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Adalmar blieb wie angewurzelt in der Mitte der Halle stehen. Er blickte wild von einem Sohn zum anderen und sah einen Moment lang aus, als wolle er beide dem Scharfrichter vorführen lassen.

Dann aber, von einem Herzschlag zum nächsten, legte sich sein Zorn. Er hörte auf, wie ein Stier zu schnauben, schlug sich mit der Pranke vor die Stirn - und begann aus vollem Hals zu lachen.

Dankwart hob vorsichtig seinen Blick, schaute erst zu Hagen, dann zu seinem Vater hinüber. Der Graf schüttelte sich in brüllendem Gelächter wie ein Opfer der Tanzwut.

Schließlich, als Adalmar sich allmählich in den Griff bekam, winkte er seine beiden Söhne zu sich. Aus gegenüberliegenden Ecken der Halle traten sie an seine Seite, erst zögernd, dann aufrecht und gefaßt. Ihr Vater zog sie mit kraftvollen Armen an sich.

»Ich bin sehr stolz auch euch«, sagte er laut und würdevoll, so daß auch das horchende Gesinde hinter der Tür es hören konnte. »Ihr beiden, Hagen und Dankwart, seid würdige Söhne unseres Geschlechtes, und euch soll versichert sein, daß ich nur das Beste für jeden von euch will.« Er sah Dankwart an, der ihm, ebenso wie Hagen, bis zur Nase reichte. »Du, Dankwart, bist der Erstgeborene und wirst einst dieses Lehen erben. Deshalb mußt du mit den Gepflogenheiten am Hof zu Worms vertraut sein. Für dich kann es keine bessere Schule auf dem Weg zur Ritterwürde geben als die Königsburg.« Er lächelte Dankwart aufmunternd zu, dann blickte er Hagen an. »Du aber, Hagen, wirst deinem Bruder dereinst als Führer seiner Krieger zur Seite stehen, und deshalb wirst du vor allen Dingen lernen müssen, wie ein Ritter mit Waffen und Armeen und mit dem Blutdurst seiner Feinde umgeht. Was schert dich das höfische Spiel von Umwerben und Schmeicheln und Leisetreten? Du sollst der mächtigste Krieger an den Gestaden des Rheines sein, und wenn es einen gibt, der dir dabei helfen kann, dann ist es mein alter Kampfgefährte Otbert von Lohe. Er versteht nichts von Getändel und Diplomatie, aber wenn es um den Kampf Mann gegen Mann geht, dann ist er einer der Besten.«

Hagen war tiefberührt von den Worten seines Vaters, und obgleich ihm der Gedanke, an Otberts Hof zu reisen, nach wie vor zuwider war, suchte er nach einer freundlichen Erwiderung.

»Man hört«, sagte er, »Graf Otbert sei ein Meisterschütze mit dem Langbogen.«

»Aber ja«, rief Adalmar begeistert und sein Blick verklärte sich, als alte Erinnerungen in ihm aufstiegen. »In so manchem Kampf hat seine Bogenkunst das Blatt für uns gewendet. Otbert vermochte es, einem feindlichen Heerführer über hundert Mannslängen das Auge auszuschießen.«

»Hast du ihm deshalb Waffenbrüderschaft gelobt?« fragte Dankwart.

»Nicht wegen seiner Künste«, entgegnete Adalmar und krallte die Hände in die Schultern seiner Söhne. »Wir wurden Brüder, weil Otbert mir ein Freund war wie kein zweiter. Er hat mir mehr als einmal das Leben gerettet - so wie ich ihm -, und wir schworen uns, derlei nie zu vergessen.«

Mit einem Seufzen löste er sich von den beiden und trat an eines der hohen Spitzbogenfenster. Gedankenverloren blickte er hinaus über das Land, über Wälder und Fluß, als warte irgendwo dort draußen die Vergangenheit auf ihn.

»Wenn du morgen zu ihm abreist, Hagen, dann wird das sein, als kehre sein bester Freund zu ihm zurück.«

An einem Kreuzweg, unweit des Rheinufers, trennten sich die Reitergruppen. Dankwart warf Hagen einen letzten, sorgenvollen Blick zu, dann ritt er inmitten seines Gefolges davon. Hagens Bewacher, ein Trupp aus sechs Kriegern, angeführt von einem Vetter seines Vaters, wandten ihre Pferde gen Süden und wollten ihren Weg fortsetzen, doch Hagen hielt sie mit einem knappen Befehl zurück. Angespannt folgte sein Blick seinem Bruder.

Dankwart und seine Männer ritten zum Ufer hinab. Unweit der Anlegestelle stiegen sie von ihren Pferden und gaben dem Fährmann ein Zeichen. Das flache Boot näherte sich dem Ufer, und wenig später schon führte Dankwarts Trupp seine Tiere aufs Deck.

