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»Herr?« fragte Runold noch einmal, eine Spur ungeduldiger.

Hagen riß sich zusammen. »Ich werde Euch hier verlassen... mein Freund«, fügte er nach kurzem Zögern hinzu. Er hoffte, das würde Eindruck auf den gottesfürchtigen Gaukler machen.

Der Anführer gab keine Antwort.

»Runold?« fragte Hagen nach einer Weile. »Seid Ihr da?«

»Ich bin da, Herr.«

»Gut. Ich sagte -«

»Daß Ihr uns verlassen wollt, Herr. Ich habe es gehört.«

Ein weiterer Augenblick des Schweigens verging. Hagen wollte schon auffahren, als jemand unvermittelt Paladins Zügel aus seinen Fingern riß. Das Schlachtroß wurde zum Halten gebracht. Der ganze Gauklerzug blieb stehen.

»Runold, was soll das?« Hagen bemühte sich, seine Panik nicht offen zu zeigen; statt dessen gab er seiner Stimme einen drohenden Unterton.

»Es tut mir leid«, entgegnete Runold.

Hagen entging nicht, daß der Gaukler auf die Anrede »Herr« verzichtet hatte. Auf einmal mußte er den heftigen Drang niederkämpfen, wild mit den Armen um sich zu schlagen. Nie zuvor hatte er seine Blindheit entsetzlicher empfunden als in diesem Moment.

»Ich muß um Verzeihung bitten«, sagte Runold, »aber ich kann nicht zulassen, daß Ihr uns verlaßt.« Eine unheilvolle Schärfe lag jetzt in seiner Stimme.

»Laßt sofort mein Pferd los!« zischte Hagen. »Ihr wißt ja nicht, was Ihr tut.«

Ganz in der Nähe hörte er wieder die Raben schreien. Federn streiften seinen Hals, doch das mußte der Kragen des Umhangs sein. Ein Raunen ging durch die Gauklertruppe. Paladin tänzelte leicht.

»Ihr müßt einsehen«, sagte Runold, »daß ich Euren Wünschen nicht entsprechen kann. Ich muß Euch bitten, bei uns zu bleiben. Euer Talent ist zu beachtlich, um es ungenutzt zu lassen.«

»Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht.« Hagen fragte sich, ob es ratsam sei, auf seinen Status als Gott hinzuweisen, doch etwas sagte ihm, daß es damit vorbei war.

»Ob Ihr es wißt oder nicht ist unbedeutend«, erwiderte Runold gelassen. »Eure Macht über Raben ist ganz erstaunlich. Eure ganze Erscheinung ist verblüffend. Ihr seid wie geschaffen für meine Truppe.«

Hagens Stimme war schneidend: »Welche Kunststücke führt Ihr vor, Runold? Es ist an der Zeit, mir die Wahrheit zu sagen.«

»Die Wahrheit?« Runold lachte krächzend. »Die Wahrheit mag sein, daß Ihr ein Gott seid - oder auch nicht. Und die Wahrheit mag sein, daß mein ganzer Trupp aus Göttern besteht - oder eben nicht.«

»Was meint Ihr damit?«

Runold lachte noch immer, ein heiserer, böser Laut. »Es sind Götter, die ich den Menschen verkaufe. Ein ganzer Trupp voller Götter. An Eurer Seite reiten der mächtige Donar, die liebliche Frija, der jugendliche Balder und noch einige mehr. Und Ihr, blinder Mann, werdet fortan der Herr aller Götter sein. Ihr seid Wodan, mein Wodan!«

»Ihr seid ja wahnsinnig!« Hagens Hand fuhr zum Sattel, dorthin, wo sein Schwert gehangen hatte. Es war nicht mehr da.

»Ich gestattete mir, Eure Waffe zu entfernen«, gestand Runold. »Vorsichtshalber. Und was den Wahnsinn angeht, den Ihr mir vorwerft, so muß ich ihn weit von mir weisen. Ich bin, wenn Ihr so wollt, nichts weiter als ein Kaufmann. Ich verkaufe den Menschen auf ihren Märkten und Festwiesen das, wonach es ihnen verlangt. Und was begehren sie mehr, als eine Begegnung mit den Göttern selbst? Ihr wißt doch sicher, wie es ist: Die Menschen glauben, was sie glauben wollen. Und sie sind bereit, dafür zu bezahlen, oft sogar ein hübsches Sümmchen. Meine Leute und ich leben gut davon.«

»So lange man uns Glauben schenkt«, warf jemand ein. Es klang mißmutig.

»Wer war das?« keifte Runold. »Ah, Ludwig! Wer sonst? Habe ich euch nicht allen ein feines Auskommen verschafft? Wer wart ihr denn, bevor ich euch zu dieser Truppe zusammenschloß? Bettler, Taugenichtse, eine Hure!«

Links von Hagen begann eine Frau leise zu weinen. Wahrscheinlich die »liebliche Frija«.

