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Währenddessen gelang es Hawkwood im Vorzimmer nur mit Mühe, sein Erstaunen zu unterdrücken, denn der Sekretär Ezra Twigg saß an seinem Schreibtisch, hielt eine Liste der gestohlenen Gegenstände in der Hand und schien trotz seiner wohl hastigen Rückkehr aus der Taverne Blind Fiddler nicht einmal außer Atem zu sein. Als Hawkwood nach der Liste griff, stieg ihm nur ein leichter Duft von Brandy in die Nase und der Sekretär sah ihn an, als könnte er kein Wässerchen trüben.

Wegen seines Rundrückens, des schlecht sitzenden Huts und der tintenverschmierten Manschetten wirkte Ezra Twigg zwar wie ein serviler Schreiber, doch Eingeweihte wussten, dass sich hinter dieser harmlosen Fassade ein scharfer, listiger Verstand verbarg, der ihn befähigte, mit Hartnäckigkeit und Gerissenheit Nachforschungen anzustellen.

In seiner Position als Sekretär diente Twigg schon seit langen Jahren den Obersten Richtern der Bow Street und war auch James Reads Vorgängern im Amt, Richard Ford und William Addington, ein loyaler Gefolgsmann gewesen. Unter der Hand wurde oft gemunkelt, Twigg könne sich wegen seiner vielfältigen Verbindungen ebenso viele Informationen beschaffen wie der Geheimdienst. Der Oberste Richter stand zwar im Rampenlicht, doch es waren Untergebene wie Ezra Twigg, die das komplizierte Gefüge zwischen Polizei- und Justizbehörden zusammenhielten.

Die Liste der geraubten und kurz beschriebenen Gegenstände war nicht besonders beeindruckend: drei Ringe, eine Schnupftabakdose, ein Armband und ein silbernes Kreuz. Richter Read hatte den Gesamtwert der Beute auf etwa fünfzig Guineen geschätzt. Bei einem Hehler würden die Räuber dafür mit etwas Glück zehn Guineen bekommen. Kein großer, aber doch recht ansehnlicher Profit für eine Nachtarbeit.

Wahrscheinlich hatten die Räuber bereits versucht, ihre Beute gegen Geld einzutauschen. Überall in den Seitenstraßen der Hauptstadt waren Hehler anzutreffen, die alles, angefangen vom seidenen Taschentuch bis zu Bleiplatten von Kirchendächern, verhökerten. Ein paar hatten sich auf besondere Beutestücke spezialisiert, wie Ma Jennings vom Red Lion Market, die nur mit Hüten und Kleidern handelte; Joshua Roberts, ein Taubenzüchter in der Duck Lane mit lebendem Geflügel; und Edward Memmery, ein ehemaliger Safeknacker hauptsächlich mit Lebensmitteln. Für alles gab es einen Preis und zahlungswillige Käufer.

Und innerhalb dieser eingeschworenen, berüchtigten Gemeinschaft gab es etwa ein halbes Dutzend Hehler, die nur mit Gegenständen von höchster Qualität handelten: Männer wie Jacob Low in der Field Lane und Isaiah Trask aus der Karibik oder Sarah Logan, von ihren Komplizen die Witwe genannt, in der Rosemary Lane. Jeder Hehler oder jede Hehlerin verfügte über genügend Mittel, um die auf der Liste aufgeführten Gegenstände zu kaufen. Hawkwood wusste, dass James Read ihn mit einer Aufgabe betraut hatte, die der Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen gleichkam.

Deshalb brauchte er bei dieser Suche Unterstützung.

Es gab mehrere Informanten, an die er sich wenden konnte, von denen er etwa ein Dutzend bezahlte, damit sie ihn über kriminelle Machenschaften auf dem Laufenden hielten. Dazu zählten Händler, Hausierer, Huren und Straßenbengel, deren Identität er streng geheim hielt. Ohne deren intime Kenntnisse der Unterwelt hätten Hawkwood und seine Kollegen längst nicht so effizient arbeiten können. Spitzel waren die Augen und Ohren der Runner in diesem Milieu.

In diesem Fall jedoch gab es nur einen, an den er sich wenden konnte. Und um mit diesem Individuum Kontakt aufzunehmen, musste er sich in ein gefährliches Viertel begeben, eine Welt, in der sogar ein Hüter des Gesetzes um sein Leben fürchten musste. Um das Risiko zu minimieren, war er gezwungen, gewisse Vorkehrungen zu treffen.

