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»Was haben die Kerle erbeutet?«

»Geld und Schmuck im Wert von etwa fünfzig Guineen. Die Räuber waren sehr gründlich.«

»Die Räuber?!«, fragte Hawkwood.

»Nach Aussage der Zeugen waren es ein Mann und ein Junge«, sagte Read. Er lachte kurz und verbittert, ehe er hinzufügte: »Der Meister und sein Lehrling.«

Dann holte der Richter eine kleine, ovale Schnupftabakdose aus seiner Rocktasche, öffnete geschickt den Perlmuttdeckel und legte eine Prise Tabak auf die Wölbung zwischen dem Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand. Er inhalierte das feine Pulver in sein linkes Nasenloch, wiederholte die Prozedur mit dem rechten, klappte die Dose zu und steckte sie wieder weg.

»Konnten die Zeugen die Räuber beschreiben?«, wollte Hawkwood wissen, obwohl er die Antwort bereits kannte. Das Kopfschütteln des Richters bestätigte nur seine Vermutung.

Jetzt kräuselte der Richter die Nase und zog ein Taschentuch aus seinem Ärmel.

»Sie waren maskiert. Nur der Ältere hat geredet. Vielleicht ist der Junge stumm. Aber beide sind Mörder. Der Ältere hat den Kurier getötet, und der …«

»Den Kurier?«, warf Hawkwood ein.

»Ja, einen Kurier der Admiralität. Der Mann ist in Dover zugestiegen. Der Wachmann wurde von dem Komplizen erschossen. Die beiden sind skrupellose Schurken, Hawkwood, damit wir uns recht verstehen.«

»Gibt’s sonst noch Hinweise?«, erkundigte sich Hawkwood und erschrak, als der Richter laut nieste, sich dann die Nase putzte und den Kopf schüttelte.

»Nein, nichts von Bedeutung, obwohl den Passagieren etwas Merkwürdiges aufgefallen ist. Sie hatten den Eindruck, dass der ältere Mann kein guter Reiter sei.«

»Wie das?«

»Die Räuber wurden von einer berittenen Patrouille gestört. Beim Sprung auf sein Pferd verfehlte er den Steigbügel und wäre beinahe gestürzt. Er hatte Mühe, in den Sattel zu kommen.«

»Ein Straßenräuber, der nicht reiten kann«, überlegte Hawkwood laut. »Das ist ungewöhnlich.«

»Richtig«, stimmte Read zu und schniefte. »Obwohl es vielleicht nichts zu bedeuten hat. Wie schade, dass Officer Lomax mit seiner Patrouille nicht ein paar Minuten früher dort angekommen ist. Dann hätten sie die Schurken bestimmt noch erwischt. Trotz des stürmischen Wetters. Der Regen hat alle Spuren verwischt.«

»Ein Mann und ein Junge«, dachte Hawkwood nach. »Damit lässt sich nicht viel anfangen.«

»Der Meinung bin ich auch«, stimmte Read zu und stopfte das Taschentuch wieder in seinen Ärmel. »Deshalb habe ich Sie kommen lassen. Während sich Lomax weiter um die Passagiere kümmert, sollten Sie sich auf die gestohlenen Gegenstände konzentrieren. Wie es aussieht, können wir die Räuber nur aufspüren, wenn Sie den Verbleib der Beute ausfindig machen. Sie haben doch gute Kontakte zur Unterwelt. Hören Sie sich dort um. Mord und Verstümmelung auf des Königs Straßen dulde ich nicht! Schon gar nicht, wenn ein Kurier davon betroffen ist. Und wie mir mitgeteilt wurde, hinterlässt der Wachmann, dieser arme Kerl, eine Frau und vier Kinder. Bei Gott, Hawkwood, ich will, dass diese Männer gefasst und bestraft werden. Ich …« Der Oberste Richter verstummte, als er Hawkwoods Gesichtsausdruck sah.

»Jemand wurde verstümmelt?«, fragte Hawkwood.

Als der Oberste Richter auf seine Schuhe hinuntersah, folgte Hawkwood seinem Blick und stellte nicht zum ersten Mal fest, dass James Read sehr kleine Füße hatte, so zierlich wie die eines Tänzers.

»Dem Kurier wurde die Hand abgetrennt.«

Hawkwood spürte, wie sich ihm der Magen schmerzhaft zusammenzog, ehe er entsetzt fragte: »Sie haben ihm die Hand abgehackt?«

»Die Kuriertasche war mit einer Kette am Handgelenk des Offiziers befestigt. Die Räuber glaubten wohl, die Tasche enthalte etwas Wertvolles. Und da der Kurier keinen Schlüssel für das Vorhängeschloss besaß – wie die Passagiere ausgesagt haben –, hat der Schurke ihn erschossen, ihm die Hand abgehackt und die Tasche mitgenommen. Er muss wohl in Panik geraten sein, als sich die Patrouille näherte.«

