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»Wegen seiner Art, mit Leuten umzugehen, die ihm in die Quere kommen. Er verpasst ihnen ein Merkmal, er zeichnet sie. Ja, so könnte man es nennen …«

Hawkwood wartete.

»Die meisten Männer tragen ihren Streit mit den Fäusten oder einer Klinge aus«, fuhr Jago fort und deutete auf den Nebentisch. »Scully jedoch benutzt eine Ahle. Das ist eine schreckliche Waffe, wenn sie in die falschen Hände gerät.«

Dieser Erklärung hätte es nicht bedurft, denn Hawkwood kannte alle Arten von Waffen, mit denen Gewalttäter ihren Mitmenschen – egal, ob Männern, Frauen oder Kindern – schwere Körperverletzungen zufügten. Der Seemann Scully war nur ein weiteres Strandgut, das die Flut in die Elendsviertel der Hauptstadt geschwemmt hatte: Entwurzelte, brutale Typen, die für ihre Zwecke vor keiner Methode der Einschüchterung zurückschreckten.

»Scully hasst jede Form von Autorität«, erklärte Jago weiter. Er hatte sichtlich Gefallen an diesem Thema gefunden. »Wie es heißt, wollte er alle Offiziere der Inflexible an der nächsten Rahnocke baumeln lassen. Seltsamerweise hat ausgerechnet Parker ihn daran gehindert. Angeblich hat er jedoch einen Offizier des französischen Kaperschiffs, auf dem er angeheuert hatte, getötet, ehe er über Bord gesprungen ist. Erst hat er dem armen Kerl den Schädel eingeschlagen und dann mit der Ahle die Hände durchbohrt.«

Jago leerte sein Glas und stellte es auf den Tisch. »Soll ich noch mal nachschenken?«

Hawkwood schüttelte den Kopf. »Es wird Zeit aufzubrechen. Ich will deine Gastfreundschaft nicht überstrapazieren.«

»Ohne Begleitung lasse ich Sie nicht gehen«, warnte Jago. »Draußen ist es schon dunkel. Da ist es gefährlich, durch die Gassen zu irren. Schließlich weiß man nie, wer einem begegnet. Und ich würde meines Lebens nicht mehr froh, sollte Ihnen was zustoßen«, fügte der Exsergeant augenzwinkernd hinzu.

Dann trat Jago ans Geländer und winkte jemandem in der Schänke unten zu. Aus dem Zuschauerkreis am Hunde-Pit löste sich eine kleine Gestalt und stieg die Treppe hoch. Erst bei näherem Hinsehen erkannte Hawkwood, dass es sich dabei nicht um Jenny, sondern um einen kleinen, zaundürren Wuschelkopf handelte, der ihm bekannt vorkam. Tatsächlich war es der Junge, der Major Lawrence so geschickt die Taschenuhr geklaut hatte. Irgendwo zwischen Witwe Gants Absteige und der Bridewell-Besserungsanstalt war Tooler, dem Taschendieb, wohl die Flucht gelungen.

Tooler grinste Hawkwood frech an, tippte sich mit den Fingern an die Schläfen, als würde er salutieren, und sah dann Jago erwartungsvoll an.

Ich werde mir Constable Rafferty vorknöpfen und ein ernstes Wort mit ihm reden, dachte Hawkwood grimmig.

Jago legte dem Jungen die Hand auf die Schulter. »Du bringst ihn sicher nach Hause, Tooler. Den ganzen Weg, hörst du? Ich will nicht, dass du plötzlich verschwindest und er Räubern und anderen Taugenichtsen in die Hände fällt. Kapiert?«

Tooler nickte gehorsam.

»Und dann kommst du schnurstracks wieder hierher. Trödle nicht rum, und steck deine klebrigen Finger nirgends rein, wo sie nicht hingehören, zum Beispiel in die Taschen anderer Leute. Kapiert?«

Hawkwood merkte, dass Jago sich in dieser gönnerhaften Pose gefiel, weil er sich in übertriebenen Ermahnungen erging. An seiner Stelle hätte ich diese Situation wohl auch ausgenutzt, dachte er sich.

»Passen Sie auf sich auf, Cap’n«, sagte Jago und streckte die Hand aus.

»Und du auf dich, Nathaniel«, entgegnete Hawkwood und drückte fest Jagos Hand. Dieser Händedruck drückte die nach wie vor innige gegenseitige Freundschaft aus und besiegelte auch Jagos stillschweigendes Versprechen, irgendwelche Informationen über den Raubüberfall auf die Kutsche, die ihm zu Ohren kommen sollten, an den Captain weiterzuleiten.

Jago sah Hawkwood und dem Jungen nach, als die beiden sich durch die Menge in der Schänke drängten. Und kaum war der hochgewachsene Runner aus der Tür, entspannte sich die Atmosphäre im Keller merklich.

