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Es war ein biologisches Thema über die immense

Vermehrungsfähigkeit der Trypedita, jener Insektenfamilie, der auch die Obstfliege angehört. Da ihm die Leihbibliothek nicht genug Literatur zu diesem Thema bieten konnte, erwirkte sein Biologielehrer ihm die Spezialerlaubnis, die New Yorker Universitätsbibliothek zu benützen, und so fuhr er nun an mehreren Abenden der Woche mit der Subway nach Manhattan und machte dort umfangreiche Exzerpte, deren einige er sogar verstand.

Eines Abends, schon gehetzt von dem Bewußtsein, daß die Prüfungsarbeit in zehn Tagen fällig war, saß er an einem Tisch der New Yorker Universitätsbibliothek und arbeitete fieberhaft - fieberhaft im doppelten Wortsinn, denn er war abgespannt und fühlte eine Erkältung in sich stecken; seine Schläfen waren heiß, und er hatte Schluckbeschwerden. So saß er und schrieb sich alles Wichtige über die erstaunliche Vermehrungskraft der Obstfliege und ihrer Konkurrenten heraus:

»Nach Schätzungen von Hodge bringt die San-José-Fliege vier bis fünfhundert Junge hervor. Die Dobson-Fliege legt zweitausend bis dreitausend Eier. Staatenbildende Insekten sind besonders starke Eierleger. Die Bienenkönigin bringt es auf zwei bis dreitausend Eier pro Tag; die Ameisenkönigin kann pro Sekunde sechzig Eier legen, und das, bis es mehrere Millionen sind.«

Die Lektüre über all dieses Eierlegen begann ihm in die Lenden zu gehen, aber das einzige Mädchen in seinem Blickfeld hatte schadhafte Zähne und massenhaft Kopfschuppen auf ihrem unförmigen schwarzen Pullover. Ernüchtert schrieb er weiter:

»Herrick berichtet, daß ein Fliegenpaar, beginnend mit April, im August 91,010,000,000,000,000,000 hervorgebracht hat. Bliebe all diese Nachkommenschaft durch eine Laune der Natur am Leben, so würde diese Masse, pro Fliege nur zwei Kubikzentimeter gerechnet, die Erde dreizehn Meter hoch bedecken.«

Er stellte sich vor, wie das wäre: die ganze Erde dreizehn Meter hoch mit Fliegen bedeckt, ein einziges, ungeheures Gesumm, Befruchten und Paaren, auf daß diese Fliegenflut immer weiter steige. Paarten sich Fliegen überhaupt? Er brauchte ganze zwölf Minuten dazu, die Tatsache nachzuschlagen, daß die Weibchen Eier legen und die Männchen sie befruchten. Bedeutete solche Geschlechtlichkeit überhaupt Lust? War der Befruchtungsvorgang mit Vergnügen verbunden, oder war das Fliegenmännchen eben nur eine Art Sexuallieferant, der, wie der Milchmann, den regelmäßigen Zustelldienst besorgte? Er schlug im Stichwort-verzeichnis nach: erst unter Sex, dann unter Verkehr, dann unter Paarung, und schließlich, obwohl schon ohne viel Hoffnung, unter Lust. Aber nirgends wurde ihm Erleuchtung zuteil. immerhin war er damit bis zehn Uhr abends beschäftigt, bis zur Sperrstunde. Er stellte das Buch zurück und fuhr mit dem Lift hinunter.

Das Wetter war miserabel. Ein leichter Nieselregen hatte die schmutzigen Schneehaufen längs des Gehsteigs zu seichten Buckeln zusammengeschmolzen, schon mehr Matsch als Schnee.

Die Abendschulen leerten sich eben, und Michael wurde von der Menschenflut in Richtung zur Subway-Station gesaugt. Sie drängte und stieß sich vorwärts gegen den schmalen Eingang. Michael stand ziemlich am Rande, Brust an Brust mit einer hübschen Brünetten in braunem Wildledermantel und Barett. Der Reiz der Situation ließ ihn für den Moment seine Erkältung vergessen. Sie blickte ihm in die Augen und dann auf seine Bücher.

»Was - ein Wunderkind?«

Ihre Stimme klang belustigt. Sich zurücklehnend trachtete er, die Berührung zu vermeiden, wobei er den Umstand verwünschte, daß die Sprecherin nicht drei Jahre jünger war. Die Menge drängte und schob, aber das brachte die beiden dem Subway-Eingang nicht näher.

Aus dem Augenwinkel bemerkte er den nahenden Fifth-Avenue-Bus; er war nur mehr eine Straße entfernt. Michael stieß einen dicken bärtigen Jüngling zur Seite und rannte, den Bus zu erreichen und mit ihm bis zur 34th Street zu fahren, denn die dortige Subway-Station war sicherlich weniger überfüllt.