Hagens Herzschlag raste. Er hatte nur Augen für die grauen Wogen, die gegen den Rumpf der Fähre klatschten. Er sah den hellen Schaum auf den Wellenkämmen und glaubte Augen darin zu erkennen, Augen, die ihn höhnisch anglotzten.

Mehr als zwei Jahre lang hatte Hagen sich an seine Abmachung mit den Wasserfrauen gehalten, hatte Mond für Mond seinen Tribut an den Fluß gezollt. Anfangs waren es winzige Schmuckstücke gewesen, Ohrringe und Anhänger, die er aus dem Gemach seiner Mutter gestohlen hatte. Weil der Pfaffe der Gräfin gepredigt hatte, es gezieme einer demütigen Christin nicht, sich mit Gold und Silber zu behängen, war der Diebstahl unbemerkt geblieben. Im letzten Monat war das Goldopfer bereits angewachsen zu einem Säckchen von der Größe einer Männerfaust, entwendet aus der gräflichen Schatzkammer. Es war nur eine Frage der Zeit, ehe sein Verschwinden auffallen würde, und Hagen war mehr als dankbar, daß er dann nicht mehr in der Burg weilen würde.

Er also hatte sich an seinen Teil der Abmachung gehalten. Trotzdem leckte der Fluß am Rumpf der Fähre empor, hier und da schlugen gischtende Wellengipfel über die Reling und brachten Unruhe unter die Pferde. Dankwart wirkte bekümmert, denn obgleich er nicht um die wahre Natur von Hagens Handel mit dem Rheingeist wußte, so ahnte er doch, daß von dem Fluß eine unbestimmte Gefahr ausging.

Einen Augenblick lang wurde Hagen von Panik überwältigt. Er sah Dankwarts düsteres Gesicht, sah die graue, strudelnde Strömung, die scheuenden Pferde, die ahnungslosen Krieger, und er wußte plötzlich, daß dies kein gutes Ende nehmen würde. Wenn nicht an diesem Tag, dann an einem anderen. Wie sollte er auf Otberts Burg seine Goldopfer fortsetzen, an einem Ort, wo man ihn, einen Fremden, nicht so leichtfertig in der Nähe der Schätze dulden würde? Wen würde der Siebenschläfer als erstes bestrafen? Dankwart, seine Eltern, alle anderen, die ihm teuer waren?

Er hätte heulen mögen, war sich aber der Blicke seiner Begleiter bewußt, die nur auf ein Zeichen von ihm warteten, um die Reise nach Süden fortzusetzen.

Hagen hob noch einmal die Hand, um Dankwart zuzuwinken, dann wandte er sich abrupt ab und schloß zu den anderen auf. Er würde nicht zulassen, daß der Flußgeist mit ihm spielte.

Später, als sie bereits ein gehöriges Stück der Uferstraße zwischen sich und die Anlegestelle gebracht hatten, schaute Hagen sich noch einmal widerwillig um.

Die Fähre hatte auf der anderen Seite angelegt, die Reiter verließen das Deck. Der Fährmann sah ihnen zu. Er stand starr auf einen Stab gestützt im Heck des Bootes und wandte Hagen den Rücken zu.

Als der letzte Reiter im Wald verschwunden war, der Straße nach Worms entgegen, wandte der Fährmann plötzlich den Kopf.

Hagens Züge gefroren.

Wo das Gesicht des Mannes hätte sein sollen, war nichts als ein kreisender Wasserstrudel, außen grau und schäumend, in der Mitte aber schwarz wie ein wirbelndes Auge.

Höhnisches Gelächter drang vom Fluß herüber.

Alle außer Hagen hielten es für das Tosen der Strömung.

Drei Tage später passierte Hagens Reitertrupp den ersten Grenzstein zum Lehen des Otbert von Lohe. Die Burg des Grafen lag auf einem schroffen Felsen oberhalb des Flusses. Auf den umliegenden Hängen wurde Wein angebaut, am Ufer lagen Fischerboote. Die Sonne wanderte dem Horizont entgegen und tauchte den Rhein und die Weinberge in Gold. Ein Omen, dachte Hagen alarmiert, ohne jedoch die Bedeutung zu erkennen.

Die Pferde trugen sie bergauf, über einen geschlängelten Hohlweg, der vor einem zerklüfteten Felsgraben endete. Ein Horn ertönte auf den Zinnen der Burg, dann senkte sich mit einem erbärmlichen Quietschen die Zugbrücke über die Kluft. Die Hufe schlugen hart auf die Holzbohlen, als Hagen und seine Garde in die Festung einritten.