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Major Lawrence schürzte die Lippen. »Der Hausierer hatte völlig Recht, Fitz. Unser Freund Hawkwood ist gewiss kein Mann, der mit sich spaßen lässt.« Dann blickte er, in Erinnerungen versunken, in sein Glas. »Es war vor vier Jahren … in Südamerika. Damals gehörten wir der Expedition Sam Auchmutys an und sollten Beresfords Truppen im Kampf gegen die Spanier verstärken.« Mit grimmigem Lächeln fügte er hinzu: »Und heute sind sie unsere Verbündeten. Wer hätte das gedacht!«

Englands Versuch, die südamerikanischen Kolonien von der Herrschaft Spaniens zu befreien, war wegen schlechter Planung und Koordination jämmerlich gescheitert. Die ersten Truppen unter Führung des Brigadegenerals William Carr Beresford hatten zwar Buenos Aires erobert, doch danach hatte das Unheil seinen Lauf genommen.

Fitzhugh konnte sehen, wie schmerzlich diese Erinnerung noch heute für den Major war, als dieser weitersprach: »Wie sich herausstellte, haben wir den Feldzug Beresfords nicht unterstützt, sondern den verdammten Narren nur gerettet! Denn als wir eintrafen, hatten sich die Spanier neu gruppiert, die Stadt zurückerobert und Beresford gefangen genommen!«

Major Lawrence beugte sich jetzt vor, ganz in seiner Erinnerung gefangen. »Der gute alte Sam hat natürlich gewusst, dass unsere einzige Chance, Beresford zu retten, darin bestand, Montevideo einzunehmen, um die Stadt später als Druckmittel zu benutzen. Was uns auch gelungen ist, aber um welchen Preis! Diese Bastarde haben uns bereits am Strand erwartet und erbittert Widerstand geleistet. Wir haben sie natürlich zurückgedrängt, standen dann jedoch vor einer zur Festung ausgebauten Stadt, die wir nur belagern konnten. Wir haben sie von unseren Fregatten aus mit Vierundzwanzigpfündern beschossen, aber es hat vier Tage gedauert, bis wir eine Bresche schlagen und durchbrechen konnten.«

Mittlerweile hielt der Major seine Taschenuhr in der Hand, klappte den Deckel auf und strich in Gedanken versunken über die Gravur. Dann blickte er auf, fasste sich wieder und steckte die Uhr unter die Schärpe zurück, ehe er fortfuhr:

»Viele gute Männer haben bei der Einnahme der Festung ihr Leben verloren, aber wir haben auch eine Menge Leute gefangen genommen, einschließlich des Kommandanten, Gouverneur Don Pasquil. Nur der General, der für die Verteidigung der Zitadelle zuständig war, lehnte Auchmutys Angebot auf freien Abzug ab und ergab sich nicht. Also ließ Sam die Scharfschützen antreten.«

»Die Scharfschützen?«, wiederholte Leutnant Fitzhugh mit großen Augen.

»Zu unserer Einheit gehörte ein Trupp des 95. Rifles Regiments. Zwei Schützen erhielten den Befehl, den General von einem Turm aus ins Visier zu nehmen und zu erschießen. Ich wurde diesem Sonderkommando zugeteilt und habe die beiden Scharfschützen begleitet. Einer von ihnen, der Leutnant, war unser Freund, dessen Namen ich jedoch nicht kannte. Ich fand es allerdings seltsam, dass ein Offizier mit dieser Aufgabe betraut wurde.«

»Wie können Sie sicher sein, dass es sich um denselben Mann handelt?«, fragte Fitzhugh stirnrunzelnd.

»Weil ich damals etwas erlebt habe, was ich nie vergessen werde. Wir – die beiden Schützen, zwei Soldaten und ich – standen also auf diesem Turm und warteten darauf, dass sich der General zeigte. Und dann erschien er tatsächlich und spazierte stolz wie ein Gockel in seiner prächtigen Uniform über den Schutzwall.«

Der Major griff in seinen Rock und holte eine kurzstielige Tonpfeife und einen Tabakbeutel heraus. Mit einer für Fitzhugh beinahe unerträglichen Langsamkeit stopfte er seine Pfeife und steckte den Beutel in seinen Rock zurück. Frustriert musste Fitzhugh mit ansehen, wie der Major eine Kerze nahm, die Flamme an den Pfeifenkopf hielt und paffte, bis der Tabak ordentlich glühte. Dann drückte er die Flamme zwischen Daumen und Zeigefinger aus und steckte die Kerze in den Behälter neben seinem Ellbogen zurück. Fitzhugh glaubte zunächst, der Major spanne ihn absichtlich auf die Folter, merkte dann jedoch, dass Lawrence dieses Ritual brauchte, um seine Gedanken zu sammeln.

