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»Ist das eine Höhle?« Er hoffte inständig, sie würde nein sagen, denn seine Augen hatten keine Änderung der Lichtverhältnisse wahrgenommen. Schwarz blieb Schwarz blieb Schwarz...

»Ja. Du kannst dich hier ausruhen.«

»Nur ich? Was ist mit dir?«

»Ich bin nicht erschöpft.«

Er gestand sich ein, daß er sich ausgebrannt fühlte, leer und nutzlos. Von seiner Blindheit ganz zu schweigen. Außerdem war er verwundet. Ja, Hagen war erschöpft, nicht nur von der Schlacht und ihren Folgen, auch von dem Marsch zur Höhle.

Das Mädchen war nicht einmal außer Atem.

Hagen hörte Stoff rascheln, dann half sie ihm, sich auf den Boden zu setzen. Unter sich spürte er weiches Leinen.

»Was ist das?«

»Mein Mantel.« Die Richtung, aus der ihre Stimme kam, veränderte sich. Sie schien sich vor ihm niederzulassen. Wieder raschelte etwas. Es verwirrte ihn, daß er sie nicht sehen konnte. Es machte ihn zornig.

»Beschreib mir immer, was du tust«, fuhr er sie an, grob in seiner Hilflosigkeit.

Sie zögerte einen Augenblick, vielleicht beleidigt über seinen Ton, dann sagte sie leise: »Ich packe mein Bündel aus. Ich habe Kräuter und Salben für deine Verletzungen dabei, auch ein paar Verbände. Aber ich glaube nicht, daß sie reichen werden.«

Ihm wurde bewußt, daß ihm zwar der ganze Körper weh tat, er aber nicht ausmachen konnte, wo er wirkliche Wunden davongetragen hatte. Er hätte sich ausziehen und von oben bis unten betasten müssen, und das würde er vor den Augen des Mädchens ganz gewiß nicht tun.

»Zieh dich aus«, sagte sie im selben Moment.

Er schnaubte abweisend und schüttelte den Kopf; sogleich schmerzte sein ganzer Schädel. Womöglich war er schwerer verletzt, als er angenommen hatte.

»Wenn du es nicht tust, kann ich deine Wunden nicht behandeln.« Nun wirkte sie fast erheitert, spöttisch sogar. Ihm fiel auf, daß jedes ihrer Worte ein wenig wie Gesang klang, seltsam melodiös; es war fast, als müßte jeder ihrer Sätze mit einem Reim enden. »Wenn ich deine Wunden nicht behandeln kann, wirst du verbluten.«

Deshalb also fühlte er sich so schwach. »Gut«, sagte er widerwillig. »Du wirst mir helfen müssen.«

»Tue ich das nicht schon die ganze Zeit?« Ein Tonfall wie die Unschuld leibhaftig. Er stellte sich große, braune Augen vor, mochten die Götter wissen, weshalb. Er wünschte sich, er könnte erkennen, wie sie aussah. Ihr Gesicht, die feinen Hände. Ihre Lippen, über die die Worte mal spöttisch, mal sanftmütig drangen.

Als sie ihm half, das Kettenhemd und das naßkalte Wams vom Leib zu ziehen, die hohen Lederstiefel und die Beinkleider, sogar seine Handschuhe, da wurde ihm bewußt, wie sehr er auf ihre Hilfe angewiesen war.

»Ohne dich hätte ich es nicht geschafft«, gestand er, als er nackt vor ihr lag. Nackt auf ihrem Mantel.

»Das war doch nur Kleidung.« Sie bestrich eine Verletzung an seinem Oberschenkel mit etwas Kühlem, das wie feuchter Waldboden roch.

»Das meine ich nicht. Du hast mir das Leben gerettet.«

Darauf schwieg sie, fuhr stumm mit ihrer Behandlung fort. Wortlos ließ er alles geschehen, was sie mit ihm tat. Sie bedeckte ein gutes Dutzend Wunden mit ihrer Salbe, einige bandagierte sie.

»Was ist mit meinen Augen?« fragte er schließlich, nachdem sie sich um alles andere gekümmert hatte.

»Willst du eine ehrliche Antwort?«

Seine Faust schoß vor, bekam durch einen Zufall ihr Handgelenk zu packen; gut, dadurch sah er nicht allzu hilflos aus. »Sag mir, was mit meinen Augen passiert ist!«

»Das linke wird blind bleiben, es ist so rot wie ein Herbstapfel.«

»Und das rechte?« fragte er mit schwankender Stimme.

»Nicht so blutunterlaufen wie das linke. Wenn du Glück hast, wirst du in ein paar Tagen oder Wochen wieder damit sehen können.«

Er schloß die Lider, als würde das irgend etwas zur Heilung beitragen. »Das linke, also...«

»Bleibt blind.« Ihre Traurigkeit klang aufrichtig.

