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»Er nennt uns Damen.«

»Der Gute.«

»Aber unsere Scherze nennt er dumm.«

»Der Wicht.«

Trotz seiner Furcht wurde Hagen allmählich ungeduldig, zumal er wußte, daß die Wasserfrauen ihm nichts zuleide tun würden; der Siebenschläfer würde seine Beute nicht so leichtfertig aus der Hand geben. Die drei Weiber waren nur seine Botschafter.

»Also?« fragte Hagen mit leichtem Schwanken in der Stimme.

In der Finsternis, die ihre Gesichter verhüllte, war es unmöglich zu erkennen, welche der Frauen gerade sprach. Ohnehin schienen sie wie drei Körper einer einzigen Wesenheit.

»Dumm sind nicht unsere Scherze, sondern du, kleiner Hagen.«

»Niemand legt sich ungestraft mit den Rheingeistern an.«

»Der Fluß ist zornig. Der Siebenschläfer hat ihn gegen dich aufgebracht.«

»Gegen dich und die deinen.«

»Dumm, dumm, dumm.«

Sie nahmen die Worte als Rhythmus auf und summten ein seltsames Lied dazu. Es endete in erneutem Gekicher.

Hagen räusperte sich gewichtig. »Ich möchte den Fluß um Vergebung bitten. Und natürlich den Siebenschläfer.«

»Beide sind eins«, kam die Antwort.

»Eins wie wir.«

»Eins mit uns.«

»Werdet Ihr meine Entschuldigung annehmen?« Obwohl Hagens Knie zitterten, war es ihm doch, als spräche er mit Kindern, mit drei albernen, neckischen Mädchen.

»Das ist nicht so einfach, wie du denkst«, sagte eine der Wasserfrauen.

»Du wirst für deine Tat Buße tun müssen, ganz ohne Zweifel.«

Hagen hatte Mühe zu sprechen, die Worte steckten in seinem Hals fest. »Welche Art von... Buße meint Ihr?«

»Der Fluß verlangt Opfer.«

Statt weiteren Geplappers folgte ein Moment der Stille, der Hagen schmerzlich viel Zeit gab, sich darüber klarzuwerden, daß er mit leibhaftigen Wasserfrauen sprach. Und daß es hier nicht um ihre einfältigen Späße ging, sondern um sein Leben.

»Opfer?« fragte er schließlich. Er sprach sehr leise, voller Argwohn und Sorge.

»Aber ja doch«, sagte eine der Wasserfrauen. »Nur Opfer können den Siebenschläfer gnädig stimmen.«

»Vielleicht«, fügte eine andere hinzu.

»Von was für Opfern sprecht Ihr?« wollte Hagen wissen - genaugenommen wollte er es nicht, aber sich einfach umzudrehen und davonzulaufen wäre unklug gewesen.

»Wertvolle Opfer.«

»Kostbare Opfer.«

»Goldene Opfer.«

Hagen schluckte schwer. »Der Siebenschläfer will Gold?« Er war erleichtert - er hatte schon befürchtet, der Fluß verlange Menschenopfer -, doch zugleich beunruhigte ihn dieser merkwürdige Wunsch zutiefst. Ganz bestimmt konnte es nicht so einfach sein...

Die drei Wasserfrauen nickten in einer einzigen Bewegung ihrer mondscheinumrahmten Häupter.

»Ja«, sagten sie wie aus einem Munde. »Gold ist es, das er verlangt.«

Eine fügte hinzu: »Sehr viel Gold.«

Hagens Gedanken überschlugen sich. Woher sollte er Gold nehmen? Er selbst besaß nicht ein einziges Stück. »Ich habe dem Siebenschläfer doch zurückgegeben, was sein war«, protestierte er schwach.

Die Wasserfrauen lachten.

»Nicht du«, sagte eine in hämischem Tonfall.

»Dein Bruder war es.«

»Deshalb hat es nichts zu bedeuten.«

»Der Fluß verlangt, daß du selbst deine Tat bereust.«

»Aber ich bereue doch«, rief Hagen verzweifelt.

»Nicht genug«, erwiderten die Frauen.

