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»Bahnhof«, sagte Bärlach und stieg ein. Der Wagen setzte sich in Bewegung.

»Nun«, sagte eine Stimme neben ihm, »wie geht es dir? Hast du gut geschlafen?«

Bärlach wandte den Kopf. In der andern Ecke saß Gastmann. Er war in einem hellen Regenmantel und hielt die Arme verschränkt. Die Hände steckten in braunen Lederhandschuhen. So saß er da wie ein alter, spöttischer Bauer. Vorne wandte der Chauffeur sein Gesicht nach hinten, grinste. Der Kragen war jetzt nicht mehr hochgeschlagen, es war einer der Diener. Bärlach begriff, daß er in eine Falle gegangen war.

»Was willst du wieder von mir?« fragte der Alte.

»Du spürst mir immer noch nach. Du warst beim Schriftsteller«, sagte der in der Ecke, und seine Stimme klang drohend.

»Das ist mein Beruf.«

Der andere ließ kein Auge von ihm: »Es ist noch jeder umgekommen, der sich mit mir beschäftigt hat, Bärlach.«

Der vorne fuhr wie der Teufel den Aargauerstalden hinauf.

»Ich lebe noch. Und ich habe mich immer mit dir beschäftigt«, antwortete der Kommissär gelassen.

Die beiden schwiegen.

Der Chauffeur fuhr in rasender Geschwindigkeit gegen den Viktoriaplatz. Ein alter Mann humpelte über die Straße und konnte sich nur mit Mühe retten.

»Gebt doch acht«, sagte Bärlach ärgerlich.

»Fahr schneller«, rief Gastmann schneidend und musterte den Alten spöttisch. »Ich liebe die Schnelligkeit der Maschinen.«

Der Kommissar fröstelte. Er liebte die luftleeren Räume nicht. Sie rasten über die Brücke, an einem Tram vorbei und näherten sich über das silberne Band des Flusses tief unter ihnen pfeilschnell der Stadt, die sich ihnen willig öffnete. Die Gassen waren noch öde und verlassen, der Himmel über der Stadt gläsern.

»Ich rate dir, das Spiel aufzugeben. Es wäre Zeit, deine Niederlage einzusehen«, sagte Gastmann und stopfte seine Pfeife.

Der Alte sah nach den dunklen Wölbungen der Lauben, an denen sie vorüberglitten nach den schattenhaften Gestalten zweier Polizisten, die vor der Buchhandlung Lang standen.

Geißbühler und Zumsteg, dachte er und dann: Den Fontäne sollte ich doch endlich einmal zahlen.

»Unser Spiel«, antwortete er endlich, »können wir nicht aufgeben. Du bist in jener Nacht in der Türkei schuldig geworden, weil du die Wette geboten hast, Gastmann, und ich, weil ich sie angenommen habe.«

Sie fuhren am Bundeshaus vorbei.

»Du glaubst immer noch, ich hätte den Schmied getötet?« fragte der andere.

»Ich habe keinen Augenblick daran geglaubt«, antwortete der Alte und fuhr dann fort, gleichgültig zusehend, wie der andere seine Pfeife in Brand steckte: »Es ist mir nicht gelungen, dich der Verbrechen zu überführen, die du begangen hast, nun werde ich dich eben dessen überführen, das du nicht begangen hast.«

Gastmann schaute den Kommissär prüfend an.

»Auf diese Möglichkeit bin ich noch gar nicht gekommen«, sagte er. »Ich werde mich vorsehen müssen.«

Der Kommissär schwieg.

»Vielleicht bist du ein gefährlicherer Bursche, als ich dachte, alter Mann«, meinte Gastmann in seiner Ecke nachdenklich.

Der Wagen hielt. Sie waren am Bahnhof.

»Es ist das letzte Mal, daß ich mit dir rede, Bärlach«, sagte Gastmann. »Das nächste Mal werde ich dich töten, gesetzt, daß du deine Operation überstehst.«

»Du irrst dich«, sagte Bärlach, der auf dem morgendlichen Platz stand, alt und leicht frierend. »Du wirst mich nicht töten. Ich bin der einzige, der dich kennt, und so bin ich auch der einzige, der dich richten kann. Ich habe dich gerichtet, Gastmann, ich habe dich zum Tode verurteilt. Du wirst den heutigen Tag nicht mehr überleben. Der Henker, den ich ausersehen habe, wird heute zu dir kommen. Er wird dich töten, denn das muß nun eben einmal in Gottes Namen getan werden.«

Gastmann zuckte zusammen und starrte den Alten verwundert an, doch dieser ging in den Bahnhof hinein, die Hände im Mantel vergraben, ohne sich umzukehren, hinein in das dunkle Gebäude, das sich langsam mit Menschen füllte.

