Выбрать главу

Gestärkt mit einer ordentlichen Portion kaltem Roastbeef und einem Glas roten Bordeaux aus Lord Mandrakes gut gefülltem Weinkeller, serviert von einer sehr freundlichen und wohl geformten Küchenmagd, begann Hawkwood seine Patrouille durch die langen Gänge. Am Ende eines Gangs tauchte vor ihm plötzlich ein junges, albern kicherndes Pärchen auf. Ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet. Während der Mann Hawkwood nicht beachtete, schenkte ihm das Mädchen im Vorbeigehen einen flüchtigen Blick. Sie war sehr hübsch, und die weiße Feder in ihrem Haar wippte bei jedem Schritt. Wahrscheinlich waren die beiden auf der Suche nach einer verborgenen Nische, in der sie, den scharfen Blicken der Anstandsdame entflohen, Zärtlichkeiten austauschen konnten. Das kecke Funkeln in den Augen des Mädchens ließ Hawkwood vermuten, dass die junge Dame nicht zum ersten Mal ihrer strengen Aufsicht entkommen war. Dieser Gedanke amüsierte Hawkwood, und gleichzeitig beneidete er die beiden um ihre Jugend und Unverfrorenheit.

Während der Rundgänge hatten mehrere Damen Hawkwoods Aufmerksamkeit erregt, obwohl sie ihn nur mit flüchtigen und doch erstaunlich abschätzigen Blicken bedacht hatten. Hinter kurz gesenkten Fächern tauchten bewundernde, einladende Augen und Lippen auf, ehe die Gesichter wieder in der Anonymität verschwanden. Hawkwood war zwar nicht unempfänglich für die offen zur Schau gestellten Reize dieser Damen, doch die Arbeit kommt vor dem Vergnügen, ermahnte er sich. Meistens jedenfalls.

Zweimal im Verlauf des Abends hatte er in der Menge den Comte de Rochefort entdeckt. Einmal am anderen Ende des Saals, wo der Comte mit einem stattlichen Mann in Generalsuniform sprach. Und beim zweiten Mal hatte er einen Blick de Rocheforts aufgefangen, und der Ausdruck in dessen blauen Augen hatte ihn auf seltsame Weise beunruhigt. Ihre Blicke waren sich nur für ein paar Sekunden begegnet, dann hatte der Comte den Kopf abgewandt.

Vor allem in den schmalen Gängen zu den Unterkünften war die Luft derart schwülwarm und drückend, dass Hawkwood Platzangst befiel. Um einen klaren Kopf zu bekommen, ging er die Hintertreppe hinunter und auf die Terrasse mit Blick über den Green Park hinaus.

Eine von Efeu überrankte Mauer trennte Haus und Garten von der weiten Grünfläche, doch sie war derart geschickt hinter Bäumen und Sträuchern verborgen, dass man den Eindruck hatte, der Garten reiche über seine tatsächlichen Grenzen hinaus und sei der Park eines weitläufigen Landsitzes.

Die Familie Mandrake war immer in der Lage gewesen, sich das Beste von allem leisten zu können, auch hinsichtlich Architektur und Landschaftsgestaltung. Zur Freude des Betrachters war viel Sorgfalt für die Anlage dieses Gartens aufgewendet worden: Rasenflächen und terrassenförmig angelegte, von Rosen überrankte Blumenbeete wurden durch Kieswege miteinander verbunden oder waren von hohen Hecken unterteilt. Kleine Wäldchen und Lauben verbargen sich hinter den Hecken. Es gab mehrere Springbrunnen, und in einer Ecke konnte man sich sogar in einem Irrgarten verlaufen.

Damit die Gäste an diesem warmen Sommerabend auch die kühle Nachtluft genießen konnten, hatte Lord Mandrake zur Beleuchtung entlang der Kieswege Kohlebecken aufstellen und chinesische Laternen an die Äste hängen lassen.

Hawkwood ging die Terrassentreppe hinunter zur Rückseite des Hauses. Dort blickte er auf seine Uhr. Es war kurz nach Mitternacht. Bisher hatte es keine besonderen Vorkommnisse gegeben, wofür Hawkwood dankbar war, denn die letzten Tage waren doch sehr anstrengend gewesen, und er freute sich auf sein Bett. Da fielen ihm die kecken Augen des Mädchens im Korridor ein, und er musste lächeln.

