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Hawkwood zuckte vor Schmerz zusammen. Ich hätte doch zulassen sollen, dass sich der Arzt die Wunde ansieht, überlegte er. Dann fielen ihm jedoch die zittrigen Hände des Mediziners ein. Nein, das konnte warten.

Auf den Straßen herrschte mittlerweile reges Treiben. Kutschen und Karren polterten über das Pflaster. Straßenhändler, Blumenverkäufer, Messerschleifer, Kaminkehrer, Kohlenschlepper und Lumpensammler begannen ihr frühes Tagewerk. Diese bunt zusammengewürfelte Menge erinnerte Hawkwood an das Gesindel im Gefolge von Wellingtons Armeen in Spanien. Ein Strom bemitleidenswerter Pilger auf der Suche nach dem Gelobten Land.

Der Major und Hawkwood wollten gerade eine Straße überqueren, als eine Kutsche herangeprescht kam. Dann zügelte der Kutscher die Pferde, die Kutsche hielt direkt vor ihnen und die Tür wurde aufgestoßen.

»Captain Hawkwood?«

Ihm stockte der Atem, denn er hatte die Stimme sofort erkannt. Sie saß allein darin, in ein dunkles Cape gehüllt. Sie beugte sich vor, neigte den Kopf und schenkte Lawrence ein verführerisches Lächeln. »Guten Morgen, Major.«

»Ja, es ist ein wunderschöner Morgen, Ma’am«, stimmte Lawrence zu, lüftete seinen Tschako und sah dann Hawkwood breit grinsend an. Diese etwas anzügliche Miene weckte in Hawkwood den Verdacht, dass den Major das plötzliche Auftauchen der jungen Frau keineswegs überraschte. Dieser Eindruck verstärkte sich, als Lawrence mit gespielter Spontaneität seine Taschenuhr hervorzog, einen flüchtigen Blick darauf warf, die Uhr dann an sein Ohr hielt und bedauernd verkündete: »Ähm … tja, bitte entschuldigen Sie mich. Ich habe mich bereits verspätet. Die Pflicht ruft. In einer Stunde bin ich mit Leutnant Fitzhugh verabredet. Ich hatte den Jungen für ein paar Tage zu seiner Familie geschickt. Man weiß ja nie, wann wir die Heimat wieder sehen. Uns bleibt nur verdammt wenig Zeit, die neuen Rekruten auf Vordermann zu bringen, ehe sie an Bord gehen, um unsere Truppen in Spanien zu verstärken.«

Ohne Hawkwood Zeit für eine Antwort zu lassen, streckte ihm der Major die Hand hin und sagte: »Auf Wiedersehen, mein lieber Freund. Es war mir eine Freude, unsere Bekanntschaft aufgefrischt zu haben. Hoffentlich kreuzen sich unsere Wege irgendwann mal wieder.« Dann verneigte er sich in Richtung Kutsche und verabschiedete sich: »Ihr Diener, Ma’am.«

Hawkwood kam nicht umhin zu bewundern, wie elegant sich der Major aus der Affäre gezogen hatte. Er blickte ihm nach, bis er in der Menge verschwand.

Dann hörte er das Rascheln schwerer Seide. Er drehte sich um und registrierte, dass Catherine de Varesne ihn verführerisch anlächelte. »Nun, Captain Hawkwood, möchten Sie mir nicht Gesellschaft leisten?«

Hawkwood blickte zu dem Kutscher hoch, der mit ausdrucksloser Miene und erhobener Peitsche dasaß und nach vorn starrte.

Nach kurzem Zögern stieg Hawkwood in die Kutsche, worauf der Mann auf dem Bock sofort mit der Peitsche knallte und sich das Gefährt in Bewegung setzte.

»Sind Sie überrascht, mich zu sehen?«, fragte Catherine de Varesne, ein amüsiertes Funkeln in den Augen.

Von ihrem Sinnenreiz wie betäubt, konnte Hawkwood die schöne junge Frau nur stumm anstarren.

»Oder enttäuscht Sie mein Anblick?«, provozierte sie ihn.

Da fand Hawkwood endlich seine Sprache wieder. »Woher wussten Sie, dass ich hier entlanggehen würde?«

Das Cape war ihr von den Schultern gerutscht, und obwohl sie ein hoch geschlossenes Kleid trug, ahnte er die Rundungen ihrer Brüste. Sie erwiderte seinen Blick und antwortete mit entwaffnender Offenheit: »Der Major hat mir eine Nachricht geschickt.«

Ich habe also Recht gehabt, dachte Hawkwood, der Major steckt hinter dieser Begegnung. Kein Wunder, dass er derart anzüglich gegrinst hat.

