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»Dann ändere doch den Namen der Firma. Was hat das mit unserem Namen zu tun?«

»Schau her. Wir brauchen unseren Namen nur zu halbieren.« Und er zeigte ihr den auf ein Briefblatt getippten Slogan: »Be KIND To Your Figure«. (Sei freundlich zu deiner Figur.) So wurde der Name der Familie Rivkind gerichtlich geändert, weil das Wort Kind in einen Werbeslogan auf eine schmale Gürtelverpackung paßte - vor allem aber wohl deshalb, weil es für Michaels Vater aus irgendwelchen zwingenden inneren Gründen so wichtig war, Mr. Kind von Kind Foundations zu sein. Reformen, selbst im persönlichen Bereich, lassen sich schwer in engen Grenzen halten. Einige der Nachbarn waren schon in neue Stadtviertel in Queens übergesiedelt, und schließlich gab Abe Dorothys Drängen nach und sie kauften eine Wohnung in einem Neubau in Forest Hills.

Auf Isaac schien die Nachricht keinen Eindruck zu machen, daß sie Brooklyn verlassen hatten und in ein Stadtviertel gezogen waren, das meilenweit vom Sons of David-Heim entfernt lag. Ihre Besuche bei ihm waren seltener und seltener geworden, und als Abe eines Tages, plötzlich von schlechtem Gewissen gepackt, Michael zu seinem sejde mitnahm, wußten die drei wenig miteinander zu reden. Der Großvater hatte erreicht, daß Mr. Melnicks Solly ihn untersuchte und ihm ein Rezept schrieb, und Abe bezahlte erleichtert den ärztlich verordneten Kanadischen Whisky, der einen ständigen Ehrenplatz auf dem Schrank seines Vaters einnahm. Isaac Rivkinds Leben war nun nur mehr von Whisky und dem tiefen Studium der Thora ausgefüllt, und über beide Themen hatten die Besucher bald nichts mehr zu sagen.

Immerhin lieferten sie dem Großvater bei einem ihrer Besuche kurz nach ihrer Übersiedlung nach Queens ein Gesprächsthema. Ssukess nahte heran, und um diese Jahreszeit dachte Michael jedesmal viel an seinen sejde. Wochenlang bat er seinen Vater, mit ihm ins Altersheim zu gehen, und als es endlich soweit war, hatte er einen Stoß Bleistiftzeichnungen als besonderes Geschenk für den alten Mann bereit.

Als Isaac, auf seinem Bett sitzend, die Zeichnungen betrachtete, fiel ihm eine besonders auf. »Was ist das, Michele?« fragte er.

»Das ist das Haus, in dem wir wohnen«, sagte Michael und wies auf einen hohen farbigen Block. »Und das ist ein Baum mit Kastanien drauf, und ein Eichhörnchen. Und das ist die Kirche an der Ecke. «

Diese Kirche mit ihrem Kreuz - das am besten von all den dargestellten Dingen kenntlich war - hatte Isaacs Aufmerksamkeit erregt; sie und Michaels sorgfältig hingemalte neue Unterschrift.

»Kannst du deinen Namen nicht schreiben?« fragte er.

»Papa«, sagte Abe hastig, »er hat ihn richtig geschrieben. Ich habe unseren Namen ändern lassen.« Er erwartete einen donnernden Ausbruch, wie früher, aber Isaac sah ihn kaum an. »Du heißt nicht mehr Rivkind?«

Sein Sohn erklärte ihm umständlich die geschäftlichen Gründe für die Namensänderung und beschrieb ihm dann voll Enthusiasmus die neue Linie der Hüftgürtel und Büstenhalter. Isaac hörte zu, ohne etwas dazu zu sagen. Als die Zeit zum Abschied gekommen war, küßte er Michael auf die Wange und reichte seinem Sohn die Hand.

»Danke für deinen Besuch, Abraham.« Dann, nach einer kurzen Pause: »Heißt du eigentlich noch Abraham?«

»Natürlich«, sagte Abe.

Auf dem Heimweg wurde er ärgerlich bei jedem Wort, das Michael zu sagen versuchte.

Zwei Tage später erhielt Abe einen Brief von seinem Vater. Es war ein Brief in jiddisch, auf liniiertem Papier, schmierig und mit Bleistift geschrieben, in einer von Alter und Alkohol zittrigen Handschrift. Abe brauchte Stunden, um seiner Erinnerung die Übersetzung der Schriftzeichen abzuzwingen, und was er schließlich herausfand, waren zum größeren Teil Talmud-Zitate, die ihm nichts bedeuteten. Und doch verstand er das Wichtigste, was sein Vater ihm sagen wollte: daß er die Hoffnung für die Familie aufgegeben habe, für alle mit Ausnahme seines Enkels Michele. Zwei Drittel des Briefes waren eine leidenschaftliche Argumentation dafür, daß Michael eine jüdische Erziehung erhalten sollte.