In diesem Augenblick riss ihn das Geräusch eiliger Schritte aus seinen Gedanken. Im Licht eines Kohlebeckens sah er einen Lakai über den Rasen auf sich zueilen. Als der Mann Hawkwood sah, blieb er abrupt stehen und berichtete außer Atem: »Officer Hawkwood? Da hinten gibt’s Ärger. Ein paar junge Gentlemen, Lord Mandrakes Gäste …« Ein gequälter Ausdruck huschte über das Gesicht des Dienstboten, ehe er hinzufügte: »Sie sind betrunken. Und bei ihnen ist eine junge Lady … Bitte, kommen Sie schnell …«

Hawkwood stöhnte innerlich und dachte: Das hat mir gerade noch gefehlt! »Ja, gut. Wo sind die Kerle?«

Der Lakai drehte sich um und deutete mit zitternder Hand in den Garten. »Beim Pavillon. Ich fürchte um die Ehre der Lady … ich …«

Hawkwood seufzte. »Bring mich hin.«

Nach etwa fünfzig Schritten bemerkte Hawkwood aus den Augenwinkeln eine Bewegung rechts unter den Bäumen. Er sah nur einen dunklen Schatten, der sofort wieder mit der Dunkelheit verschmolz. Oder war es nur eine Sinnestäuschung?, überlegte er. Haben mir meine Augen einen Streich gespielt? Plötzlich war die Nacht unnatürlich still. Einem Instinkt folgend drehte er sich um. Der Lakai war verschwunden.

Da hörte er am Boden einen Zweig knacken. Jemand entfernte sich unter dem dichten Laubwerk der Bäume. Hawkwood konnte nicht erkennen, ob die Person ein Mann oder eine Frau war. Vielleicht der Lakai? Er wollte gerade rufen, als er prustendes Gelächter und einen verzweifelten Aufschrei in einiger Entfernung hörte.

Schnell ging er darauf zu und stand plötzlich vor einer mit Geißblatt überrankten Pergola. Schwer hing der Duft der Blüten in der Nachtluft. Durch eine Lücke im Spalier sah er dahinter eine Lichtung und die Umrisse einer kleinen weiß gestrichenen Laube.

Er ging am Spalier vorbei und trat auf die Lichtung. Jetzt konnte er den Pavillon, ein rechteckiges, von einer Veranda umgebenes Gebäude mit flach abfallendem Dach, deutlich erkennen. An Haken in den Stützbalken hingen mehrere Laternen.

Hawkwood konnte nur einen flüchtigen Blick auf den Pavillon werfen, denn plötzlich flog eine schlanke Gestalt aus den Schatten förmlich auf ihn zu. Vage vernahm er noch ein Paar dunkle Augen, ein ovales Gesicht unter einer Krone von rabenschwarzem Haar, hob abwehrend die Hände – doch zu spät. Schon hatte sich die Frau in seine Arme geworfen.

Wenn ich bedenke, wie mich die Witwe Gant an ihren Busen gedrückt und mir ihrem stinkenden Atem ins Gesicht geblasen hat, so ist dies hier ein weitaus angenehmeres Gefühl, dachte Hawkwood unwillkürlich. Er hatte Mühe, das Gleichgewicht wiederzugewinnen, löste sich aus der Umarmung und schob die Lady etwas von sich. In diesem Augenblick sah er den Grund für ihre panikartige Flucht.

Ein Blick genügte, um diese Sorte Männer an ihren seidenen Kniehosen und Schnallenschuhen zu erkennen: Aristokratensöhne, jung und gut aussehend. Beim Militär war er vielen dieser Typen begegnet. Im Offizierskorps wimmelte es von diesen eitlen, arroganten jungen Männern, die ihren Rang nur dem Namen ihrer Familien und dem Vermögen ihrer Väter zu verdanken hatten. Für diese Gecken war der Wehrdienst nichts als ein Spiel, für die unteren Ränge hatten sie nur Verachtung übrig, und Beförderungen betrachteten sie als ein rechtmäßiges Privileg, in dem irrtümlichen Glauben, die Welt schulde ihnen diese Bevorzugung. Und im zivilen Leben benahmen sie sich nicht anders.

Von den drei jungen Männern war der Rechte offensichtlich betrunken. Auch wenn er keine Flasche in der Hand gehabt hätte, wäre Hawkwood das sofort an seinen glasigen Augen und seinem einfältigen Grinsen aufgefallen. Die beiden anderen wirkten weniger beschwipst, hatten jedoch ihrem Benehmen nach ebenfalls reichlich Lord Mandrakes Weinen zugesprochen.

Der mit der Flasche brach schließlich das Schweigen. »Sag mal, Ruthers, alter Junge, haben wir etwa Gesellschaft bekommen? Ein verdammter Dienstbote, niedriger geht’s wohl nicht! Bist wohl ein Spanner, wie? Na los, verpiss dich! Sonst trete ich dir in den Arsch!« Die bauchige Weinflasche schwenkend, taumelte er nach vorn.

Hawkwood blieb schweigend stehen. Er merkte, dass die junge Frau jetzt an seiner Seite stand und seinen Arm umklammert hielt, als suchte sie physischen Schutz. Er fragte sich kurz, warum sie ohne Begleitung im Garten war, und musste an die Gestalt denken, die zwischen den Bäumen verschwunden war. Wer auch immer der Flüchtende gewesen sein mochte, war von den drei jungen Männern vielleicht vertrieben worden, oder er wollte Hilfe holen. Doch welcher Mann würde in einer derartigen Situation eine Frau mit diesen drei Trunkenbolden allein lassen?