Al öffnete die Tür zum Maschinenraum und rief nach einem der Automaten.
»Wann wird Don fertig sein?«
»In vier Minuten.« Die Antwort kam präzise und ohne Zögern.
»Dann bring ihn ins Freie!«
Der Automat gehorchte. Al öffnete für ihn die Tür und folgte.
»Er ist gleich soweit«, sagte er zu Kat.
Sie hatte sich inzwischen erholt. Während die beiden neben der Matte, auf der Don nun um das Bewußtsein rang, warteten, stellte Katja viele Fragen. Jetzt kam ihr alles interessant vor. Das Neue, das auf sie wartete, war noch weit und ungreifbar; sie befand sich auf einer Insel menschlichen Ursprungs und menschlicher Prägung, aber um sie herum lauerte das Fremde, das Geheimnis. Wie Al vorausgesagt hatte, war zwar der graue Farbton des Himmels verschwunden – er prangte nun in tiefem Blau –, aber Katja erschien dieses Blau ungewohnt, genau wie das Grün der Pflanzen und das Braun der Felswände über ihnen. Sie sah es nun nicht mehr – aber der Himmel war anders, und die Pflanzen waren anders, und die Felsen waren anders als auf der Erde. Sie fühlte es. Und die Tiere? Sie spähte umher, aber sie bemerkte keine Tiere. Morgen, dachte sie, morgen! Sanfter lauer Wind strömte vom Tiefland her den Hang hinan und brachte Wellen von Thymianduft mit. Es roch so wie Thymian – wahrscheinlich war es etwas ganz anderes –, und der Geruch wurde zum Odem des Rätselvollen.
»He!« rief Don, aber seine Stimme war noch schwach. Mühsam stützte er sich auf die Ellbogen. »Ihr seid schon okay? In mir dreht sich noch alles. Schandbar. Wie sieht es aus?«
»Hübsch«, sagte Katja. »Wie fühlst du dich?«
»Wird schon besser. Ist ja unwichtig. Habt ihr etwas von den andern gesehen?«
Katja streichelte seine Stirn. »Nichts, Don. Du hast nichts versäumt. Wir sind auch erst seit ein paar Minuten wach.«
»Dann ist es ja gut.« Don seufzte und ließ sich auf die Matte zurückfallen. Er verschränkte die Hände unter dem Hinterkopf und schloß die Augen. »Sagt doch: Wie sieht es hier aus?«
»Ziemlich harmlos«, sagte Al. »Grüne Hügel, Berge, Seen. Die Luft gut, die Temperatur angenehm. Nichts Besonderes. Hoffentlich wird es nicht langweilig!«
»Kaum anzunehmen«, meinte Don. Er sprach mit geschlossenen Augen. »Dafür werden schon die anderen sorgen. Und dann ist da ja auch noch die alte Stadt!«
»Wo ist sie eigentlich?« fragte Katja.
Don richtete sich auf. Er trug knöchellange Kordhosen und eine enge Samtjacke mit goldenen Knöpfen. Er sah schon bedeutend frischer aus. »Heute werden wir die Vorräte prüfen. Und morgen geht es los.« Er spähte hinunter auf das Hügelland, und weiter, darüber hinweg, bis zum Horizont. Es war Abend. Die Sonne hing als rote Scheibe im Dunst. Und während sie langsam tiefer sank, begann ein ferner Strich zu glitzern. Rote Funken glommen in der Ferne auf und verschwanden wieder.
Don hob die Hand und deutete hinunter: »Dort ist die Stadt.«
2
Am nächsten Morgen hatten sie alle Nachwirkungen der Übertragung überwunden. Sie liefen vor die Baracke und standen im aufdämmernden Tag. Wieder hüllte sie betäubender Thymianduft ein. Sie schauten über das Hügelland und empfanden die gewaltige Lockung, die von den unberührten Weiten ausging.
»Warum wartet ihr noch?« rief Don. »Kommt, wir fliegen los. Wir dürfen keine Zeit verlieren!«
»Besuchen wir gleich die Stadt?« fragte Kat.
