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Die Tür ging auf - und Hagens Träume von einem Besuch der schönen Malena zerstoben.

Im Schein der Korridorfackeln stand Graf Otbert.

»Komm, Junge«, sagte er düster, »ich will dir etwas zeigen.« Er trug ein Lederwams mit dem Wappen seiner Familie. Auf seinem Rücken hing ein prallgefüllter Köcher. Das Gefieder der Pfeile schimmerte bei jeder Bewegung.

Hagen sprang pflichtbewußt aus dem Bett und drehte sich eilig mit dem Rücken zur Tür, damit Otbert nicht bemerkte, daß seine Zuneigung für Malena sich deutlich unter seinem Nachtgewand abzeichnete. Schnell schlüpfte Hagen in seine Beinkleider, versuchte dabei, das Gesicht des Mädchens aus seinen Gedanken zu vertreiben, und zog sein Wams über.

Wenig später eilte er an Otberts Seite den Gang hinunter, bemüht, mit dem Grafen Schritt zu halten. Die Wandfackeln in ihren Halterungen warfen vereinzelte Lichtinseln in den Korridor, gelbes Flakkern spielte auf den Gesichtern der beiden. Otbert hielt einen reichverzierten Langbogen in der Rechten.

»Wo gehen wir hin?« wollte Hagen wissen.

»Das wirst du schon sehen.«

»In den Wald?«

»Du bist neugierig, Junge.«

»Nein, wißbegierig.«

Otbert schmunzelte, sagte aber nichts darauf. Sie traten durch eine niedrige Bogentür und stiegen eine enge Wendeltreppe nach oben. Hagen versuchte vergeblich, seinen Atem im Zaum zu halten, doch schon auf halber Strecke gab er auf und japste erbärmlich. Der Graf dagegen atmete trotz seiner schnellen Schritte regelmäßig und ruhig.

Sie erreichten die obere Plattform. Es war der Nordturm, wie Hagen jetzt erkannte. Ein einsamer Wächter stand hinter den Zinnen und blickte höchst erstaunt, als der Graf persönlich aus der Bodenluke stieg.

»Warte unten auf uns«, wies Otbert ihn an.

Der Wachtposten salutierte mit seiner Lanze, dann eilte er durch die Luke nach unten - nicht ohne Hagen vorher einen fragenden Blick zuzuwerfen.

Als die beiden allein auf dem Turm standen, hob Otbert langsam den Arm und wies hinauf in den Nachthimmel.

»Sieh, mein Junge, der Vollmond.«

Hagens Blick folgte Otberts ausgestrecktem Zeigefinger. Strahlend weiß und kugelrund hing der Mond in der Schwärze.

»Bevor dir irgend jemand anders davon erzählt, will ich dir etwas verraten«, sagte Otbert. »Ich weiß, daß hinter meinem Rücken darüber geflüstert wird, doch auch das gehört zum Leben eines Kriegers: Kümmere dich nie um das, was andere über dich sagen mögen.«

Hagen nickte und tat sehr überzeugt von des Grafen Rede. In Wahrheit wunderte er sich, worauf Otbert hinaus wollte. Wiewohl, er stellte keine Fragen, sondern wartete geduldig ab.

»Der Mond ist der älteste Feind der Menschheit«, erklärte Otbert voller Überzeugung. »Viele wissen es nicht, oder sie wollen es nicht wahrhaben. Dennoch gibt es keinen Zweifel, daß es so ist. Der Mond ist unser Feind, er will uns Böses, wo er nur kann. Er weckt Triebe und Gelüste in uns, die uns von Natur aus fremd sind. Er will uns weh tun, und er jubelt stumm, wenn es ihm gelingt. Er lockt die Flut aus den Meeren, läßt das Wasser steigen, bis es ganze Landstriche verschlingt. Er läßt uns nicht schlafen, und manche von uns zieht er magisch an.«

Hagen lauschte mit offenem Mund. Erzählte man sich deshalb, Otbert von Lohe sei verrückt? Er konnte sich vage erinnern, daß Bärbart einmal ähnliche Dinge über die Macht des Mondes gesagt hatte.

Otbert setzte sich zwischen zwei Zinnen und blickte Hagen eindringlich an. »Du hast meine Töchter gesehen. Dir ist etwas an ihnen aufgefallen, nicht wahr?«

»An Euren Töchtern?« stammelte Hagen. Liebe Güte, sollte er sich vorhin doch nicht schnell genug abgewandt haben? Hatte der Graf erraten, was er für Malena empfand?

»Red’ nicht drumherum, Junge, und gib mir eine Antwort.« Immer noch war der Blick des Grafen ernst und düster.

Hagen dachte, daß er Otbert Ehrlichkeit schuldete, auch dann, wenn es unangenehm war, die Wahrheit auszusprechen. »Nun, Nane wird sicher einmal ein hübsches Mädchen, und Malena ist jetzt schon... sie ist, nun ja, wunderschön...« Er spürte, wie sein Gesicht rot anlief.

