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»Das entscheide allein ich«, entgegnete der Bandit und hob seine Pistole. »Also werde ich einen Blick darauf werfen, einverstanden?«

Der Angesprochene blieb stumm. Doch nach kurzem Zögern lüftete er einen Zipfel seines Mantels und enthüllte seine rechte Hand. Mit einer Kette an sein Handgelenk gefesselt trug er eine flache, mit Metallbändern verstärkte Ledertasche.

Etwas Derartiges hatte der Wegelagerer noch nie gesehen. Er wechselte kurz mit seinem Komplizen einen Blick. Gier glomm in seinen Augen auf. »Ah«, murmelte er. »Und was haben wir da?«

»Papiere«, antwortete der Marineoffizier. »Das ist alles.«

Die Augen des Banditen wurden schmal. »Wenn das so ist, hast du doch sicher nichts dagegen, wenn ich sie mir mal anschaue, oder?«, sagte er, stieg vom Pferd und reichte seinem Komplizen die Zügel.

Er ging auf den Offizier zu, bedrohte ihn mit seiner Pistole und schnalzte ungeduldig mit den Fingern seiner rechten Hand. »Den Schlüssel!«

»Ich habe den Schlüssel nicht«, entgegnete der junge Mann kopfschüttelnd. »Außerdem sagte ich Euch bereits, dass die Kuriertasche nichts Wertvolles enthält.«

»Ich frage nicht noch einmal«, sagte der Bandit und richtete seine doppelläufige Pistole auf die Stirn des Offiziers.

»Seid Ihr taub, Mann? Ich habe diesen beschissenen Schlüssel nicht!«

»Soll ich dir das etwa glauben?«, schnaubte der Wegelagerer verächtlich. »Natürlich hast du diesen beschissenen Schlüssel.«

»Jetzt hör mir mal zu, du hirnrissiger Ochse«, seufzte der Offizier verzweifelt. »Es gibt nur zwei Menschen, die einen Schlüssel haben: nämlich die Person, die die Papiere in die Tasche gesteckt hat, und die, an die ich sie übergebe. Wenn du willst, kannst du mich durchsuchen«, fuhr er mit vor Zorn funkelnden Augen fort. »Aber dann musst du mich zuerst erschießen.«

Das war eine Herausforderung. Denn wer einen Marineoffizier tötete, hatte mit gravierenden Konsequenzen zu rechnen.

Natürlich lügt er, dachte der Bandit. Dieser Idiot hat den Schlüssel sicher in seinem Stiefelabsatz versteckt.

Er starrte seinen Gegner ein paar Sekunden an und zuckte dann scheinbar resigniert mit den Schultern. »Na, wenn’s denn so ist, will ich dir glauben, Leutnant.«

Dann schoss er. Die Kugel traf den jungen Mann im rechten Auge. Mit einem Ausdruck der Fassungslosigkeit sank er zu Boden, während die Frau schrie und in den Armen ihres Ehemanns zusammenbrach. Das Hirn des Offiziers bespritzte die Anwesenden. Er war tot, noch ehe er rückwärts in den Schlamm fiel.

Der Wegelagerer steckte seine noch rauchende Pistole ein, machte einen Satz nach vorn, durchsuchte die Taschen des Toten und fand mehrere Gegenstände: ein Taschentuch, ein silbernes Zigarrenetui, eine Taschenuhr, ein Klappmesser und – zur offensichtlichen Belustigung des Mörders – eine Pistole mit langem Lauf. Die Waffe steckte er in seinen Gürtel, die anderen Gegenstände in eine Tasche seines Mantels.

»Bei Gott! Ich werde dafür sorgen, dass Ihr für diese Tat gehängt werdet!«, rief der Passagier im Frack, der noch immer seine ohnmächtige Frau in den Armen hielt. Der Geistliche neben ihm war mit aschgrauem Gesicht auf die Knie in den Schlamm gesunken.

Der Räuber ignorierte die Warnung. Mit steigender Wut durchsuchte er weiterhin den Toten, jedoch ohne etwas zu finden. Schließlich warf er seinem Komplizen einen zornigen Blick zu. »Der Kerl hatte Recht. Er hat keinen Schlüssel. Möge Gott ihn in der Hölle schmoren lassen!«

Dann untersuchte er die Kuriertasche. Seine Finger glitten prüfend über die Metallbänder und das sie sichernde Vorhängeschloss. Da war nichts zu machen. Also konzentrierte er sich auf die Kette mit der Fessel. Beides war ebenso solide. Wütend riss er an den Gliedern, sodass der Arm des Leichnams herumgeschleudert wurde.

»Gottverdammt!«, fluchte er, warf die Kette von sich, stand auf und trat in einem Ausbruch unkontrollierter Wut mit dem Stiefel gegen den Kopf des Toten. Ein hässliches Knirschen war zu hören.