Der Major zog ein paar Mal geräuschvoll an seiner Pfeife, ehe er mit seiner Geschichte fortfuhr: »So etwas hatte ich noch nie erlebt, Fitz. Unser Freund steht da und schaut über die Dächer zu dem General hin. Er sagt kein Wort, starrt nur diesen Gockel an. Dann lädt er seelenruhig sein Gewehr, legt den Lauf auf die Brust, zielt und drückt ab.

Er hat den General mit einem einzigen Schuss erledigt, Fitz. Ich habe durch mein Fernglas gesehen, wie er dem Scheißkerl die Kugel in den Kopf gejagt hat.«

»Aus welcher Entfernung?«

»Es waren etwa zweihundert Meter.«

»Du lieber Himmel!«, rief Fitzhugh und klappte den Mund auf.

»Es war der verdammt beste Schuss, den ich je gesehen habe.«

»Ich kann’s nicht glauben«, staunte Fitzhugh noch immer.

»Das hat die Spanier natürlich völlig demoralisiert. Gleich darauf haben sie sich ergeben.«

»Und was wurde aus dem Schützen?«

»Er ist zu seiner Einheit zurückgekehrt. Ich habe ihn nie wieder gesehen. An diesen Schuss kann ich mich jedoch gut erinnern. Einfach hervorragend.«

Lawrence schwieg wieder und hing seinen Gedanken nach. Er zog an seiner Pfeife, hob seinen Becher und leerte ihn.

»Noch einen Drink?«, fragte Fitzhugh.

Lawrence starrte in den Becher, so als würde ihm erst jetzt auffallen, dass er leer war, und erwiderte: »Warum nicht?«

Fitzhugh hob die Hand und winkte eine der Serviererinnen herbei. Nur zu bereitwillig folgte sie der Aufforderung eines so gut aussehenden jungen Mannes in Uniform und trat lächelnd an den Tisch der beiden. Als sie sich vorbeugte und nach den Bechern griff, wölbte sich ihr üppiger Busen über dem tief ausgeschnittenen Mieder. Fitzhugh bestellte die Getränke und spürte dabei den Druck ihrer linken Brust an seinem Arm. Das erinnerte den Leutnant daran, dass er und der Major für den Abend einen Besuch in einem kleinen und sehr diskreten Etablissement am Covent Garden geplant hatten, wo schöne, handverlesene, charmante und junge Damen zu Amüsements einluden, die eine Offiziersmesse nicht zu bieten hatte.

Fitzhugh fiel auf, dass die Serviererin auf dem Weg zum Schanktisch von lüsternen Männern betatscht und mit obszönen Bemerkungen belästigt wurde. Dann kam ihm plötzlich ein Gedanke, und er sagte zu Lawrence. »Warum, glauben Sie, hat Hawkwood geleugnet. Sie zu kennen?«

Lawrence zuckte mit den Schultern. »Schwer zu sagen. Aber er hat wohl weniger Grund, sich an mich zu erinnern als ich mich an ihn.«

Was nicht ganz der Wahrheit entsprach, denn Fitzhugh wusste, dass der Major einen erheblichen Beitrag zur Eroberung Montevideos geleistet hatte. Davon zeugte allein die vom Major so hoch geschätzte Taschenuhr, die die Regimentsleitung jüngeren Offizieren als Anerkennung hervorragender Dienste verlieh.

Die Briten hatten die spanischen Befestigungsanlagen mit bewährten, wenn auch mittelalterlichen Methoden belagert. Mit Sturmböcken und Brustwehren, Schanzkörben und Faschinen hatten sie für die Geschütze, die mit Kriegsschiffen von Rio de Janeiro herbeigeschafft wurden, Barrikaden errichtet. Es hatte vier Tage gedauert, bis die Tore und die sechs Meter dicken Mauern der Stadt den Kanonenkugeln nicht mehr standgehalten hatten und zusammengebrochen waren. Kurz vor Tagesanbruch, noch im Schutz der Dunkelheit, hatte ein Himmelfahrtskommando der britischen Truppen unter dem Befehl von Captain Renny die Stadt gestürmt. Da der Captain von einer Musketenkugel getroffen worden war, hatte der junge Leutnant Lawrence buchstäblich in die Bresche springen müssen und die Soldaten über die Mauern in die Stadt geführt.

Sir Samuel Auchmuty hatte die Tapferkeit seines jungen Offiziers mit einem Geschenk – seiner eigenen Taschenuhr – geehrt und ihn im Gedenken an den gefallenen Renny zum Captain befördert.

Jetzt kam die Serviererin mit den Getränken zurück. Sie schenkte Fitzhugh wieder ein Lächeln und entfernte sich mit einem besonders provozierenden Schwung ihrer breiten Hüften.