Es war James Neville, der versuchte, die Situation zu retten. Er lachte nervös und sagte bemüht scherzhaft: »Du lieber Himmel, Ruthers. Du kannst von dem Kerl keine Satisfaktion verlangen. Duelle werden doch nur unter Gentlemen ausgetragen.«
»Er hat Recht, alter Junge«, stimmte Giles Campbell zu und nickte vehement. »Das geht einfach nicht.«
Einen Augenblick lang schien es, als hätten diese Worte eine beruhigende Wirkung auf Rutherford. Doch ein Blick in dessen Gesicht – noch immer stand er mit geballten Fäusten da – zeigte Hawkwood, dass der junge Mann angespannt war wie eine Bogensehne.
Dann veränderte sich Rutherfords Gesichtsausdruck plötzlich. Das Feuer in seinen Augen erlosch und verwandelte sich in ein kaltes, berechnendes Funkeln.
»Tja, ich glaube, er hat Angst vor mir. Ja, das ist es! Campbell, Neville, schaut ihn euch an! Der Kerl hat doch eine Heidenangst, oder?«
Da überkam Hawkwood ein derart heftiges, von Abscheu geprägtes Verlangen, Rutherford dieses hochnäsige Grinsen aus dem Gesicht zu prügeln, dass er es nur mit Mühe unterdrücken konnte.
»Also?«, höhnte Rutherford. »Wie heißen Sie noch mal? Ach ja, Hawkwood? Was soll’s denn sein? Heraus mit der Sprache! Sind Sie Manns genug, mir die Stirn zu bieten, oder wollen Sie sich hinter Ihrer Haftandrohung verstecken und sich davonschleichen. Zurück in die Kloake, wo Gossenratten wie Sie hingehören.«
Plötzlich herrschte eisiges Schweigen. Die Zeit schien stillzustehen. Der Garten, der Pavillon, die gedämpfte Musik, der Duft der Blumen, sogar die junge Lady – nichts mehr existierte, außer den beiden.
Wie aus weiter Ferne hörte sich Hawkwood sagen: »Ich habe keinen Sekundanten.«
Wie eine Spinne, die eine Fliege in ihr Netz lockt, sah Rutherford Hawkwood an, verhöhnte ihn, indem er eine Verneigung andeutete, und sagte: »Darf ich Ihnen vielleicht die Dienste meiner Begleiter anbieten? Neville, mein Lieber, würdest du dich unserem ritterlichen Freund zur Verfügung stellen?«
James Neville war über diese Eskalation derart verblüfft, dass er nur wie benommen blinzelte. Noch ehe er antworten konnte, ertönte hinter Hawkwood eine Stimme.
»Das ist nicht nötig. Sollte Mr. Hawkwood es wünschen, sekundiere ich ihm gern.«
Unter den Bäumen trat eine stämmige Gestalt in Militäruniform hervor, und hinter ihm tauchte der so plötzlich verschwundene Lakai auf. Irgendetwas an dem Offizier kam Hawkwood sofort bekannt vor. Und als er näher kam und unter eine Laterne trat, starrte Hawkwood in das strenge Gesicht von Major Lawrence.
Ohne Hawkwoods Erstaunen weiter Beachtung zu schenken, nahm der Major mit einem Blick die sich ihm bietende Szene wahr und musterte John Rutherford flüchtig, ehe er sich vor der jungen Lady verneigte. »Major Douglas Lawrence zu Ihren Diensten, Ma’am. Ich hoffe, Sie sind unversehrt. Der Dienstbote hat mich über Ihre missliche Lage in Kenntnis gesetzt.«
»Mir ist nichts passiert, Major. Ich danke Ihnen«, sagte sie auf Englisch nur mit leichtem Akzent und neigte anmutig den Kopf. »Vielleicht war es gewagt von mir, allein in den Garten zu gehen, aber es ist mir nicht in den Sinn gekommen, dass ich in dieser Umgebung einen Beschützer nötig haben könnte. Wäre dieser galante Gentleman mir nicht zu Hilfe gekommen …« Ihr versagte die Stimme, und sie griff sich mit einer hilflosen Geste an den Hals.
Hawkwood erinnerte sich an die schattenhafte Gestalt, die er unter den Bäumen gesehen hatte. Aber die junge Dame hatte gesagt, sie sei allein in den Garten gegangen. Er war wohl einer Sinnestäuschung aufgesessen.
»Ja, welch ein Glück«, sagte der Major voller Mitgefühl, deutete mit dem Kopf auf den Lakai und fügte hinzu: »Ich schlage vor, Sie lassen sich von diesem Diener jetzt ins Haus zurückbegleiten, denn mein Freund und ich haben noch etwas mit diesen … ähm … Gentlemen zu besprechen.«
Die junge Frau nickte und sah dann Hawkwood an. »Ich stehe in Ihrer Schuld, Monsieur.«
Wieder beeindruckte Hawkwood die Tiefe dieser im Licht der Laterne wie Katzenaugen leuchtenden Pupillen. Sie öffnete leicht die vollen Lippen, als wollte sie noch etwas sagen, drehte sich dann jedoch wortlos um und verschwand, vom Lakai gefolgt, in der Dunkelheit. Hawkwood hatte das seltsame Gefühl, er hätte etwas verloren, ihm sei eine unausgesprochene Nachricht versagt geblieben, dabei kannte er nicht einmal den Namen der jungen Lady.