Er bemerkte, daß er immer noch ihr Handgelenk festhielt, und ließ es schlagartig los, als hätte er sich daran die Finger verbrannt. Statt dessen tastete seine Hand vorsichtig nach ihrem Gesicht. Sie schien ihm auszuweichen, denn seine Finger fühlten ins Leere.

Draußen vor der Höhle erklang das heisere Krächzen von Raben. Anscheinend waren sie doch nicht so weit von den Leichen entfernt, wie er geglaubt hatte. Merkwürdig, nach solch einem Marsch.

»Wie siehst du aus?« fragte er leise.

Ganz sanft und fast noch melodiöser als zuvor erwiderte sie: »So wie du es wünschst.«

Das verwirrte ihn nur noch mehr. »Warum hilfst du mir?«

»Damit du mir hilfst.«

»Ich?« Häme kroch in seine Stimme. »Wie sollte ich irgendwem helfen können? Ich bin ein Krüppel, zu nichts mehr nütze als zum Flennen und Betteln und -«

»Das ist nicht wahr«, unterbrach sie ihn sanft. Und wiederholte noch einmal, viel, viel leiser: »Nicht wahr.«

Einen Moment lang wurde er unsicher, ein ungewohntes Gefühl. »Wobei könnte ich dir schon helfen?«

Er spürte, wie sich ihre Lippen an sein Ohr senkten. »Später«, wisperte sie. Er fühlte die Wärme ihres Atems, aber als er die Hand hob, um ihre Wange zu berühren, da war sie abermals verschwunden.

»Schlaf jetzt«, säuselte sie, so, wie Mütter es zu ihren Kindern sagen.

Er hörte am Rascheln ihrer Kleidung, daß sie sich zurückzog und in ein paar Schritten Entfernung niederlegte.

»Eins noch«, fragte er, als ihn bleierne Müdigkeit überkam. »Wie ist dein Name?« Es war plötzlich so schwer, die richtigen Worte zu formen.

»Mein Name?«

Diese Trauer in ihrer Stimme - warum nur?

»Mein Name«, sagte sie noch einmal, und diesmal war es keine Frage.

Hagen schlief ein, sein Bewußtsein glitt langsam davon. Trotzdem hörte er ihre Stimme.

Das Mädchen sagte: »Nimmermehr.«

Etwas war anders, als er erwachte. Er vermochte nicht genau zu bestimmen, was es war, aber er spürte es deutlich.

Sie war anders. Gelöster, fast fröhlich.

»Gut geschlafen?« fragte sie. Es roch nach aufgebrühten Pflanzen, und es war warm in der Höhle.

»Ich koche Kräutersud«, erklärte sie.

Hagen schlug die Augen auf. Sah nichts als Finsternis. Ein Alptraum?

Diese Schwärze! Diese tiefe, bodenlose Schwärze! Ihm war, als stiege etwas daraus empor, wie aus einem Abgrund; irgend etwas kam ihm aus der Tiefe entgegen, brachte die Erinnerung an etwas anderes mit sich, das genauso zu ihm aufgestiegen war, vor langen, langen Jahren...

Hagen riß den Mund auf und schrie, schlug um sich, schrie noch lauter, gellender...

Eine zarte Hand schnellte aus dem Nichts heran und schlug ihm mit aller Kraft ins Gesicht.

Er verstummte. Sammelte sich. Ganz allmählich kehrte seine Ruhe zurück, und mit ihr die Vernunft.

Er war wach, und Nimmermehr war bei ihm.

»Geht es?« Ihre Stimme war voller Sorge.

Er suchte nach Worten, doch alle, die er fand, waren: »Ja, ich glaube.«

»Ich bringe dir den Kräutersud. Er wird dir guttun.«

Er fürchtete, sie könnte fortgehen, könnte ihn zurücklassen. Allein, gefangen im Abgrund seiner Blindheit. Im Angesicht einer lichtlosen Tiefe, in der irgend etwas lauerte.

»Geh nicht fort!« Es war, als riefe seine Stimme ohne sein Zutun.

»Ich gehe nicht fort. Ich verspreche es dir.«

Sie kehrte zurück und stellte etwas mit blechernem Scheppern auf dem Felsboden ab. Ein Topf. Der Dampf, der ihm daraus entgegenschlug, war so heiß, daß er ihm den Atem nahm.

Nachdem sie ihm etwas davon eingeflößt hatte, ging es ihm bald ein wenig besser. Sein Körper erwärmte sich, und Nimmermehr half ihm, sich aus ihrem Mantel zu wickeln und seine Kleidung überzustreifen. Er wollte auf das Kettenhemd verzichten, doch sie bestand darauf.