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In der Mitte des Ovals erhob sich inselartig ein Podest mit einem überdachten Säulenkranz.

»Ein Brunnen«, vermutete Kat.

»Vielleicht ein Pranger«, riet Al.

Nach links verengte sich der Platz, und dort gähnte das schwarze Halbrund eines Tores. Es bestand kein Zweifel – dahinter mußte die Brücke liegen.

Sie waren stehengeblieben und setzten sich nun hastig wieder in Bewegung. Die Atmosphäre hatte etwas Lauerndes an sich; unwillkürlich gingen sie an den Häusern entlang.

»Pst!« zischte Don. Er lauschte eine Weile. »Habt ihr nichts gehört?«

Katja setzte zu einer Antwort an, aber in dem Moment hörten sie es alle – ein leises ruckweises Schleifen… Dann wieder Stille. »Es kam von vorn«, sagte Al und beschrieb mit seinem Arm einen unbestimmten Viertelkreis.

»Es war sehr weit von hier«, sagte Don und schritt langsam weiter. Ein leiser Ruf Als ließ ihn wieder anhalten.

»Hier ist jemand gewesen!«

Al deutete auf einen Streifen, der quer durch den Staub auf das Tor zulief. Don hockte sich davor nieder und versuchte, Einzelheiten festzustellen.

Katja war einige Schritte zurückgewichen. In sich zusammengesunken lehnte sie an einem Mauervorsprung.

»Die Ritter…«, stammelte sie, »die Ritter mit ihren furchtbaren Peitschen!«

»Was können sie uns schon tun?« beruhigte sie Al. »Du brauchst keine Furcht zu haben. Du brauchst doch bloß zu denken…«

Don richtete sich jäh auf.

»Viel schlimmer«, sagte er leise vor Zorn. »Jak und seine Gruppe«, und zu Al gewandt: »Schau dir diese Spur an!«

Al betrachtete die Stelle, fand Abdrücke von Kreppsohlen und bestätigte Dons Beobachtung.

»Sie waren vor uns da!« flüsterte Don. »Sie sind uns zuvorgekommen!«

Al trat zu ihm. Jetzt tat ihm der Freund fast leid.

»Verlier doch nicht gleich den Mut. Gut, sie waren vor uns da. Aber damit haben sie doch ihre Aufgabe noch nicht gelöst. Es steht noch völlig unentschieden!«

»Glaubst du das wirklich? Sagst du das nicht nur, um mich zu trösten?« Es war zu hören, daß Don neuen Mut schöpfte. »Meinst du, daß es noch Schwierigkeiten gibt, wenn wir erst im Zentrum sind?«

»Dann fangen sie wahrscheinlich erst an«, sagte Al. Er schätzte das keineswegs als etwas Positives ein, aber Don nahm es dafür.

»Vorwärts, sie können noch nicht weit sein!«

Katja, die vor Jak, René, Tonio und Heiko bedeutend weniger Angst hatte als vor den geheimnisvollen Stadtbewohnern, atmete wieder auf und schloß sich den Gefährten an, die nun der Spur folgten. Aber zur Sicherheit blieb sie doch ein wenig zurück.

Bald traten sie ins Tor. Es sah genauso aus, wie man sich ein mittelalterliches Stadttor vorstellt. Neben dem großen Durchgang für Wagen, Zug- und Reittiere lief ein kleiner für Personen durch das alte Gemäuer, durch dicke Pfeiler davon getrennt. Die Spuren führten geradewegs in der Mitte durch.

Nach dem Torweg kam ein kleinerer ebener freier Raum mit zwei Reihen steinerner Bänke, vom Wasser durch eine Brüstung getrennt, auf der mehrere Figuren standen und auf sie herabzublicken schienen.

Don trat an eine heran.

»Lauter Kapuzenmänner«, sagte er und kam zu Al und Katja zurück.

»Achtung! Zerstört die Spuren nicht!« warnte Al.

»Was willst du mit den Spuren?« fragte Don in seinem gewohnten überheblichen Ton. »Sie führen auf die Brücke. Dazu brauche ich erst gar nicht nachzusehen!«

Al ließ sich nicht so leicht von einem einmal gefaßten Entschluß abbringen. Ruhig beschäftigte er sich weiter mit den Fußstapfen und entfachte dadurch Dons Ungeduld immer mehr. Die Lichtverhältnisse waren hier besser als zwischen den Häusern und begünstigten sein Vorhaben.

»Du weißt wieder einmal alles besser«, sagte Al zum Boden hinab und ungewiß, ob ihn Don überhaupt hörte, »aber du weißt nicht alles. Hier ist ein Gewirr von Fährten, die nach allen Seiten auseinanderführen. Was hat das zu bedeuten?«

Don stand schon auf der Brücke.