»Exquisit«, murmelte Lawrence und sah ihr nach. »Überaus exquisit.« Als die beiden unter den Bäumen verschwunden waren, änderte sich seine Stimmung schlagartig. An Rutherford gewandt, sagte er schroff: »Sie gestatten, dass ich mit meinem Freund kurz unter vier Augen spreche?« Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er Hawkwood beim Ellbogen und führte ihn beiseite.
»Nun, Captain, ich habe wirklich nicht damit gerechnet, dass sich unsere Wege so bald wieder kreuzen«, sagte er und sah Hawkwood durchdringend an. Mit gesenkter Stimme fuhr er fort: »Oh ja, Captain Hawkwood, ich weiß, wer Sie sind. Bei unserer Begegnung vor dem Blind Fiddler habe ich Sie sofort erkannt. Als ich Sie heute Abend in Lord Mandrakes Haus sah, wagte ich jedoch wegen Ihrer Reaktion damals nicht, mich bemerkbar zu machen.« Er umfasste Hawkwoods Ellbogen fester und fragte: »Sie beabsichtigen doch nicht wirklich, diese Sache durchzuziehen, oder?«
»Die Würfel sind gefallen, Major. Ich weiß allerdings Ihre Besorgnis zu schätzen.«
»Aber das ist der schiere Wahnsinn!«
»Schon möglich«, räumte Hawkwood ein.
»Großer Gott, Mann! Sie müssen sich mit diesem Schnösel nicht duellieren. Verhaften Sie ihn doch einfach!«
Hawkwood seufzte. »Major, er hat zwei Zeugen, die beschwören werden, dass er alten Damen über die Straße hilft und den Armen Almosen gibt. Mit meiner Drohung, ihn zu verhaften, wollte ich ihn davon abbringen, die Situation auf die Spitze zu treiben. Es würde nie zu einer Anklage kommen.«
»Bedenken Sie doch das Risiko! Welche Folgen hatte Ihr letztes Duell für Sie? Und jetzt sind Sie Beamter! Wollen Sie sich noch eine Karriere verscherzen? Und wenn er gewinnt? Was dann?«
»Dann spielt es wohl keine Rolle mehr, nicht wahr?«, sagte Hawkwood mit einem schiefen Lächeln.
Lawrence stöhnte verzweifelt.
»Noch können Sie Ihre Meinung ändern und Ihr Angebot zurückziehen, Major«, sagte Hawkwood.
Aber Lawrence schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe versprochen, dass ich Ihnen beistehen werde, und ich ziehe mein Wort nicht zurück.« Dann grinste der Major unvermutet und fügte hinzu: »Eigentlich sollte ich Ihnen dankbar sein, dass Sie mich vor diesem absolut langweiligen Abend gerettet haben. Ich bin Soldat, verdammt noch mal. Mich öden diese gesellschaftlichen Verpflichtungen an. Diese Gecken haben noch nie an einem Feldzug teilgenommen. Die sehen sich höchstens historische Festspiele in Astley’s Amphitheater an. Mich widert dieses Pack an. Ich kann es kaum erwarten, zu meinem Regiment zurückzukehren. In zwei Tagen breche ich nach Spanien auf, keinen Augenblick zu früh.« Plötzlich sah Lawrence völlig zerknirscht aus. »Verzeihen Sie. Ich wollte keine Erinnerungen wecken. Es tut mir Leid.«
»Schon gut, Major. Das ist lange her.«
»Wie auch immer, ich stehe zu meinen Worten. Aber hören Sie, wäre es nicht besser, ich würde mit unserem hitzköpfigen Freund da drüben reden? Vielleicht kann ich ihn dazu bringen, seine idiotische Herausforderung zurückzunehmen. Hätten Sie etwas dagegen?«
Hawkwood schüttelte nur den Kopf. Lawrence ging zu den drei Männern und sprach mit Giles Campbell. Hawkwood verstand die Worte zwar nicht, sah jedoch zunächst den Ausdruck von Ungläubigkeit und dann das Erstaunen in Campbells Gesicht. Er wirkte plötzlich sehr nüchtern.
Danach redete Campbell aufgeregt auf Rutherford ein, der abrupt den Kopf hob und Hawkwood mit einem Ausdruck des Unbehagens oder des Zweifels in den Augen anstarrte. Dann packte Campbell seinen Freund am Ärmel, der schien wie aus einer Art Trance zu erwachen, löste sich aus dem Griff und schüttelte vehement den Kopf. Sichtlich niedergeschlagen ging Campbell wieder zum Major, überbrachte ihm die offensichtlich schlechte Nachricht und zuckte resigniert mit den Schultern. Der Major ließ den jungen Mann stehen und stapfte wütend zu Hawkwood zurück.