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Der Sekretär kam zurück und sagte: »Seine Lordschaft erwartet Sie in der Bibliothek.«

Hawkwood war Lord Mandrake noch nie begegnet, aber er erfasste sofort, wer von den beiden Männern in dem behaglich eingerichteten Raum sein Auftraggeber war. Der große, rundliche Lord mit der Hakennase und den rot geäderten Wangen strahlte gleichermaßen Autorität wie Jovialität aus. Er begrüßte Hawkwood mit gutmütig-derber Herzlichkeit.

»Ah, Sie sind Reads Mann. Hawkwood, nicht wahr?«

Hawkwood bejahte und ließ den Blick über Lord Mandrakes Schulter zu dem zweiten Anwesenden, einem stämmigen Mann mit kurzem grauem Haar in formellem Abendanzug schweifen. Er stand am Kamin und blätterte im Licht eines Kandelabers in einem schmalen Lederbändchen: Essays von Montaigne. Die Wahl dieser Lektüre ließ Hawkwood vermuten, dass es sich bei diesem Herrn wohl um einen der bourbonischen Verbündeten Seiner Lordschaft handelte.

»Ausgezeichnet!«, sagte Mandrake, »hat Ihnen Richter Read erklärt, was von Ihnen erwartet wird?«

»Ja, Sir.«

»Großartig, großartig! Ich muss schon sagen, Hawkwood, mein Freund Belvedere war des Lobes voll und hat Sie einen verdammt guten Gendarm genannt. Sehr beruhigend. Nicht, dass wir mit einem ähnlich unerfreulichen Vorkommnis rechnen. Natürlich nicht«, scherzte Lord Mandrake, wandte sich um und deutete auf den Herrn am Kamin. »Ach übrigens, dieser Gentleman, der Comte de Rochefort, ist mein Gast. Er ist erst kürzlich vom Kontinent zu uns gekommen. Wir können uns wirklich glücklich schätzen, hier heute Abend mehrere seiner Landsmänner mit ihren Gattinnen begrüßen zu dürfen.« Dann fügte Lord Mandrake mit gesenkter Stimme hinzu: »Leider sind die Englischkenntnisse des Comte erbärmlich, obwohl er mir versichert, dass er unsere Sprache besser versteht als spricht. Ich nehme an, Sie sprechen Französisch?«, wollte Mandrake wissen und hob fragend die Brauen.

Wieder bejahte Hawkwood.

»Fabelhaft!« Lord Mandrake strahlte vor Freude, wandte sich dann seinem Gast am Feuer zu und sagte in fürchterlich schlechtem Französisch: »Dieser Mann hier ist Gendarm. Ich habe ihn angefordert, damit er aufpasst, dass niemand die Messer und Löffel stiehlt, ha! ha! ha!«

Hawkwood ließ den Franzosen nicht aus den Augen. Während Lord Mandrake schallend über seinen Witz lachte, merkte der Comte wohl, dass er angesprochen worden war, und blickte von seinem Buch auf. Hellblaue Augen musterten Hawkwood flüchtig und gleichgültig. Dann widmete sich der Comte wieder seiner Lektüre.

»Nun, Officer Hawkwood«, erkundigte sich Lord Mandrake freundlich, »gibt es irgendwelche Fragen? Nein? Ausgezeichnet.« Lächelnd wies er auf seinen Untergebenen, der geduldig an der offenen Tür wartete, und fügte hinzu: »Carrington, mein Sekretär, steht zu Ihrer Verfügung. Sollten Sie etwas brauchen, so wenden Sie sich an ihn.«

Damit war Hawkwood auf elegante Weise entlassen.

Lord Mandrakes jetzt abschätzender Blick folgte Hawkwood, und als sich die Tür hinter ihm schloss, wandte er sich an seinen Gast und fragte auf Englisch: »Ein interessanter Mann, nicht wahr?«

Der Comte klappte das Buch zu, legte es auf den Kaminsims und antwortete in ebenso fließendem Englisch: »Zumindest macht er einen kompetenten Eindruck.«

»Oh, ich würde sagen, er ist weitaus mehr als nur kompetent«, entgegnete Seine Lordschaft lächelnd. »Aus zuverlässiger Quelle weiß ich, dass er Reads bester Mann ist. Captain Hawkwood war Offizier im Rifles Corps der Armee und hatte bei seinen Vorgesetzten einen ausgezeichneten Ruf. Er gilt als mutig, intelligent und einfallsreich.«

»Diese Kombination von Charaktereigenschaften ist hervorragend«, stellte der Comte nachdenklich fest.