»Es ist ganz einfach: Du opferst regelmäßig Gold -«

»- und der Fluß wird dich dafür verschonen.«

Hagen sank im feuchten Gras auf die Knie. »Wieviel verlangt Ihr?«

»Nicht ›wieviel‹«, wurde er verbessert. »Die Frage muß lauten: ›Wie oft?‹.«

»Und die Antwort heißt: Dein Leben lang.«

»Einmal in jedem Mond wirst du uns Gold bringen, erst wenig, dann immer mehr.«

»Niemals darfst du uns weniger bringen als beim Mal davor.«

»Heute einen Ring, in dreißig Tagen zwei Ringe.«

»Dann einen Goldreif.«

»Danach zwei.«

»Darauf vielleicht ein Sack mit Münzen.«

»Und so weiter, und so weiter.«

»Bis du stirbst.«

»Dann erlischt der Fluch.«

»Dann bist du frei.«

Wieder kicherten sie. »Kein schlechter Handel, was?«

Hagen erkannte die Grausamkeit dieser Forderung selbst durch den Nebel aus Furcht, der ihn umhüllte. Sehr, sehr leise fragte er: »Und was, wenn ich mich weigere? Oder nicht genug Gold zusammenbringen kann?«

»Dann sterben alle, die dir etwas bedeuten.«

»Dein Bruder.«

»Dein Vater.«

»All deine Freunde und Gefährten.«

»Und später, deine Frauen. Jede, der du ein Lächeln schenkst. Jede, an die du nur einen Gedanken verschwendest.«

»Der Fluß wird es wissen.«

»Wird wissen, was zu tun ist.«

»Wird es tun.«

Mit diesen Worten drehten sich die drei Frauen um, wandten Hagen den Rücken zu. Schweigend und aufrecht, mit Schritten voller Grazie, entfernten sie sich vom Ufer, sanken tiefer und tiefer in den Rhein hinab. Zuletzt schwebte nur noch ihr Haar zwischen den tanzenden Mondsplittern, dann waren sie gänzlich in der Tiefe verschwunden.

Hagen blieb allein zurück, blickte starr hinaus auf das Wasser. Er weinte nicht, flehte nicht. Nur in seinem Schädel jagten sich die Gedanken.

Als schließlich die Morgendämmerung über den Bergen erglühte, da erhob er sich und schleppte sich müde zurück zur Burg.

Kapitel 5

Sie ritten einen steilen Berg hinab, und Runold verkündete, das Dorf Zunderwald liege nur noch eine kurze Wegstrecke vor ihnen. Ein eigenartiger Geruch durchdrang die kühle Bergluft; es dauerte eine Weile, ehe Hagen begriff, wonach es roch.

Es war der Gestank von faulenden Wasserpflanzen am Ufer, von Fisch und aufgewühltem Schlick. Es war der Rhein.

Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto schweigsamer wurden die Gaukler. Nur Runold ergriff ab und an das Wort und übte sich in aufgesetzter Fröhlichkeit. Die meiste Zeit aber sprach niemand. Es wurden auch keine Rätsel mehr verlangt, der Rabengott hatte längst an Faszination verloren. Hagen fragte sich immer noch, ob sie wirklich glaubten, er sei Wodan im Leib eines Menschen, oder ob sie diese Behauptung nur ebenso leichtfertig hinnahmen wie alles andere, das ihr Anführer von sich gab.

Es machte Hagen keine Mühe, durch das Geklapper der Hufe und Knirschen der Wagenräder die Strömung herauszuhören. Ihr fernes Plätschern und Strudeln war noch weit genug entfernt, als daß es ihm ernsthafte Sorgen bereitet hätte, und doch schon so nah, daß er wachsam wurde. Sein letztes Goldopfer lag erst drei Wochen zurück, der Siebenschläfer war besänftigt. Der Fluß hatte nie gegen seine eigenen Gesetze verstoßen. Bisher.

»Könnte mir jemand die Landschaft beschreiben?« bat er ins Leere und hoffte, irgendwer würde ihm Antwort geben.

Einen Augenblick lang war es, als hätte man seinen Wunsch überhört; dann aber meldete sich neben ihm eine Frauenstimme zu Wort: »Die Hänge sind dicht bewaldet, die Bäume reichen bis ans Ufer. Das Dorf liegt auf einer Landzunge. Man kann es über eine Sandbank erreichen oder auch über eine hölzerne Brücke.«

»Es ist rundum vom Fluß umgeben?« Hagen gab sich Mühe, seine Unruhe im Zaum zu halten.

»Nahezu, ja.«

»Runold!« rief Hagen aus. »Ich muß mit dir sprechen!«

Schnelle Hufschläge näherten sich von der Seite. »Ja, Herr?«

Die Schwärze vor seinen Augen schien von allen Seiten auf Hagen einzudrängen. Einen Herzschlag lang glaubte er, etwas darin zu erkennen, nicht zu sehen, sondern zu spüren. Wieder hatte er das Gefühl, als käme langsam etwas aus der Finsternis auf ihn zu. Es brachte Kälte mit sich.