Dorothy lachte und schüttelte den Kopf, als ihr Mann ihr den Brief vorlas, soweit er ihn ins Englische übersetzen konnte. Michael aber war unangenehm überrascht, als er merkte, daß sein Vater den Wunsch des alten Mannes ernster zu nehmen schien. »Es ist an der Zeit«, sagte er, »er ist alt genug für den chejder.«

Und so mußte Michael, der Erwählte der Familie, jeden Nachmittag nach seinem Elementarschulunterricht die Hebräische Schule besuchen. Er ging jetzt in die dritte Klasse der Public School 467 und hatte absolut keinen Wunsch, Hebräisch zu lernen.

Dennoch wurde er in die Talmud-Thora der Sons of Jacob-Synagoge eingeschrieben. Die Synagoge war eine halbe Meile von seiner Volksschule entfernt. Daß sie orthodox war, spielte bei der Wahl keine Rolle - Michael wäre dorthin geschickt worden, auch wenn es eine konservative oder eine reformierte Synagoge gewesen wäre. Zufällig war es die einzige Hebräische Schule, die er zu Fuß erreichen konnte. Die Erwachsenen, die sein Schicksal bestimmten, hielten die Tatsache für unwichtig, daß der tägliche Weg von Public School 467 zur Hebräischen Schule durch eines der dunkelsten polnischen Viertel von New York führte.

Am dritten Schultag traf Michael auf dem Heimweg von der Hebräischen Schule Stash Kwiatkowski. Stash war sein Klas-senkamerad in der Public School 467. Er ging schon zum dritten Male in die dritte Klasse und war zumindest zwei Jahre älter als Michaeclass="underline" ein blonder Junge mit breitem Gesicht, sehr großen blauen Augen und einem halb verschämten Grinsen, das er wie eine Maske trug. Michael kannte ihn aus der Klasse als einen Jungen, der eine Menge komischer Fehler beim Aufsagen machte, und er begrüßte ihn lachend.

»Hi, Stash«, sagte er.

»Hi, Kleiner! Was hast du denn da?«

Stash meinte die drei Bücher, die Michael in der Hand trug: ein alef-bejss, aus dem er das hebräische Abc lernte, ein Heft und einen Band Erzählungen aus der Geschichte der Juden.

»Bloß ein paar Bücher«, sagte er.

»Wo hast du denn die her? Leihbücherei?«

»Hebräische Schule.«

»Was ist denn das?«

Er merkte, daß Stash sich nicht auskannte, und so erklärte er ihm: er gehe dorthin, wenn alle anderen aus ihrer Klasse schulfrei hätten.

»Laß anschauen.«

Mißtrauisch betrachtete Michael Stashs Hände, die dreckig waren von drei Stunden Spiel nach der Schule. Seine Bücher waren makellos und neu. »Lieber nicht.«

Stash faßte Michael am Handgelenk, und sein Grinsen wurde breiter. »Na komm schon! Laß anschauen.«

Michael war gute zehn Zentimeter kleiner als Stash, aber um vieles behender. Er entwand sich dem Griff und lief davon. Stash verfolgte ihn nur eine kurze Strecke und gab dann auf. Aber als Michael am nächsten Abend nach Hause ging, trat Stash plötzlich hinter einer Plakatwand hervor, wo er ihm aufgelauert hatte.

Michael versuchte zu lächeln: »Hi, Stash.«

Stash bemühte sich diesmal nicht einmal um den Anschein von Freundlichkeit. Er faßte nach den Büchern, und das alef-bejss fiel zu Boden. Ein paar Tage zuvor hatte Michael, tief beeindruckt, gesehen, wie ein junger Rabbiner ein paar Gebetbücher, die ihm hinuntergefallen waren, beim Aufheben ehrerbietig küßte. Etwas später erst sollte er zu seiner tiefen Beschämung lernen, daß man dies nur mit Büchern tut, die den Namen Gottes enthalten; aber damals glaubte er noch, ein Jude tue das mit jedem in hebräisch gedruckten Buch. Ein widernatürlicher Eigensinn zwang ihn, sich auf das Abc-Buch zu stürzen und seine Lippen darauf zu pressen, während Stash ihn verwundert anstarrte.

»Wozu hast du das gemacht?«