Aber als er bei der 20th Street gewohnheitsmäßig zu den Kind Foundations hinaufsah, bemerkte er, daß die beiden straßensei-

tigen Fenster beleuchtet waren. Das konnte nur bedeuten, daß sein Vater noch arbeitete. Blitzartig griff er nach der Signalschnur, froh darüber, nun im Chevrolet nach Hause gebracht zu werden, anstatt sich auf der langen Subway-Fahrt die Füße in den Bauch stehen zu müssen.

Im Haus herrschte drückende Hitze, so wie immer im Winter.

Der Lift war außer Betrieb, und Michael langte schwitzend und mit trockenem Hals oben an, nachdem er die steilen Treppen zum vierten Stock erklommen hatte. Er stieß die Tür zu Kind Foundations auf, stand im Vorraum und sah seinen Vater auf Carla Salva liegen, nackt bis auf das Unterhemd, und auf jener abgenutzten Couch, die Michael jeden Samstagmorgen so fleißig absaugte. Der eine von Carlas langen, schmalen Füßen zerknüllte ihr Seidenhöschen auf dem Boden, der andere rieb sich zärtlich an seines Vaters Wade. Carlas Max-Factor-Mund war leicht geöffnet, ihre schmalen Nüstern dehnten sich, aber sie gab keinen Laut unter Vaters kraftvollen Stößen und hielt die Augen geschlossen. Als sie sie träge aufschlug, sah sie Michael vor sich und schrie auf.

Der drehte sich herum und polterte den dunklen Gang zum Treppenhaus zurück. »Wer war das?« hörte er seinen Vater noch fragen. Und: »Oh, mein Gott!«

Michael war schon im ersten Stock unten, als ihm sein Vater von oben nachrief: »Mike! Mike! Ich muß mit dir reden!« Aber Michael hastete weiter die Treppen hinunter, bis er die Hitze des Hauses hinter sich hatte und im eisigen Regen stand. Und dann rannte er: glitt auf der eisigen Fläche aus und lag da, während eine Taxihupe aufheulte und der Fahrer ihn im Südstaaten-Jargon verfluchte; kam wieder auf die Beine und rannte weiter, rannte, ohne sich um die Bücher und Hefte zu kümmern, die er liegenließ, wo sie lagen.

Bei der 34th Street angekommen, fühlte er sich krank und taumelte völlig außer Atem auf den Subway-Eingang zu.

An den Heimweg erinnerte er sich nicht mehr. Wußte nur, daß er im Bett lag. Seine Kehle war wie ein Reibeisen, in seinem Schädel pochte es, und sein Körper glühte vor Fieber. Er fühlte sich ausbrennen.

Bald wird nur mehr meine Hülle da sein, dachte er.

Manchmal zog Carla durch seine Träume, ihr halboffener Mund, so locker und so feucht, ihre genußvoll sich blähenden Nüstern. Und im Traum wußte er, daß dies die Wirklichkeit war, und er schämte sich ihrer im Traum.

Manchmal zog auch die Obstfliege durch seine Träume, zeugend und sich vermehrend mit wunderbarer Leichtigkeit, weit wirksamer sich paarend als der Mensch, doch ohne jede Ekstase. Und manchmal war es wie Trommeln, und es schlug ihm das Trommelfell durch, wie er da lag auf dem heißen Kissen.

Am zweiten Tag seiner Krankheit erwachte er zum Bewußtsein.

Neben seinem Bett saß der Vater, bartstoppelig, ungekämmt.

»Wie geht's dir?«

»Besser«, sagte Michael heiser. Und hatte alles wieder vor Augen -

nur unbeweglich, starr.

Abe schielte zur Tür und befeuchtete sich die Lippen. Michael hörte seine Mutter in der Küche draußen das Geschirr abwaschen.

»Da ist noch vieles, was du nicht verstehst, Michael.« »Geh und stemm weiter deine Hanteln.«

Vor Heiserkeit klang seine Stimme tränenerstickt, und er war wütend darüber. Denn er kränkte sich nicht, er verspürte nur Haß, und der Vater sollte das wissen.

»Du bist ein Kind, und ein Kind soll nicht richten. Ich war immer ein guter Vater und ein guter Ehemann - aber ich bin auch nur ein Mensch.«

Michaels Schädel schmerzte, und sein Mund war trocken. »Sag mir nie mehr, was ich tun soll«, sagte er, » du nicht.«

Der Vater beugte sich vor und sah ihn durchdringend an. »Du wirst mich schon noch verstehen, später, nach zwanzig Ehejah-ren.«

Sie hörten, wie die Mutter das Geschirr abstellte und auf Michaels Zimmer zukam. »Abe?« rief sie. »Abe, ist er wach? Wie geht's ihm?« Sie riß die Tür auf und trat hastig ein, ein fettes Weib mit schwabbelnden Brüsten, plumpen Gelenken und lächerlich rotem Haar. Ihr bloßer Anblick machte alles noch schlechter.