»Hat die Tasche denn etwas Wertvolles enthalten?«

»Gewiss nichts, was für gewöhnliche Diebe interessant wäre«, sagte der Oberste Richter mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Wahrscheinlich haben die Kerle die Tasche bei ihrer ersten Rast einfach weggeworfen. Ihnen ging es nur um Geld und Schmuck, Beute, die sie leicht verhökern können. Und die uns auf ihre Spur führen könnte.«

»Ich brauche eine Beschreibung der geraubten Gegenstände.«

»Da kann Ihnen Mr.Twigg weiterhelfen. Er hat die Details notiert«, informierte ihn der Oberste Richter, ging zu seinem Schreibtisch zurück, setzte sich und fügte mit ernster Miene hinzu: »Ich will, dass diese Verbrecher zur Strecke gebracht werden, Hawkwood!«

Hawkwood nahm stirnrunzelnd die für den Obersten Richter untypische Vehemenz zur Kenntnis. Es klang so, als wäre James Read höchstpersönlich einer der ausgeraubten Passagiere gewesen. Denn gewöhnlich zeigte der Richter kein derart ausgeprägtes Interesse an einem Verbrechen.

»Das wär’s«, sagte James Read und griff wieder nach seiner Feder. »Sie können jetzt gehen.«

Schon auf dem Weg zur Tür drehte sich Hawkwood noch einmal um, als der Richter, über ein Dokument gebeugt und ohne den Blick zu heben, hinzufügte: »Es ist mir durchaus bewusst, Hawkwood, dass es bei der Verfolgung krimineller Elemente manchmal nötig ist, über gewisse andere … weniger schwerwiegende Missetaten hinwegzusehen. Dass man die kleinen Fische in Ruhe lässt, um den Hecht zu fangen. Präziser ausgedrückt, dass es heute Nachmittag durchaus gerechtfertigt war, den Faustkampf vor dem Wirtshaus Blind Fiddler nicht zu unterbrechen, damit sich die Witwe Gant und ihre Brut in Sicherheit wiegen konnte.

Ich bin jedoch strikt dagegen, dass sich Mitarbeiter der Behörde diese Nachsicht zunutze machen und sogar einen Teil ihres Gehalts bei diesen – ich darf Sie daran erinnern – noch immer ungesetzlichen Veranstaltungen verwetten.«

Jetzt hob der Richter den Kopf und betrachtete Hawkwood mit einem milden, fast müden Ausdruck in den Augen. »Und ersparen Sie mir Ihre Unschuldsmiene, Hawkwood, sowie jede Beteuerung, Ihnen seien derlei Vorkommnisse nicht bekannt, denn ich bin überzeugt, dass mein Sekretär in Wetten verwickelt ist, obwohl er das natürlich nie zugeben würde.

Zu dieser Schlussfolgerung bin ich übrigens gekommen, als Mr.Twigg mit ungewohnter Bereitwilligkeit meinem Auftrag, Sie im Blind Fiddler zu treffen, nachgekommen ist. Mir ist dieses gewisse Funkeln in seinen Augen nicht entgangen. Und da er Sie nicht hierher zurückbegleitet hat, nehme ich an, dass er eine Brandyfahne hat, wenn ich ihm das nächste Mal begegne.«

Hawkwood bemühte sich vergebens, ein Grinsen zu unterdrücken.

»Aha, mir scheint, ich habe da einen Nerv getroffen«, fügte Richter Read sarkastisch hinzu. »Na gut. Damit ist die Angelegenheit für mich im Augenblick erledigt. Ich gehe jedoch davon aus, dass Sie beide in Zukunft mehr Umsicht walten lassen. Als Vertreter des Gesetzes sind wir alle dazu verpflichtet, mit gutem Beispiel voranzugehen.«

»Ja, Sir«, sagte Hawkwood, ohne eine Miene zu verziehen. »Wär’s das dann?«

»Momentan ja«, nickte der Oberste Richter. »Halten Sie mich auf dem Laufenden.«

James Read wartete, bis Hawkwood die Tür hinter sich geschlossen hatte, ehe er seine Feder auf den Schreibtisch legte und sich zurücklehnte. Das Kinn auf die Fingerspitzen gestützt, blickte er nachdenklich vor sich hin.

Es bedrückte ihn mehr als erwartet, dass er Hawkwood nicht in den ganzen Sachverhalt dieses Falls eingeweiht hatte. Hawkwood arbeitete zwar noch nicht lange für die Bow Street, hatte sich jedoch in dieser Zeit als der beste Runner des Teams erwiesen. Er war intelligent, findig und, wenn nötig, absolut skrupellos. Hawkwood hätte es verdient, mehr über die Hintergründe des Falls zu erfahren, aber da es sich dabei um eine äußerst delikate Angelegenheit handelte, hatte der Richter strengste Anweisung erhalten, nur die für die Ermittlungen unbedingt notwendigen Details preiszugeben. Wie in einem Schachspiel hatte er Hawkwood auf das Brett gestellt und konnte nur hoffen, dass sein Mann nun die richtigen Züge machte.