Doch das war nicht alles. Da war noch etwas, unsichtbar, aber Hagen konnte es fühlen. Es war ein Teil seiner Seele, und darin ein Teil seines Fluchs.
Die Worte, die seine Mutter ihm in jener Nacht zugezischt hatte, traten ihm wieder ins Bewußtsein, so wie seit Wochen Tag für Tag: Fällt man den Baum, der den Geheilten geboren hat, und läßt man ihn als Teil eines Schiffes zu Wasser, so entsteht daraus ein Klabautermann. Ein Wassergeist, ein Teufel.
Sie hatte geahnt, wie es kommen würde. Hatte es zumindest befürchtet. Ein Teufel, schlimm genug. Und schlimmer noch: mit Hagens Fluch beladen.
Seit Zunderwald war ihm klargeworden, daß er das nicht zulassen konnte.
Er entkorkte den Lederschlauch, den er einem fahrenden Händler abgenommen hatte. Stinkendes Öl ergoß sich über die Wurzeln der Eiche, rundherum, dann auch über die Rinde des Stammes, und so hoch hinauf in die Äste, wie Hagen es gerade noch schleudern konnte.
Dann hockte er sich ins Gras. Mit grellem Klang schlugen die Feuersteine aneinander. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Funken sprühten.
Der Baum stieß ein Fauchen aus wie ein wildes Tier. Vielleicht war es auch nur die Feuerlohe, die schlagartig am Stamm hinaufloderte. Flammen züngelten wie gelbe Schlangen an der Rinde empor, zwischen die Zweige, hoch in die Krone. Innerhalb weniger Augenblicke stand der ganze Baum in Flammen. Glut umhüllte ihn von den Wurzeln bis zu den Astspitzen. Eine Fahne aus pechschwarzem Rauch quoll gen Himmel, vereinigte sich mit trüben Wolkenballen.
Hagen sah zu, wie die Eiche verbrannte, sah zu, wie das Feuer sie mit solcher Wut verzehrte, als hatte es nur auf diesen Augenblick gewartet.
Mit dem Baum verging ein Teil seiner selbst. Niemand würde diesen Stamm mehr fällen und zu Wasser lassen. Kein Klabautermann, kein Teufel mit Hagens Seele würde durch die Tiefen ziehen. Kein zweiter Siebenschläfer.
Er wartete, bis die Zweige zu Asche zerfielen und nur noch der brennende Baumstamm dastand, eine Fackel vor dem Grau des Himmels. Das Nachtstück war endlich frei. Nach zwei Jahrzehnten verging auch dieses winzige Bruchstück der Zeit.
Hagen aber wandte sich um und lief zurück zum Wald, schlug sich quer durch die Bäume, ließ sie hinter sich und mit ihnen die Ruine auf ihrem einsamen Felsbuckel. Nur einmal schaute er sich um, sah das Feuer auf der Klippe und dachte, daß er das Richtige getan hatte. Zum ersten Mal seit Jahren: das Richtige.
Hagen schöpfte neue Hoffnung. Er hatte jetzt ein Ziel. Und vielleicht erwartete ihn dort etwas, das Glück zumindest nahekam.
Da vorne, ja, er sah es vor sich!
Sein Ziel, seine Zukunft, sein Frieden.
Worms.
ENDE
Chronologie
Die Nibelungen
Die große Saga »Die Nibelungen« ist keine Nacherzählung des weltberühmten Nibelungenliedes. Jeder Roman erzählt eine neue, aufregende Geschichte um einen Helden des Epos. Gleichwohl lassen sich die Romane in die Chronologie des Liedes einordnen.
Chronologie
Die Flammenfrau
Der Rabengott
Hagen kommt nach Worms und beginnt seinen Aufstieg zum Berater.
Der Runenkrieg
Siegfried tötet Nibelung und Schilbung. Er stiehlt Alberich die Tarnkappe.
Der Feuerstein
Siegfried erschlägt den Drachen.
Das Drachenlied
König Dankrat von Burgund stirbt. Gunther besteigt den Thron.
Das Nachtvolk
Siegfried kommt nach Worms.
Die Helden reisen nach Island und kämpfen um Brunhilds Hand.
Siegfried heiratet Kriemhild, Gunther vermählt sich mit Brunhild.
Hagen tötet Siegfried und versenkt den Nibelungenhort im Rhein.
Kriemhild heiratet den Hunnenkönig Etzel.
Die Burgunden folgen Kriemhilds Einladung zur Hunnenburg.
Kriemhild läßt die Burgunden von den Hunnen ermorden.