»In der Tat«, bestätigte Lord Mandrake und sah seinen Gast an, als erwarte er einen weiteren Kommentar. Der Comte jedoch griff wieder nach den Essays von Montaigne und vertiefte sich in die Lektüre. Aus Verlegenheit über die merklich gleichgültige Reaktion seines Gasts griff Lord Mandrake nach seiner Taschenuhr, warf einen Blick auf das Ziffernblatt und sagte mit gespielter Überraschung: »Du meine Güte! Ist es denn schon so spät? Ich verplaudere die Zeit, während wichtige Angelegenheiten auf mich warten.« Mit einem lauten Klicken ließ der Lord den Deckel wieder zuschnappen. »Verzeiht, mein Freund, wenn ich Euch jetzt allein lasse. Ich muss mich um meine Gäste kümmern. Dafür habt Ihr doch Verständnis, nicht wahr?«

Der Comte de Rochefort wartete, bis Mandrake den Raum verlassen hatte. Dann legte er das Buch wieder auf den Kaminsims, griff in die Innentasche seines Rocks, holte ein schmales Etui aus marokkanischem Leder heraus, wählte eine Zigarre aus und steckte sie zwischen seine Lippen. Das Etui schob er wieder in die Tasche zurück. Sorgfältig zündete er seine Zigarre an einer Kerzenflamme an und inhalierte tief. Eine Weile starrte er in den Kerzenschein und pickte einen Tabakkrümel von seiner Unterlippe. Er griff wieder nach dem Buch, ging zu einem Sessel, versank in dem weichen Leder, zog ein zweites Mal an seiner Zigarre und las weiter.

Hawkwood kam sich in seinem schwarzen Rock und seiner schwarzen Hose inmitten der bunt ausstaffierten Gesellschaft so auffällig vor wie eine Krähe in einer Schar Papageien. Im Mandrake Palais fand in festlicher Atmosphäre, einem sprühenden Reigen aus Licht und Farben, ein rauschender Ball statt.

Die Damen in ihren modischen Kleidern mit hoch angesetzter Taille und tief ausgeschnittenen Miedern waren eine Augenweide. Von ihrer Attraktivität überzeugte, mutige oder weniger diskrete Frauen hatten für ihre Roben fein gewebte, beinahe durchsichtige Stoffe gewählt, die ihnen ein äußerst vornehmes und vorteilhaftes Aussehen verliehen. Hawkwood konnte nicht umhin, diese prächtigen Geschöpfe aus angemessenem Abstand zu bewundern. Die Männer hingegen schwitzten sichtlich in ihren steifen Gesellschaftsanzügen und Uniformen. Gerüche nach Schweiß vermischten sich mit den süßeren Düften der Parfüms und Eau de Colognes.

Ein Juwelendieb käme sich hier vor wie im Paradies, dachte Hawkwood. Diamanten, Perlen, Rubine und Saphire funkelten im hellen Kerzenlicht der riesigen Kronleuchter, die das Glitzern tausendfach reflektierten.

Die männlichen Gäste waren ebenso glanzvoll geschmückt wie die Damen. Schärpen, Orden, Medaillen und Sterne zierten die Uniformen der zahlreich anwesenden Offiziere und Generäle aus Armee und Marine. Und wieder drängte sich Hawkwood unwillkürlich der Vergleich mit bunt gefiederten Vögeln in einer Voliere auf.

Sogar die Dienstboten ergänzten dieses prachtvolle Bild. Die Livreen der Perücke tragenden Lakaien waren derart üppig mit goldenen Litzen und Borten besetzt, dass sie kaum von den Generälen zu unterscheiden waren. Außerdem waren viele höchste Würdenträger und Angehörige des Adelsstandes vertreten.

Obwohl sich Hawkwood unauffällig im Hintergrund hielt, entging ihm nicht, dass der Ball ein Riesenerfolg war. Es fiel ihm schwer zu glauben, dass kaum eine Meile entfernt ganze Familien in stockfinsteren, rattenverseuchten Elendsvierteln dahinvegetierten oder an Krankheiten und Hunger starben. Und was den Krieg gegen Frankreich betraf, so hätte dieser trotz der übermächtigen Präsenz des Militärs genauso gut auf dem Mond stattfinden können, so wenig Bedeutung hatte er für den Verlauf der Festlichkeiten.

Während sich Lord Mandrakes Gäste in den taghell beleuchteten Sälen amüsierten und an üppig gedeckten Tafeln dinierten, starben britische Soldaten in Spanien. Hawkwood verabscheute nicht den Reichtum dieser privilegierten Gesellschaft, sondern deren Gleichgültigkeit.

Am späten Abend, nachdem die meisten Gäste ausgiebig gegessen und getrunken hatten, lockerte sich die Atmosphäre. In der Bibliothek, ein während des Festes ausschließlich männliches Revier, wurde bei beißendem Zigarrenqualm dem Glücksspiel gefrönt. Die Damen hatten sich in die Salons zurückgezogen und diskutierten diskret über die Vorzüge der jüngeren und besser aussehenden männlichen Gäste.