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Ein seltsames Unbehagen überkam ihn mit der Plötzlichkeit eines Blitzschlages.

Und ebenso schnell verging es wieder. Denn auch in den drei übrigen Wipfeln sah er es nun glänzen. Mehr, noch mehr Gold!

Wütend über seine Hilflosigkeit blickte er über die rasende Wasseroberfläche. Zwischen den Wipfeln, die etwa schulterhoch aus dem Fluß ragten, hatte sich nicht nur das Boot verfangen; armdicke Stränge aus Wasserpflanzen reichten von Baum zu Baum.

Ohne Zögern, den Geist vom nahen Reichtum verschleiert, hangelte sich der Jung über die Reling, streckte einen Fuß ins Wasser. Das schwankende Schiff zog ihn hoch und wieder herunter, doch der kurze Moment, in dem sein Bein bis zum Knie unter der Oberfläche verschwand, reichte aus, ihm erneut die Kälte des Wassers ins Gedächtnis zu rufen.

Trotzdem, er mußte es wagen!

Wenn er mit all diesen Schätzen nach Hause käme, würde sein Vater sicher auf eine Strafe verzichten. Und er konnte immer noch genug davon für sich selbst verstecken, um irgendwann ein gemachter Mann zu sein - auch ohne den Besitz seiner Familie, der nach dem Tod des Vaters an seinen älteren Bruder fallen würde.

Er schloß die Augen und ließ sich fallen.

Die Kälte war wie ein Schlag mit einem Streithammer, hart und kraftvoll und mitten ins Gesicht. Vielleicht verlor er einen Herzschlag lang das Bewußtsein, vielleicht auch nicht; auf jeden Fall wußte er kurz darauf nicht mehr, wie er innerhalb eines Augenblicks plötzlich auf die andere Seite des Tannenkreises geraten war, beide Fäuste um einen der Pflanzenstränge geklammert.

Die Strömung! Sie war viel stärker, viel schneller, als er angenommen hatte. Und schon spürte er, wie sie an seinen Armen zerrte, wie sie ihn mit sich reißen wollte.

Irgendwie gelang es ihm trotzdem, sich an dem Strang aus verschlungenen Wasserpflanzen entlangzuhangeln, bis er einen der Tannenwipfel erreichte. Er dachte nicht mehr an die Gefahr, in der er schwebte, nicht ans Ertrinken, Zerschellen, an eine tödliche Erkältung. An nichts von alledem. Der Gedanke an das Gold beherrschte sein ganzes Denken. Dafür mochte es sich lohnen zu sterben, damit konnte er auch vor sich selbst rechtfertigen, warum er überhaupt für dieses Abenteuer sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte. Plötzlich war es kein Kinderstreich mehr; wenn er das hier überlebte, dann war er ein Held!

Er klammerte sich mit Armen und Beinen an den Baum, der sich leicht mit der Strömung vornüberbeugte. Mit einer Hand pflückte der Junge das Geschmeide aus den Zweigen wie goldene Früchte. Er stopfte es im Chaos der Gischt in seinen Hosenbund, in der Gewißheit, daß seine Hosenbeine in den Stiefeln steckten und er seinen Schatz nicht verlieren würde.

Weiter hangelte er sich an den Pflanzensträngen, und das Wasser, das er dabei schluckte, hätte den Durst einer halben Armee gestillt. Doch er erreichte auch diesmal sein Ziel, packte den Wipfel, hielt sich fest und zog das Gold aus den Zweigen.

Nur einmal kam ihm die Frage in den Sinn, wie das Geschmeide hierhergekommen war. Elstern, sagte er sich; sicher hatten sie es in den Bäumen versteckt, lange vor dem Hochwasser.

Er zweifelte nicht an seinem Tun, glaubte auch nicht, daß er etwas Unrechtes tat. Wem auch immer das Gold einst gehört hatte, nun hatte der Fluß es für sich beansprucht. Der Fluß! Was sollte der schon damit anfangen?

Noch ein Tannenwipfel stand aus, der fünfte und letzte. Der Weg dorthin war schnell überwunden. Schneller noch war das Gold eingesteckt. Schwer und kantig füllte es die Hosenbeine des Jungen, zog ihn merklich nach unten. Er aber dachte nur: Ich bin reich genug, um mir eine eigene Burg zu bauen.

Etwas veränderte sich, schlagartig.

Von einem Moment zum nächsten machte die reißende Strömung einen Bogen um das Innere des Tannenkreises. Sie teilte sich rechts und links des Bootswracks und floß zu beiden Seiten an den Baumwipfeln vorüber. In der Mitte des Kreises aber glättete sich die Oberfläche, bis sie so ruhig dalag wie ein riesiger Spiegel. Das Abbild des Vollmondes schimmerte darin wie eine weiße Pupille in einer schwarzen Iris.