»Bastard!«, keuchte er, stolperte heftig atmend ein paar Schritte zurück und starrte den Leichnam eine Weile an.

Da spürte er unter den Sohlen seiner Stiefel, dass die Erde leicht bebte.

Hufschläge. Reiter näherten sich rasch im Galopp.

»Himmel noch mal!«, rief der Bandit, plötzlich von Panik ergriffen. »Das sind die Rotröcke! Eine verdammte Patrouille.«

Er tauschte mit seinem Komplizen einen kurzen Blick aus, denn die beiden verstanden sich auch ohne Worte. Dann beugte er sich abrupt über den toten Offizier und griff in seinen Mantel.

Mit einer unheimlich schnellen Bewegung zog er ein kurzes, scharfes Schwert aus der Scheide unter seinem Reitermantel und trennte mit einem gezielten Hieb die Hand vom Arm des Leichnams. Nachdem er seine Waffe wieder eingesteckt hatte, beugte er sich hinunter und streifte die Fessel über den blutigen Stumpf, ergriff die Kuriertasche und schwenkte sie triumphierend über dem Kopf.

Als würde der Himmel ein Zeichen senden, zuckte genau in diesem Moment ein greller Blitz über das nachtschwarze Firmament, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Krachen. Das Unwetter war zurückgekehrt.

Und das Hufgetrampel, das von der Straße unter der Baumgruppe hierher hallte, wurde immer lauter.

Der Straßenräuber reagierte schnell. Er warf seinem jungen Komplizen die lederne Kuriertasche zu, riss dem perplexen Kutscher die Reisetasche mit der Beute aus der Hand und lief zu seinem Pferd. Er hatte es so eilig, dass sein Fuß den Steigbügel verfehlte und er fast gestürzt wäre. Mit einem verärgerten Knurren hievte er sich mühsam in den Sattel, und sein Komplize gab ihm die Zügel seines Pferds.

Inzwischen hatte es wieder heftig zu regnen begonnen. Der Mörder und sein noch immer stummer Gefährte preschten davon, denn das Geräusch der herangaloppierenden Patrouille war jetzt unüberhörbar.

Die beiden bohrten ihre Sporen in die Flanken ihrer Pferde und waren innerhalb weniger Sekunden verschwunden – die überlebenden Reisenden konnten es kaum fassen, so schnell hatten Nacht und Regen die Mörder und Wegelagerer verschluckt.

1

Den Zuschauern, die sich auf dem hinter der Taverne Blind Fiddler gelegenen Hof mit den Stallungen versammelt hatten, war schnell klar geworden, dass der jüngere der beiden Boxer, Reuben Benbow, seinem Gegner weit überlegen war. Benbow stammte aus Cornwall; Jack Figg war ein Einheimischer und obwohl kräftiger und stärker, hatte er Benbows Taktik und Behändigkeit wenig entgegenzusetzen.

Der Mann aus Cornwall war über ein Meter achtzig groß und hatte kein Gramm Fett an seinem muskulösen Körper, ein Verdienst seines Gönners, des besten Faustkämpfers des West Countrys, Jethro Ward. Sein Gesicht war von den Kämpfen noch nicht gezeichnet, obwohl er sich bereits einen Ruf als harter, wenn nicht sogar skrupelloser Boxer erworben hatte.

Jack Figg hingegen war von gedrungener Statur und hatte ein Gesicht, das mehr als siebzig unbarmherzige Faustkämpfe mit bloßen Händen gezeichnet hatten. Es hieß, Figg habe als junger Mann einen Ochsen mit einem einzigen Faustschlag zu Boden strecken können, und es hieß auch, er habe sogar einmal gegen den großen Tom Cribb gekämpft.

Die Regeln des Kampfs waren einfach: keine Schläge unterhalb der Gürtellinie. Alle anderen Techniken waren erlaubt, selbst wenn es bedeutete, dass man seinem Gegner das Rückgrat brach.

Eine neue Runde begann. Und da Jack Figg um seine Schwäche wusste, versuchte er, so nahe wie möglich an Benbow heranzukommen, was der Jüngere klug zu verhindern wusste. Er plante, den Älteren auf diese Weise zu ermüden, um den Kampf risikolos zu gewinnen. Niemand wusste, wie lange ein solcher Kampf dauerte – vielleicht fünfzig, ja sogar sechzig Runden. Also gewann immer der Mann, der besser in Form war, denn die meisten Begegnungen wurden nicht durch ein K. o. entschieden, sondern durch die Unfähigkeit des Gegners weiterzukämpfen. Etwa, weil er sich die Hand gebrochen, einen Arm ausgerenkt hatte oder seine Fäuste so geschwollen waren und bluteten, dass er nicht mehr richtig zuschlagen konnte.