Der Graf hob die rechte Augenbraue so hoch, daß Hagen schon glaubte, sie würde jeden Augenblick gegen seinen weißen Haaransatz stoßen. Dann, völlig unvermutet, überkam den alten Krieger Heiterkeit.

»Ach, mein Junge, die Frauen verdrehen uns Männern die Köpfe wenn sie nur mit den Schultern zucken. Sie mögen sich nichts dabei denken, aber wir... ja, wir werden ihr Lächeln nicht mehr los.« Er brach ab, als ihm klar wurde, daß er eigentlich auf etwas ganz anderes hinauswollte. »Malena ist wunderschön. Aber das meinte ich nicht.«

Hagen, der sich vor Beschämung am liebsten vom Turm gestürzt hätte, wich dem Blick des Grafen aus. »Dann meint Ihr ihre Augen?«

»Allerdings.« Otbert sah an Hagen vorbei zum Mond. Um seine Mundwinkel legte sich ein Zug der Verbitterung. »Die Alten flüstern über die Augen meiner Töchter. Sie raunen sich Dinge darüber zu, auch über das Weiß ihrer Haut. Eine Vettel verkündete hinter meinem Rücken, die Kinder könnten verhext sein, und es sei für alle besser, wenn man die Mädchen fortschicke oder« - er zog scharf die Luft ein - »sie sogar töte.«

Hagen mußte unwillkürlich an das denken, was ihm selbst widerfahren war, an den grausamen Ratschlag Bärbarts, und er war drauf und dran, Otbert davon zu erzählen. Doch es stand ihm nicht zu, den Grafen zu unterbrechen.

»Ich habe die Alte verbrennen lassen«, fuhr Otbert fort. »Vorher brachte ich sie dazu, ihre Worte zu widerrufen. Seitdem höre ich nur noch wenig von dem, was gemunkelt wird, aber ich habe keinen Zweifel, daß die alten Vorurteile immer noch genährt werden.« Er zog Hagen an der Schulter herum, damit ihnen beiden das weiße Licht des Mondes geradewegs in die Gesichter fiel. Hagen erschrak, riß sich aber zusammen. »Schuld an allem ist nur der Mond«, sagte Otbert.

»Wie meint Ihr das?«

»In der Nacht, als Malena geboren wurde, schien der Vollmond vom Himmel. Und es war genauso, als Nane zur Welt kam. Beide sind Mondkinder, verstehst du?«

Hagen verstand nicht, nickte aber trotzdem.

»In manchen Nächten steigen Malena und Nane aus ihren Betten und wandeln schlafend durch die Burg. Es zieht sie zum Mond hinauf, sie geistern durch die Flure und Hallen, bis sie ein Fenster finden, durch das der Mondschein hereinfällt. Dort stehen sie dann die ganze Nacht, lächeln verträumt zum Mond empor und baden in seinem Licht. In einer Nacht wurde die Gräfin von den Wachen alarmiert: Malena tanzte nackt auf den Zinnen der Burg, schien niemanden wahrzunehmen, und als Laurine sie weckte, konnte sie sich an nichts mehr erinnern. Sie wußte nicht einmal, wie sie hinauf auf die Mauern gekommen war.«

Die Vorstellung jagte Hagen einen warmen Schauer über den Rücken. Er fragte sich, weshalb Graf Otbert ihm überhaupt davon erzählte. Wollte er ihn nur auf mögliche Seltsamkeiten vorbereiten, die er in der Burg erleben mochte?

Otbert packte Hagen an beiden Schultern. »Bevor du ein wahrer Krieger wirst und mit Schwert und Axt auf die Schlachtfelder ziehst, sollst du wissen, daß kein Feind in Menschengestalt die Bösartigkeit des Mondes übertrifft. Er ist unser ewiger Widersacher, unser Gegner jetzt und immerdar.«

Er ließ Hagen los, packte seinen Bogen und zog einen Pfeil aus dem Köcher. In einer einzigen, blitzschnellen Bewegung legte er den Pfeil auf die Sehne, spannte die Waffe und zielte geradewegs auf den Vollmond.

»Was -«, begann Hagen verwirrt, doch Otbert unterbrach ihn:

»Still«, zischte er. »Sieh einfach nur hin.«

Der Graf ließ die Sehne los, der Pfeil surrte hinaus in die Nacht, genau auf die Mondscheibe zu. Hagen sah, wie er im Zentrum des weißen Lichtes verschwand.

»Getroffen!« rief Otbert aus, doch in seiner Miene war keine Freude. »Ich treffe ihn immer, wieder und wieder. In jeder Vollmondnacht schieße ich ihm einen ganzen Köcher voller Pfeile in sein verfluchtes leuchtendes Herz, und doch ist es mir nie gelungen, ihn vom Himmel zu holen.«