Der blinde Billy Mipps saß an seinem gewohnten Platz vor dem billigen Wirtshaus Black Lion in der Little Russell Street. Der Blinde Billy war dünn wie eine Bohnenstange und hatte langes mit Dreck verklebtes Haar. Schäbige, verlauste Lumpen umschlotterten seinen mageren Körper. An einer ausgefransten Schnur um den Hals trug er einen Bauchladen mit Wachs- und Talgkerzen, die er verkaufte, und ein Pappschild, auf dem in kaum entzifferbarer Schrift stand: Kriegsveteran muss Frau und drei Kinder ernähren. Was nur zum Teil stimmte, denn Billy Mipps war nie Soldat gewesen, hatte keine Frau, aber vielleicht ein paar Kinder mehr gezeugt.

Eine um seinen Kopf gewickelte, blutverkrustete Binde bedeckte seine Augen. Vom Handgelenk hing ein weißer Stock an einem Lederriemen. Der Kerzenhändler war nur eine von vielen Jammergestalten, die in den Straßen der Hauptstadt ihre kümmerlichen Waren feilboten.

Ebenso wie andere Bettler hatte auch der Blinde Billy eine eigene Masche, um Passanten auf sich aufmerksam zu machen. Wann immer sich ein scheinbar potenzieller Kunde näherte, klopfte Billy mit dem Stock auf den Boden, schepperte mit seiner Blechbüchse und bettelte winselnd: »Kauft eine Kerze, Euer Ehren. Eine Kerze für einen Penny. Spendiert einem alten Soldaten eine Münze!« Oder so ähnliche Sprüche.

Heute Abend war das Ergebnis eher mager. Sogar die sonst recht großzügigen Theaterbesucher hatten sich wenig spendabel gezeigt, sodass nur ein paar Münzen und eine nicht geringe Anzahl Knöpfe und Nägel in seinem Blechbecher lagen. Billy überlegte gerade, ob er sich auf den Weg machen und einen anderen Standort suchen sollte, als er Schritte näher kommen hörte. »Erübrigt einen Penny, Sir. Den Kindern zuliebe. Kauft eine Ker …«

»Erspar mir deine Bettelsprüche, Billy«, sagte eine Stimme barsch. »Die kenne ich auswendig.«

Billy stellte sich sofort taub, neigte den Kopf zur Seite, klapperte erwartungsvoll mit seinem Blechbecher und greinte: »Was habt Ihr gesagt? Erübrigt einen Pen …«

Billy blieb das Wort im Hals stecken, als er den eisernen Griff um sein Handgelenk spürte und die Stimme ihm ins Ohr flüsterte: »Bist du schwerhörig, Billy? Pass auf, wenn ich mit dir rede.«

Der Druck um Billys Handgelenk verstärkte sich derart, dass er kurz befürchtete, seine Knochen würden brechen.

»Ich will, dass du für mich eine Nachricht überbringst. Für Jago. Sag ihm, der Captain möchte ihn treffen.«

»Jago?«, krächzte Billy. »Ich kenne keinen Jago. Ich …«

Wieder durchzuckte ein stechender Schmerz Billys Arm.

»Keine Widerrede, Billy! Leg dich nicht mit mir an. Tu einfach, was ich dir sage. Überbringe die Nachricht. Hast du das kapiert?«

Als Billy heftig nickte, lockerte sich der Griff um sein Handgelenk, und der Schmerz in seinem Arm verebbte zu einem dumpfen Pochen.

»Gut. Das war doch gar nicht so schwierig, oder?«

Dann fiel klappernd eine Münze in den Blechbecher, und die Schritte entfernten sich wieder.

Der Blinde Billy wartete volle zwanzig Sekunden, ehe er den Rand seiner Augenbinde hochklappte und ängstlich die Straße rauf und runter spähte. Trotz der vielen Passanten schien niemand bemerkt zu haben, dass der Bettler bedroht worden war, oder vermeintliche Zeugen hatten es vorgezogen, wegzuschauen. Billy sah in den Becher, kippte den Inhalt in seine Handfläche, fischte die Nägel, Knöpfe und die zerbrochene Gürtelschnalle heraus und steckte die Münzen in den Beutel unter seiner zerschlissenen Weste. Dann nahm er das Pappschild ab und schlurfte für einen Blinden erstaunlich schnellfüßig die Straße entlang.

Hawkwood saß an einem Fenstertisch im Black Lion und beobachtete mit grimmigem Lächeln, wie der Kerzenhändler in der Menge verschwand. Jetzt musste er nur noch warten.