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Worauf dieser innerlich stöhnte. Zutiefst hasste er derartige Veranstaltungen, zu denen er regelmäßig abkommandiert wurde. Er hätte lieber dem Angriff eines Trupps französischer Lanzenreiter getrotzt.

»Was ist mit Redfern?«

»Redfern ist in Manchester«, antwortete Read, diesmal ohne aufzusehen. »Er ermittelt in einem Fall, bei dem es um Fälschungen in großem Stil geht. Mit seiner Rückkehr ist in absehbarer Zeit nicht zu rechnen.«

»Und Lightfoot?«

»Ist zum Schutz eines Goldtransports der Bank von England abgestellt worden«, erklärte James Read. Mit übertriebener Bedächtigkeit legte er die Feder auf seinen Schreibtisch und seufzte hörbar, bevor er fortfuhr: »Hawkwood, Sie wissen doch genau, wie viele Gendarmen mir zur Verfügung stehen. Herzlich wenige. Genau sieben, mit Ihnen. Und obwohl ich nicht verpflichtet bin, Ihnen Einzelheiten über die Fälle zu verraten, die Ihre Kollegen bearbeiten, will ich es tun, wenn es Sie denn beruhigt.

Über Redfern und Lightfoot haben wir schon gesprochen. George Ruthven ist in Dublin, um den per Haftbefehl gesuchten Patrick Doherty, der der Unterschlagung verdächtigt wird, festzunehmen. McNiece ermittelt in einem Mordfall in York. Lacey ist bei der Festnahme der Taplin-Brüder verwundet worden und noch nicht wieder auf den Beinen …«

»Und Warlock?«, erkundigte sich Hawkwood verzweifelt, obwohl er wusste, dass es vergeblich war.

»Auch nicht verfügbar. Ich habe ihm den Woodburn-Fall übertragen.«

»Woodburn?«, fragte Hawkwood verwirrt, obwohl es keinen Grund gab, warum er diesen Namen kennen sollte. Bei der Vielzahl der Fälle, in denen die Runner ermittelten, war jeder Gendarm zu sehr mit Arbeit überlastet, um über die Fälle seiner Kollegen Bescheid zu wissen.

»Der vermisste Uhrmacher.«

Hawkwood glaubte, sich verhört zu haben. »Sie haben Warlock auf die Suche nach einem Uhrmacher geschickt?«

»Woodburn ist nicht irgendein Uhrmacher«, wies Read ihn scharf zurecht. »Er ist ein Meister seines Fachs und genießt höchstes Ansehen in Adelskreisen. Seine Uhren zieren die Hälfte hochherrschaftlicher Landhäuser und aller Salons in London.«

»Und er ist verschwunden?«, fragte Hawkwood mit hohler Stimme.

»Wie es scheint, ist er gestern Abend nicht aus seiner Werkstatt nach Hause gekommen.«

»Wahrscheinlich hat er sich mit einer Dirne vom Haymarket vergnügt und jegliches Zeitgefühl verloren.«

Schweigen. In der linken Wange des Obersten Richters zuckte ein Nerv. »Wohl kaum«, entgegnete Read. »Der Mann ist achtundsechzig und gläubiger Presbyterianer.«

Der Oberste Richter runzelte plötzlich missbilligend die Stirn, zog seine Uhr aus der Tasche und verglich die Zeit mit der hohen Standuhr in der Ecke des Raums. »Aber vielleicht hat Officer Warlock das Zeitgefühl verloren. Er sollte längst hier sein und mir Bericht erstatten. Er kommt sonst nie zu spät.« Das Stirnrunzeln wich einem strahlenden Lächeln. »Wie Sie sehen, Hawkwood, bleibt Ihnen keine Wahl. Sie werden zu dem Ball gehen.«

Hawkwoods Miene sprach Bände.

»Ehrlich gesagt«, fügte Read hinzu und steckte seine Uhr wieder ein, »habe ich erwartet, dass Sie sich geschmeichelt fühlen.«

»Warum sollte ich?«

»Weil Sie auf Empfehlung von Sir John Belverdere persönlich angefordert wurden. Anscheinend war Sir John von Ihrem Einsatz bei der Geburtstagsfeier zu Ehren seiner Frau höchst beeindruckt.«

Hawkwood konnte sich noch gut an den Abend vor einem Monat erinnern. Der Empfang war gut besucht, aber langweilig gewesen, bis ein Dieb bei dem fehlgeschlagenen Versuch ertappt wurde, Sir Johns Geburtstagsgeschenk für seine Frau – ein pompöses, wertvolles Kollier, das angeblich einmal der Gattin des ersten Herzogs von Marlborough gehört hatte – zu stehlen.