»Das wäre natürlich das schönste«, sagte Al, »aber wir sollten doch lieber nach den altbewährten Regeln vorgehen. Zuerst kommen die Untersuchungen. Die Zusammensetzung der Luft. Die Chemie des Bodens. Das Spektrum der elektrischen Wellen. Die Zoologie und die Botanik…«
»Ach was, die Luft läßt sich atmen – dazu brauche ich keine chemische Analyse. Von Tieren ist nichts zu bemerken. Willst du vielleicht Blumen pflücken?«
»Sei nicht langweilig, Al«, bat Kat. »Du hast noch Zeit genug für die Pflanzen. Komm doch mit uns – zur Stadt!«
»Du weißt, worum es geht, Al!« rief Don. »Wir müssen den anderen zuvorkommen! Wir müssen die ersten sein!«
Sie gingen zum Hubschrauber hinüber und kletterten hinauf. Don setzte sich auf den Pilotensitz und ließ den Motor anlaufen. Katja und Al nahmen hinter ihm Platz. Das Surren der Propellerflügel wurde zu einem dröhnenden Rauschen, und der Flugkörper löste sich vom Boden. Sie stiegen auf fünfhundert Meter Höhe.
Die durchsichtige Kanzel gestattete den freien Durchblick in alle Richtungen. Das Land unter ihnen war spielzeughaft und lieblich wie eine Bilderbuchszenerie. Man hätte an den Naturpark von Finnland denken können, wenn es nicht von dem riesigen Gebirge überschattet gewesen wäre, das sich ringsherum aufwölbte. Von ihrem überhöhten Standpunkt konnten sie deutlich die Gipfel und Grate der Berge erkennen, die im Sonnenlicht als dunkler Zackenstreifen über dem Tiefland ein zweites Mal erschienen.
»Wie stehen denn überhaupt die Aussichten, hier etwas zu entdecken?« erkundigte sich Kat.
»Richtig«, meinte Al, »du hast uns bis jetzt noch nichts Näheres verraten. Tu doch nicht so geheimnisvoll!«
Don drehte jetzt die Nase des Hubschraubers auf das Ziel, in Richtung auf die Stadt. Er drückte den Gashebel kräftig durch, und die Hügel begannen unter ihnen einherzuwandern.
»Also paßt auf«, sagte Don. »Jak und ich – wir haben den Planeten gemeinsam gefunden. Wir hatten vor, uns mit dem Synchronstrahlspiegel im Bereich der Magellanschen Wolken umzusehen. Ich weiß nicht, wie es kam – vielleicht hatte Jak die Entfernung falsch eingestellt –, jedenfalls blickten wir in ein leeres Loch und wollten schon umschalten, da stießen wir auf eine kleine isolierte Sonne. An ihr hing ein Riesenplanet vom Neptuntyp, und daraufhin schauten wir uns weiter innen im System um. Nun – das ist der Erfolg!« Don wies hinunter auf die Hügelketten, die sich wie Laufbänder gegeneinander verschoben.
»Habt ihr auch die Stadt gleich gefunden?« fragte Kat.
»Es gibt mehrere. Sie waren nicht schwer zu finden. Der Planet ist zu neunzig Prozent mit Gebirge überzogen. Die übrigen zehn Prozent Grünfläche leuchten deutlich aus dem Braun und Grau heraus. Alle Städte liegen unten, im hügeligen Tiefland. Aber die dort« – er wies mit dem Kinn nach vorn –, »die dort ist die größte.«
Vor ihnen wuchs jetzt ein Hügel über dem Horizont empor: ein Hügel, der sich von den anderen erheblich unterschied. Er schnitt einen vielfach gestuften, von Kerben unterbrochenen und von turmartigen Auswüchsen erweiterten Rand aus dem Himmelsblau, während die Silhouetten der anderen Berge und Kuppen sanft geschwungen und glatt erschienen.
»Könnte nicht doch etwas Intelligentes lebendig sein?« fragte Katja.
»Unsinn«, antwortete Don. »Die Zeit der organischen Evolution ist so gering gegenüber der Entwicklungszeit eines Planeten, daß kaum Aussicht darauf besteht. Bisher hat noch niemand intelligente Wesen getroffen. Nur die Spuren finden sich häufig. Die Stadt ist sicher tot. Sie ist zum Teil verfallen.«
Al hatte das Fernglas erhoben und auf den von Gebäuden bedeckten Hügel gerichtet. Er mußte Don recht geben. Das, was aus der Ferne so imposant und märchenhaft aussah, was gestern im streifenden Licht der glühenden Sonne als eine Neuschöpfung der Goldenen Stadt erschienen war und die Erinnerung an Sagen und Träume geweckt hatte, entpuppte sich als ein wüster, vielfach zerstörter Burgkomplex.
Kat wandte sich wieder an Don:
»Aber was geschieht denn mit den intelligenten Geschöpfen, wenn sie ihre höchste Entwicklungsstufe erreicht haben?«
»Sie bringen sich gegenseitig um«, erklärte Don. »Dadurch unterscheidet sich unsere Kultur von allen anderen. Zwar hat es auch bei uns schon angefangen – mit Bakterien und Atomenergie; aber wir haben den Krieg rechtzeitig unterbunden.«