»Haben Sie etwa geglaubt, wir würden uns nie wieder begegnen?«, fragte sie mit einem bezaubernden Lächeln.

Sein Blick glitt über ihren anmutig geschwungenen Hals und die sanfte Wölbung ihres Busens. »Ich hielt es eher für unwahrscheinlich.«

»Aber Sie hatten es gehofft?«, fragte sie und betrachtete ihn forschend.

»Ja«, sagte Hawkwood und nickte. Es erstaunte ihn, wie bereitwillig er dies zugegeben hatte. Dann fiel ihm ein, dass Catherine de Varesne ihn als Captain angesprochen hatte, und er fragte sich, wie viele Informationen der Major noch preisgegeben hatte.

»Haben Sie ihn getötet?«, unterbrach Catherine de Varesne plötzlich seine Gedanken.

Hawkwood fasste sich wieder. »Wen? Rutherford? Nein, er wird’s überleben. Ich habe ihn zwar blamiert, aber davon stirbt man nicht.«

Ist sie erfreut oder enttäuscht, überlegte Hawkwood, als die junge Dame nachdenklich schwieg. »Also, warum haben Sie mich abgepasst?«, fragte er ebenso direkt.

Während sie ihn ansah, umspielte ein Lächeln ihre vollen Lippen. »Ist Ihnen eigentlich bewusst, Captain Hawkwood, dass wir einander noch nicht vorgestellt wurden. Ich heiße

Catherine …«

»Ich weiß, wer Sie sind«, platzte Hawkwood heraus.

»Und woher wissen Sie das, Captain?«, fragte sie mit großen Augen.

»Der Major hat mir eine Nachricht geschickt«, entgegnete Hawkwood grinsend.

Da lachte sie, und Lichtpunkte tanzten in ihren Augen. In diese Frau könnte ich mich verlieben, dachte Hawkwood und fragte sich, warum ihn dieser Gedanke trotz der unübersehbaren Reize der jungen Frau beunruhigte.

»Also«, wiederholte er. »Warum haben Sie mich abgepasst?«

Ihr Blick und ihre Antwort waren ebenso direkt wie zuvor.

»Ja, was vermuten Sie denn?«

8

Hawkwood lehnte in den Kissen, den Arm um Catherines Taille gelegt. Ihr Kopf ruhte mit geschlossenen Augen auf seiner Brust. Er hörte ihren leisen Atem. Sie lagen nackt unter den zerwühlten Laken.

Der Kutscher hatte sie zu einem vornehmen Haus an der Ecke des Portman Square gebracht. Ein Hausmädchen hatte ihnen die Tür geöffnet und sich dann auf Geheiß ihrer Herrin für den Rest des Tages zurückgezogen. Weitere Dienstboten waren nicht sichtbar gewesen.

Catherine de Varesne kümmerte sich als Erstes um seine Wunde. Als die Kutsche durch ein Schlagloch gepoltert war und Hawkwood beinahe von seinem Sitz geschleudert worden wäre, hatte er unwillkürlich vor Schmerz gestöhnt und sich die Hand auf den Bauch gepresst. Sie hatte unverzüglich darauf reagiert.

»Sie sind verwundet!«

»Es ist nur ein Kratzer. Nichts Schlimmes.«

»Lassen Sie mich sehen!«, hatte sie kurz angebunden gesagt und seinen Rock geöffnet. »O mein Gott! Überall ist Blut! Sie wurden schwer verletzt!«

»Nein. Es sieht schlimmer aus, als es ist.«

»Aber die Wunde muss versorgt werden. Sie brauchen einen Arzt.«

»Nein, zum Teufel! Ich lasse keinen verdammten Quacksalber an mir rumpfuschen. Bei diesen Scheißkerlen holt man sich nur Infektionen«, hatte Hawkwood geflucht und dabei eine Ausdrucksweise gebraucht, die wohl eher in eine Hafenkneipe gepasst hätte. Doch ihr amüsiertes Lächeln hatte ihm zu verstehen gegeben, dass sein Vokabular ihre geringste Sorge war.

»Dann werde ich mich darum kümmern. Nein, keine Widerrede, Captain«, hatte sie ihm den Mund verboten. »Ich bestehe darauf!«

Ihr strenger Blick hatte Hawkwood signalisiert, dass es wohl klüger war, ihr nicht zu widersprechen.