Runold steigerte sich weiter in seinen Zornesausbruch. »Alles verdankt Ihr mir, nur mir allein. Noch ein weiteres Wort, Ludwig, und du kannst gehen. Verschwinde, geh mir aus den Augen, wenn dir nicht paßt, was ich tue! Aber denk daran, was du hinter dir läßt!«

Der Mann namens Ludwig murrte leise, dann zog er es vor zu schweigen.

»Was Euch angeht«, sagte Runold nun wieder zu Hagen, »so wird es Euch bei mir gutgehen. Ihr seid der beste Wodan, der mir je über den Weg gelaufen ist. Irgendwann müßt Ihr mir verraten, wie Ihr das mit den Raben anstellt.«

Hagen hatte nicht die geringste Ahnung, was er meinte, hielt es aber für klüger, seine Unkenntnis fortan zu verschweigen. »Ihr zwingt mich also, bei Euch zu bleiben?« fragte er kühl. Allmählich bekam er sich wieder in den Griff.

»Folgt mir nach Zunderwald und schmeckt den Lohn, den ich Euch biete«, sagte Runold. »Es wird Euch gefallen. Ihr werdet mir noch dankbar sein.«

»Dafür, ein paar dummen Bauern das wenige aus den Taschen zu ziehen, was sie besitzen?« Hagens Lachen war voller Hohn. »Auf diesen Lohn verzichte ich gerne.«

Der Anführer der Gaukler - oder Götter - ließ abermals sein schnarrendes Lachen ertönen. »Um so besser. Mehr für uns andere.«

Damit war das Gespräch für ihn beendet. Jemand gab Paladin einen Klaps, der ganze Zug setzte sich erneut in Bewegung. Schweigen senkte sich über die Gruppe.

In Hagen rumorten Haß und abgrundtiefer Zorn. Wie hatte er je annehmen können, daß Runold ihn wirklich für einen Gott hielt? Was für ein Narr war er gewesen! Und ein Narr sollte er auch weiterhin sein, ausgestellt auf einer Bühne, vorgeführt und begafft.

In nicht einmal zehn Tagen - eher früher - würde der Fluß ein neues Opfer verlangen. Zum ersten Mal machte Hagen sich Gedanken, woher er all das Gold nehmen sollte.

Der Hang wurde flacher, der Flußgeruch stärker, und schon kurz darauf schlugen die Pferdehufe auf Holz. Das mußte die Brücke sein. Der Gedanke, daß unter ihm nichts als Wasser war, ängstigte ihn über alle Maßen. Hagen hatte nicht mehr die Kraft, sich gegen Runold und seine Pläne zu wehren. Er wollte nur noch auf festen Boden, fort vom Fluß und dem erbärmlichen Gestank, den er ausdünstete.

Der hohle Schlag von Paladins Hufen verklang. Sie ritten jetzt wieder über Land. Rechts und links des Göttertrupps wurden Stimmen laut, verhaltenes Flüstern, gelegentlich ein hölzernes Krachen - Läden, die vor den Fenstern geschlossen wurde. Offenbar war der Anblick der Reiterschar ehrfurchtgebietender, als Hagen für möglich gehalten hatte. Er stellte sich seine eigene Erscheinung vor: ein düsterer Mann mit Helm und Kettenhemd, angewiesen auf die Führung anderer, Scharten und Flecken in der Kleidung, die notdürftig von Nimmermehrs Mantel verborgen wurden. Wie sollte irgendwer allen Ernstes annehmen können, er sei das Oberhaupt der Götter?

Der Gedanke an den Mantel brachte die Vorstellung von Nimmermehrs warmer Stimme, ihrer Freundlichkeit und Sanftmut zurück. Er vermißte sie, auch wenn er sich gegen diese Empfindung wehrte. Er hoffte mit aller Kraft, daß sie in Sicherheit war, weit fort von ihrem Jäger, Morten von Gotenburg.

Eine Berührung riß Hagen aus seinen Gedanken. Erst glaubte er, eine Hand habe sich auf seine rechte Schulter gelegt.

Aber es war keine Hand. Es war viel leichter. Ein leises Schnarren drang an sein Ohr, dann das Rascheln von Federn. Durch die Reihe der falschen Götter ging ein atemloses Wispern. Da wußte Hagen, daß ein Rabe auf seiner Schulter saß. Und als wäre das nicht genug, wiederholten sich Berührung und Rascheln auch auf der linken Seite.

»Wunderbar«, jubelte Runold gedämpft. »Du machst das großartig. Du solltest die Leute am Wegesrand sehen! Alle schauen nur dich an.« Er lachte leise. »Ein paar der Männer scheinen allerdings auch von unserer Frija recht angetan...«