärts gerichteten Gebäudefronten. Darunter lag der nachtblaue Schatten wie eine unbewegte dunkle Flüssigkeit. Es sah aus, als füllte diese Flüssigkeit die Straßen, als leckte sie in den Wänden, um die Stadt schließlich unter einer Decke aus Düsternis zu begraben. Wie ein flammender Baldachin hing der Himmel darüber. Das Blau spielte ins Violett, und von Westen her wuchs eine Korona aus gelb eingefaßten orangen Strahlenbündeln empor: An einigen Stellen glänzten schon Sterne.
Unbeirrt eilte Don voran, und seine Begleiter stapften hinterdrein. Wieder lehnten Häuser an der Mauer, von ihren flachen Dächern hätte man darübersehen können, aber das war jetzt nicht mehr nötig. Das neue Zwischenziel schien greifbar vor ihnen zu liegen: über die Brücke ins Zentrum zu kommen.
Bald sahen sie die Mauer nicht mehr, aber sie hielten sich stets links und konnten auf diese Weise den Zugang zur Brücke nicht verfehlen.
Nach wenigen Minuten kamen sie durch ein schmales Gäßchen – so schmal, daß sie hintereinander gehen mußten –, und dann öffnete sich ein weiter Platz. Wie ein stiller See lag er da, mit seinem holprigen Pflaster; die Steinkappen sahen seltsam durchsichtig aus und verstärkten den Eindruck des Bodenlosen, aber das kam bloß vom milchigen Glanz des Sternenlichtes, der sich im Staubüberzug fing.