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»Achtung, der Rabbi! « rief Ben Jacobs in den Raum. Michael machte langsam die Runde.

Jake Lazarus haschte nach seiner Hand. » , wieder zwölf Monat, wieder ein Jahr herum. Zweiundfünfzigmal schabess gefeiert«, sagte der Kantor mit träumerisch verschleiertem Blick. »Und aber ein paar Jahr, und wir feiern Jahrhundertwende. Das Jahr zweitausend, stellen Sie sich vor.«

»Versuchen Sie lieber, sich vorzustellen, daß wir das Jahr fünftausendsiebenhundertundsechzig feiern«, sagte Michael. »Unsere Zeitrechnung ist nämlich die ältere.«

»Ob zweitausend oder fünftausendsiebenhundertsechzig, was macht das schon aus. Da werde ich in jedem Fall hundertdrei Jahre alt sein.

Was glauben Sie, Rabbi, wie dann die Welt aussehen wird?« »Mein lieber Jake, bin ich ein Hellseher?« Und er gab dem Kantor einen freundlichen petsch auf die Wange.

Er trat an die Bar und verließ sie mit einem generös eingeschenkten Bourbon. Auf einem der Tische, die die Damen der Gemeinde mit Fressalien beladen hatten, entdeckte er inmitten der Tabletts mit tajglach und Backwaren ein wahres Wunder: eine Schüssel kandierten Ingwers. Er nahm zwei Stück davon, verließ die Halle und ging die Treppe hinauf.

Nachdem er die Tür zum Andachtsraum hinter sich geschlossen hatte, drang der Lärm nur mehr gedämpft herauf. Er stand im Finstern, aber er kannte seinen Tempel und brauchte kein Licht. Er ging im Mittelschiff nach vorn bis zur dritten Reihe, wobei er die Hand um den Glasrand hielt, damit er nichts verschüttete. Er setzte sich hin, trank den Whisky in kleinen Schlucken und knabberte am Ingwer. Drei Bissen - ein Schluck. War dies das rechte Verhältnis?

Denn der Ingwer war bald aufgegessen, und er hatte noch eine ganze Menge Bourbon. So trank er weiter und hing in der Dunkelheit seinen Gedanken nach. Und in dem Maß, wie seine Augen sich an das Dunkel gewöhnten, begann es sich um ihn zu lichten. Schon konnte er Umrisse unterscheiden, schon konnte er ganz gut das Lesepult ausnehmen, von dem aus er in vierundzwanzig Stunden den Sabbat-Gottesdienst leiten würde. Wie viele Predigten hatte er nun schon seit jener ersten in Miami gehalten? So viele Predigten, so viele Worte. Er lachte vor sich hin.

Nicht so viele, wie noch vor ihm lagen; er spürte es in allen Knochen, fast hätte er die Hand ausstrecken und sie berühren können, die Himmelsleiter all der zukünftigen Sabbat-Gottesdienste.

»Und Gott sprach weiter zu Mose: Also sollst du zu den Kindern Israel sagen: Der Herr, eurer Väter Gott, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name ewiglich, dabei soll man mein gedenken für und für.«

Ich danke dir, mein Gott.

Unten begannen die Musiker fröhliche Weisen zu spielen. Wäre Leslie jetzt da gewesen, sie hätten getanzt - es war ihm zum Tanzen zumute. Und zum nächsten Neujahr w ü rd e n sie auch tanzen. Der Ingwergeschmack hatte sich nun bis auf einen letzten bittersüßen Rest verloren. Nur keine Angst, sejde, sagte er im Dunkel leise vor sich hin. Sechstausend Jahre sind mehr als ein Tag, und dennoch ist nichts Neues auf der alten Erde, und was durch Massenmord und Gaskammern nicht ausgelöscht worden ist, wird auch nicht ausgelöscht sein durch den Wechsel der Namen oder der Nasen, und auch nicht dadurch, daß unser Blut sich mischt mit anderem Blut.

Das zumindest weiß ich von der Zukunft, mein lieber Jake Lazarus, dachte er; ob ich dir das sagen soll? Aber dann streckte er sich nur behaglich und ließ den letzten Rest Bourbon auf der Zunge zergehen, fühlte seine Wärme und verschob den Gedanken auf später.

Da mach ich eine Predigt daraus, dachte er. Morgen.