»Sie werden sich hier aufgehalten haben – genauso wie wir.«

»Aber wir haben einen Grund dafür«, fuhr Al fort, »sie aber nicht – oder einen ganz anderen. Es wäre interessant, herauszukriegen, was sie hier gemacht haben.«

»Interessant«, sagte Don. »Interessant!«

Katja war an das steinerne Geländer getreten, an den westlichen Teil, der nur als Schattenriß zu erkennen war, sie stand unter einer Steinfigur, und ihr war, als könnte diese jeden Augenblick von ihrem Sockel heruntertreten und irgendein grausames Amt vollziehen – als Richter, als Henker oder als Folterknecht. Gewaltsam trennte sie ihren Blick von der stummen Gestalt und wandte ihn dem letzten Glühen der unter dem Horizont versunkenen Sonne zu, das noch hinter den Häusersilhouetten hervorquoll. Die Sicht dahin war frei, der Kanal lief hier geradeaus nach Westen, und in seinem Wasser erstand das Bild der Stadt zum zweitenmal als mattflimmernde Spiegelwelt – die in der Ferne zusammenlaufenden Wälle der Ufermauern, der schwarze Stufenbau der Häuser rechts und links, das Orangegelb des Himmels mit seinen blutigroten und schmutzigbraunen Säumen.

Katja fühlte sich plötzlich merkwürdig einsam, schutzlos und bedroht. Sie sah ihre Kameraden auf der Erde herumkriechen und gestikulieren, aber sie verstand nicht, was sie beabsichtigten. Sie sah die Brücke über das Wasser in die Nacht hineinlaufen, sah auf der anderen Seite die terrassenförmig übereinandergesetzten Dachgeschosse der Wehrbauten, ihren höchsten, türmartigen Aufsatz genau über dem Tor, die hundert schwarzen Fensterlöcher, die seltsamen Geräte, die oben auf den flachen Dächern standen – vielleicht alte, furchtbare Waffen, die nur darauf warteten, wieder Tod und Vernichtung zu speien. Aus allen Ecken starrten Augen auf sie nieder, in allen Fenstern verzerrten sich Gesichter zu lautlosem Gelächter, ballten sich drohende Fäuste.

Wozu bist du eigentlich hierhergekommen? fragte eine Stimme in ihr, was willst du hier?

Auch in Don wallten Gefühle durcheinander, Hoffnungen, Ängste, Ärger, Ungeduld, Ehrgeiz, Mutwille, Vernunft. So kurz vor seinem Ziel sah er sich durch die Pedanterie des Kameraden aufgehalten, gebunden, verraten. Er wäre am liebsten allein losgezogen, hinein in die Fülle des Erlebens und Erreichens, in das betäubende Abenteuer, in den gewaltsamen Tod…

So wie Don und Katja hatte auch Al etwas mit sich selbst auszumachen, seine Phantasie arbeitete wie die eines Schachspielers, der aus der Stellung der feindlichen Figuren die Absichten des Gegners herauszulesen trachtet. Er entwarf Dutzende Kombinationen von den Schritten, die ihre Gegenspieler hier getan haben mochten, von ihren Bewegungen und Zielen; aber keines seiner Gedankenbilder hatte Sinn.

»Die Spur auf der Brücke läuft doppelt«, sagte er kopfschüttelnd. »Sie sind wieder zurückgekommen.« Noch erfaßte er die Konsequenzen dieser Erkenntnis nicht, aber er ahnte ihre Bedeutung. »Sie sind wieder zurückgekommen.«

Plötzlich schrie Katja:

»Hört doch auf zu diskutieren! Gehen wir doch endlich! Warum halten wir uns hier auf!« Es klang überspannt und schrill. Sie lief auf die Brücke hinaus. »So laßt uns doch endlich zu einem Ende kommen!«

Don rannte sofort hinter ihr her, und Al verjagte seine Besorgnis und setzte ihnen in langen Sprüngen nach.

Katja war nur noch als dahinhuschender Schatten zu erkennen, die Dunkelheit übertuschte alle Einzelheiten, und darum begriff Al auch nicht unverzüglich, was plötzlich geschah. Erst ein splitterndes Krachen vor ihm und ein Donnerschlag hinter ihm zwangen ihn, das zu glauben, was er im Aufblitzen eines Feuerscheines gesehen hatte: Ein dunkles, unregelmäßig begrenztes Loch gähnte in der Brücke, unmittelbar vor der dahinlaufenden Katja… eine Steinfontäne stieg auf, und der zusammenknickende Körper des Mädchens glitt, noch vom Schwung des Laufens getragen, auf die Öffnung zu und verschwand. Noch dreimal donnerte es, aber nur noch ein Projektil streifte die Brücke und brachte sie zum Zittern und Schwingen, das Al fast vom Boden hob. Diesmal hatte er erkannt, woher die Schüsse kamen: von den Zinnen des Turms hinter ihnen. Er rang mühsam nach dem Gleichgewicht… und hetzte vor – aus dem Bereich des tödlichen Hagels hinaus.