»Du Narr!« schrie Gastmann nun plötzlich dem Kommissär nach, so laut, daß sich einige Passanten umdrehten. »Du Narr!« Doch Bärlach war nicht mehr zu sehen.

Achtzehntes Kapitel

Der Tag, der nun immer mehr heraufzog, war klar und mächtig, die Sonne, ein makelloser Ball, warf harte und lange Schatten, sie, höher rollend, nur wenig verkürzend. Die Stadt lag da, eine weiße Muschel, das Licht aufsaugend, in ihren Gassen verschluckend, um es nachts mit tausend Lichtern wieder auszuspeien, ein Ungeheur, das immer neue Menschen gebar, zersetzte, begrub. Immer strahlender wurde der Morgen, ein leuchtender Schild über dem Verhallen der Glocken. Tschanz wartete, bleich im Licht, das von den Mauern prallte, eine Stunde lang. Er ging unruhig in den Lauben vor der Kathedrale auf und ab, sah auch zu den Wasserspeiern hinauf, wilde Fratzen, die auf das Pflaster starrten, das im Sonnenlicht lag. Endlich öffneten sich die Portale. Der Strom der Menschen war gewaltig, Lüthi hatte gepredigt, doch sah er sofort den weißen Regenmantel. Anna kam auf ihn zu. Sie sagte, daß sie sich freue, ihn zu sehen, und gab ihm die Hand. Sie gingen die Keßlergasse hinauf, mitten im Schwärm der Kirchgänger, umgeben von alten und jungen Leuten, hier ein Professor, da eine sonntäglich herausgeputzte Bäckersfrau, dort zwei Studenten mit einem Mädchen, einige Dutzend Beamte, Lehrer, alle sauber, alle gewaschen, alle hungrig, alle sich auf ein besseres Essen freuend. Sie erreichten den Kasinoplatz, überquerten ihn und gingen ins Marzili hinunter. Auf der Brücke blieben sie stehen.

»Fräulein Anna«, sagte Tschanz, »heute werde ich Ulrichs Mörder stellen.«

»Wissen Sie denn, wer es ist?« fragte sie überrascht.

Er schaute sie an.

Sie stand vor ihm, bleich und schmal.

»Ich glaube zu wissen«, sagte er. »Werden Sie mir, wenn ich ihn gestellt habe«, er zögerte etwas in seiner Frage, »das gleiche wie Ihrem verstorbenen Bräutigam sein?«

Anna antwortete nicht sofort. Sie zog ihren Mantel enger zusammen, als fröre sie. Ein leichter Wind stieg auf, brachte ihre blonden Haare durcheinander, aber dann sagte sie:

»So wollen wir es halten.«

Sie gaben sich die Hand, und Anna ging ans andere Ufer. Er sah ihr nach. Ihr weißer Mantel leuchtete zwischen den Birkenstämmen, tauchte zwischen Spaziergängern unter, kam wieder hervor, verschwand endlich. Dann ging er zum Bahnhof, wo er den Wagen gelassen hatte. Er fuhr nach Ligerz. Es war gegen Mittag, als er ankam; denn er fuhr langsam, hielt manchmal auch an, ging rauchend in die Felder hinein, kehrte wieder zum Wagen zurück, fuhr weiter. Er hielt in Ligerz vor der Station, stieg dann die Treppe zur Kirche empor. Er war ruhig geworden. Der See war tiefblau, die Reben entlaubt, und die Erde zwischen ihnen braun und locker. Doch Tschanz sah nichts und kümmerte sich um nichts. Er stieg unaufhaltsam und gleichmäßig hinauf, ohne sich umzukehren und ohne innezuhalten. Der Weg führte steil bergan, von weißen Mauern eingefaßt, ließ Rebberg um Rebberg zurück. Tschanz stieg immer höher, ruhig, langsam, unbeirrbar, die rechte Hand in der Manteltasche. Manchmal kreuzte eine Eidechse seinen Weg, Bussarde stiegen auf, das Land zitterte im Feuer der Sonne, als wäre es Sommer; er stieg unaufhaltsam. Später tauchte er in den Wald ein, die Reben verlassend. Es wurde kühler. Zwischen den Stämmen leuchteten die weißen Jurafelsen. Er stieg immer höher hinan, immer im gleichen Schritt gehend, immer im gleichen stetigen Gang vorrückend, und betrat die Felder. Es war Acker– und Weideland; der Weg stieg sanfter. Er schritt an einem Friedhof vorbei, ein Rechteck, von einer grauen Mauer eingefaßt, mit weit offenem Tor. Schwarzgekleidete Frauen schritten auf den Wegen, ein alter gebückter Mann stand da, schaute dem Vorbeiziehenden nach, der immer weiterschritt, die rechte Hand in der Manteltasche.