Hawkwood hatte sich bei der Verfolgung des Diebs und während der Festnahme im Park ein Paar gute Kniehosen ruiniert. Im Nachhinein musste er jedoch zugeben, dass sein Einsatz von Sir John großzügig und nicht nur mit Dankesworten belohnt worden war. Trotzdem war ihm der prätentiöse Pomp von Veranstaltungen dieser Art zuwider.

»Aber ich stecke doch mitten in den Ermittlungen über den Überfall auf die Kutsche«, versuchte es Hawkwood noch einmal. Er klammerte sich an den letzten Strohhalm.

»Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass es dabei zwischen jetzt und morgen früh zu einem Durchbruch kommt«, sagte Read. »Meinen Sie nicht auch?«

Dann schürzte der Oberste Richter die Lippen und lehnte sich zurück. »Gelinde gesagt, erstaunt mich Ihr Mangel an Enthusiasmus, Hawkwood. Jeder andere Beamte hätte sich mit seinen Kollegen um diesen Auftrag geprügelt.«

Hinter diesen Worten verbarg sich der nicht zu subtile Hinweis auf ein stillschweigend geduldetes Abkommen. Runner erhielten ein jämmerliches Gehalt von einem Guinea die Woche und einen ebenso kärglichen Spesenersatz für Dienstreisen in andere Orte oder Städte. Für die Festnahme und Verurteilung von Verbrechern erhielten die daran beteiligten Beamten zwar Prämien, von denen nach der Verteilung aber höchstens ein paar Münzen für jeden übrig blieben. Die meisten Runner verdienten ihr Geld mit Privataufträgen als Leibwächter für Mitglieder des Königshauses und für Politiker, oder sie arbeiteten als Detektive und Beschützer für Institutionen, Adelige und reiche Bürger.

»Also«, fuhr James Read fort, ohne Hawkwoods gequälten Gesichtsausdruck zu beachten, »obwohl Sie bestimmt Gründe für Ihre Abneigung gegen derartige Festivitäten haben, sind diese im Augenblick irrelevant, denn auch wenn mir ein anderer Mann zur Verfügung gestanden hätte, wäre mir nichts anderes übrig geblieben, als Ihnen den Auftrag zu erteilen, weil Sie mein einziger Mitarbeiter sind, der französisch spricht.«

Jetzt runzelte Hawkwood erstaunt die Stirn.

Der Oberste Richter lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

»Wie Sie vielleicht wissen oder auch nicht, hat sich Lord Mandrake einen gewissen Ruf als Wohltäter für die weniger Begünstigten unserer Gesellschaft erworben. Er kümmert sich um Waisen und Witwen, die der Gemeinde zur Last fallen, um Kriegsveteranen und andere Bedürftige. Seine guten Werke beschränken sich jedoch nicht allein auf unser Heimatland, sondern sie reichen über die nationalen Grenzen hinaus.«

Hawkwood bemühte sich vergeblich, Interesse an diesem Thema zu heucheln.

»Ich spreche von Emigranten, Hawkwood. Und einer der glühendsten Kämpfer für die Monarchie ist der Comte d’Artois.«

Hawkwood kannte die Geschichte. Der Comte d’Artois, der Bruder Louis XVIII., des Königs von Frankreich, war vor der Guillotine nach England geflohen und hatte sich dort als Führer der Exilfranzosen etabliert. Mit den Geldern britischer Sympathisanten hatten d’Artois und seine Landsleute militärische Ausbildungslager in Romsey, an der Südküste Englands, eingerichtet, und bereiteten dort einen möglichen Sturz Kaiser Napoleons vor.

»Wie mir mitgeteilt wurde, will Lord Mandrake mit diesem Ball heute Abend die Verbundenheit Britanniens mit der legitimen Bourbonen-Regierung betonen. Mehrere Mitglieder des inneren Kreises um den Comte werden zugegen sein. Daher die Anforderung eines französisch sprechenden Gendarmen. Ich muss Sie wohl nicht daran erinnern«, fügte Read streng hinzu, »dass von Ihnen ein tadelloses Benehmen erwartet wird.«

Dann kritzelte der Oberste Richter etwas auf eine Karte. »Hier ist die Adresse. Begeben Sie sich unverzüglich dorthin.«

Mandrake House an der Ecke St. James’s Square strahlte trotz der frühen Abendstunde bereits im Glanz der Lichter wie ein Kronleuchter. Nachdem sich Hawkwood bei Lord Mandrakes Sekretär ausgewiesen hatte, beobachtete er amüsiert die hektisch umhereilenden Dienstboten. Bald würden die ersten Gäste eintreffen und die Reihe der Kutschen bis zur Pall Mall und darüber hinaus reichen. Dieser festliche Anlass gebot es, dass sich Mandrake House in seiner ganzen Pracht präsentierte.