Entgeistert bemerkte der Junge, wie der Druck auf seinen Körper nachließ. Er befand sich im Inneren des Kreises. Nur eine Armlänge von ihm entfernt schossen die Fluten mit ungehemmter Wut nach Norden; hier aber, auf seiner Seite des Pflanzenstranges, war das Wasser so still und glatt wie ein Bergsee.

Da, plötzlich, entstand im Zentrum des Zirkels eine Bewegung, genau dort, wo das Spiegelbild des Mondes schwebte wie eine leuchtende Scheibe. Das Wasser begann sich zu drehen, erst ganz langsam, dann schneller, bis ein gewaltiger Strudel entstand. Seine scheinbare Trägheit täuschte, seine Kraft war jener der Strömung um ein Vielfaches überlegen. Dem Jungen blieb nicht einmal Zeit, einen Schrei auszustoßen. Er wurde vom äußeren Arm des Strudels gepackt, verlor den Pflanzenstrang aus den Händen und trieb in einer rasenden Kreisbewegung zum Mittelpunkt des Tannenzirkels. Einen Herzschlag lang war ihm, als beugten sich die schwarzen Wipfel einander zu, um verstohlen miteinander zu flüstern; dann drang Wasser in seine Augen, schäumte kalt in seinen Mund.

Er wußte, er würde ertrinken.

Doch er täuschte sich abermals. Der Strudel erstarb im selben Augenblick, da er den Jungen in das Zentrum des Kreises gezogen hatte. Das Wasser glättete sich wieder, die Spiegelung des Mondes festigte sich erneut - der Junge schwamm genau in ihrer Mitte, ein Dorn im Herzen des Lichtauges.

Er wollte schreien, um Hilfe brüllen, Gnade erflehen. Doch seine Stimme versagte ihm den Dienst. Das Entsetzen knebelte ihn mit Schweigen, der Mond fesselte ihn im Zentrum der wispernden Wipfel.

Er spürte, wie die Kälte des Flusses immer noch eisiger wurde. Sie schien aus der Tiefe emporzusteigen, ganz genau unter ihm, kam immer höher und höher, so als gefriere das Innere des Kreises zu einer mächtigen Säule aus Eis.

Kapitel 1

Als er erwachte, war er blind. Da waren auch Schmerzen, starke Schmerzen. Mit ihnen konnte er umgehen; die Blindheit aber war etwas anderes. Es war lange her, daß etwas ihm solche Angst gemacht hatte, mehr als zwanzig Jahre. Damals, allein im Wasser, da war er genauso hilflos gewesen.

Aber das war lange her, und die Zeit hatte das Gefühl der Angst in seiner Erinnerung zum Verblassen gebracht. Er wußte noch, daß er sich gefürchtet hatte, aber wie es genau gewesen war, das hatten die Jahre für ihn verdrängt.

Jetzt aber war die Furcht wieder da, und er erkannte sie wieder wie einen bösen, alten Feind.

Er konnte nichts sehen, nichts als tiefe, formlose Schwärze. Keinen Schimmer von Licht, kein Glühen in der Ferne, nicht einmal den Nachhall dessen, was er vor seiner Bewußtlosigkeit erblickt hatte. Nur Finsternis.

Hagen von Tronje schrie auf, gellend und lang und verzweifelt. Seine Finger fuhren in Panik hoch zum Gesicht, die Lederkappen seiner Handschuhe berührten die Lider. Seine Augen waren noch da, keines war ausgestochen oder von einem Hieb zerfetzt. Aber die Berührung tat weh, weh genug, um ihn abermals aufschreien zu lassen.

Blind! dachte er immer wieder, während das Entsetzen in ihm tobte.

Blind.

Er lag am Boden, unter seinem Rücken war hartes Gestein.

Die Felsen! Er erinnerte sich. Die Schlacht hatte unten in der Ebene begonnen und sich immer weiter hinauf in die Berge verlagert. Er war mit seinem Trupp aus Söldnern und Halsabschneidern in einen Hinterhalt geraten, wo andere Söldner und Halsabschneider ihnen den Garaus gemacht hatten. Er erinnerte sich, daß ihn der Angriff zweier Gegner nach hinten geschleudert hatte, er war gestürzt, vielleicht mit dem Kopf aufgeschlagen. Möglicherweise war seine Blindheit nur eine zeitweilige Auswirkung des Aufpralls. Das konnte sein; ja nur ein Moment noch, bis sich seine Sinne klärten und er wieder -