Jetzt erhoben sich zwei der Männer am Nebentisch.

»Bleib, wo du bist, Asa Hawkins«, knurrte Jago warnend.

»Und du auch, Will Sparrow. Mir schwant, dass ihr Böses im Schilde führt, Jungs. Habe ich Recht, Ahle? Vielleicht wollen deine Jungs meinem Freund irgendwo auflauern?«

»Nein, wir gehen nur pinkeln, Jago«, wimmerte Hawkins.

»Und Sparrow soll ihn wohl dabei halten und hinterher ausschütteln, wie? Setzt euch. Eine Weile könnt ihr bestimmt noch warten. Und was ist mit dir, Ahle? Verspürst du auch ein dringendes Bedürfnis?«

»Du hältst dich wohl für verdammt schlau, was, Jago?«, stieß Scully mit wildem Blick hervor. »Dieser Scheißkerl ist ein Runner. Er hat hier nichts verloren. Weißt du eigentlich, wie viele von uns er schon hopsgenommen hat?«

»Kann ich nicht auf Anhieb sagen«, entgegnete Jago. »Aber jeder, der blöd genug ist, sich erwischen zu lassen, hat es wohl verdient. Willst du deshalb diese Idioten hinter ihm herschicken? Damit sie ihm eine Abreibung verpassen? Die Drecksarbeit überlässt du wohl lieber anderen, wie? Vielleicht hätte ich deine Speichellecker nicht zurückhalten sollen. Ihnen wäre eine heilsame Lehre erteilt worden.«

»Wir wären schon mit ihm fertig geworden«, prahlte Sparrow, der schmächtigere von beiden. »Mit links.«

Jago betrachtete Sparrow mitleidig. »Dass ich nicht lache! Ihr hättet keine Chance gehabt. Glaubt mir, ich habe euch einen Gefallen getan.«

»Zwei gegen einen, pah!«, höhnte Scully.

Jago versteifte sich. »Ja, aber lass dir was über diesen einen erzählen, Ahle. Er war Soldat, ein Offizier im 95. Rifles Regiment. Von denen hast du doch schon gehört, oder? Das härteste Regiment der ganzen verdammten Armee. Er hat mehr Männer getötet als du Halbe Bier geschluckt hast. Und er war der beste Offizier, unter dem ich je gedient habe. Hast du die Narbe unter seinem Auge gesehen? Die hat er vom Säbel eines französischen Husars. Der Hieb hat eigentlich mir gegolten, aber er ist dazwischengegangen. Das allein macht ihn zu einem Mann, der du nie sein wirst, Ahle. Solange er sich also unter diesem Dach aufhält, steht er unter meinem Schutz. Hast du das kapiert, Ahle? Und jeder hier, der anders darüber denkt, kriegt’s mit mir zu tun!« Jago umfasste mit der rechten Hand seinen Knüppel aus Schlehdornholz. »Ist das klar?«

Die Männer am Tisch rutschten unruhig auf ihren Stühlen herum. Alle, bis auf Scully, dessen Augen schwarz und hart wie Stein wurden. Der kahle Schädel und das pockennarbige Gesicht verliehen ihm ein furchterregendes Aussehen. Er schnellte so abrupt hoch, dass sein Stuhl auf den Boden krachte. Durch die plötzliche Bewegung und den Lärm aufgeschreckt, sprang der scheckige Hund auf und knurrte bösartig. Scully löste die lederne Hundeleine vom Tischbein.

»Eines Tages, Jago, werden wir unter vier Augen ausmachen, wer der König im Schloss ist.« Dann riss Scully hart an der Leine, wandte sich ab und ging zu dem Hunde-Pit in der Schänke hinunter.

Jago sah ihm nach und murmelte: »Jederzeit, Ahle. Jederzeit.«

6

Ich schicke Sie, Hawkwood, weil sonst niemand zur Verfügung steht«, sagte James Read und sah von seinem Schreibtisch auf. »Außerdem dachte ich, Sie würden sich über die Abwechslung freuen.«

Hawkwood erkannte an der entschlossenen Miene des Obersten Richters, dass es zwecklos war, ihm zu widersprechen.

Die Abwechslung, wie Read sie genannt hatte, war ein Ball im Stadtpalais von Lord Mandrake. Bei derartigen Festen wurde gewöhnlich ein Gendarm zum Schutz der Gäste vor Dieben und anderen Übeltätern angefordert.

Lord Mandrake war ein angesehenes Mitglied der vornehmen Gesellschaft mit Ländereien in Cheshire und in Nord- und Südamerika. Sein Vermögen hatte er im Handels- und Bankengeschäft gemacht. Er war ein Vertrauter mehrerer Parlamentsmitglieder und ein Freund des Außenministers. Es hieß sogar, der Prinzregent werde den Gastgeber mit seiner Anwesenheit beehren, instruierte Read Hawkwood.