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Ein äußerst besorgter Harun al Dhin.

Mit einem erschöpften Seufzer ließ er sich neben Robin auf die Mauerkante sinken, stützte die Ellbogen auf die Knie und betrachtete stirnrunzelnd, was der stundenlange Marsch, Sonne und Sand seinen kostbaren Kleidern angetan hatten. Von ihren grellen Farben war nicht mehr viel zu sehen.

»Das gefällt mir nicht«, murmelte er.

»Was?«, fragte Robin. Sie spürte genau, dass Harun eine andere Antwort von ihr erwartet hatte. Aus irgendeinem Grund schien er niemals willens zu sein, von sich aus etwas preiszugeben, sondern wartete immer auf ein Stichwort, selbst wenn er es seinem Gegenüber selber liefern musste. Aber sie war zu erschöpft und zu müde für solcherlei Spielchen.

»Das, was hier passiert«, murmelte Harun.

»Was passiert denn?«, erkundigte sich Robin. Nicht, dass es sie wirklich interessierte. Aber sie würde auch keine Ruhe finden, bevor Harun seine Botschaft losgeworden war. »Sie tränken die Kamele. Wir machen Rast.«

»Ich fürchte, nicht«, antwortete der riesige Mann.

Nun sah Robin doch hoch. Etwas von der Angst, die sie bislang auch sich selbst gegenüber nicht zugegeben hatte, musste sich wohl deutlich auf ihrem Gesicht widerspiegeln, denn Harun nickte besorgt und fuhr in leiserem, ebenso mitfühlendem wie auch zugleich alarmiertem Ton fort: »Sie tränken die Kamele, das ist wahr. Aber nur, bis die Tiere fertig beladen sind. Wir nehmen Proviant und Wasser auf und ziehen sofort weiter.«

Robin sog scharf die Luft ein. Warum war sie eigentlich so entsetzt? Sie war längst zu dem gleichen Schluss gekommen, hatte es nur nicht wahrhaben wollen. Trotzdem sagte sie: »Aber das ist doch Wahnsinn. Uns wird alle der Hitzschlag treffen!«

»Das wohl nicht«, antwortete Harun. »Aber es ist eine elende Schinderei, die eigentlich nicht nötig wäre. Es sei denn...«

Robin tat ihm den Gefallen zu fragen: »Es sei denn - was?«

»Eine Karawane so reichlich mit Nahrung und Wasser zu versorgen, die durch fruchtbares Gebiet und noch dazu in der Nähe eines Flusses zieht, ist vollkommen überflüssig. Wir schleppen nur unnötiges Gewicht mit uns herum und vergeuden unsere Kräfte.« Er seufzte tief. »Ich hoffe, dass Omar in seiner Angst vor den Assassinen keine Dummheit begeht.«

»Was genau meint Ihr mit Dummheit?«

Bevor Harun antworten konnte, kam Nemeth zurück. Sie hatte ihren Kaftan hochgeschlagen und transportierte darin ein gutes halbes Dutzend frischer Datteln, die sie Robin stolz anbot. Obwohl Robin sehr hungrig war, war ihr der Gedanke an Essen fast zuwider, so erschöpft war sie. Dennoch griff sie danach, nahm sich die Hälfte der Datteln und forderte Harun mit einer Geste auf, ihrem Beispiel zu folgen.

Nemeth wirkte ein bisschen verärgert, als auch der riesige Tanzlehrer eine seiner Pranken ausstreckte und die restlichen Datteln in seiner geschlossenen Hand verschwinden ließ. »Soll ich noch Wasser holen?«, fragte sie.

Robin schüttelte den Kopf, doch Harun sagte: »Ja. Aber geh diesmal auf die andere Seite der Karawane.«

Nemeth blickte ihn eine Sekunde lang verstört an, dann konnte Robin sehen, wie sie erschrak und ein schuldbewusster Ausdruck auf ihrem Gesicht erschien.

»Harun hat Recht«, sagte sie. »Aber mach dir nichts draus. Das Wasser war in Ordnung. Dennoch solltest du auf ihn hören. Und trink auch selber, und bring für deine Mutter etwas mit.«

»Was muss sie eigentlich noch anstellen, damit du die Geduld mit ihr verlierst?«, fragte Harun.

»Die Hoffnung verlieren«, antwortete Robin.

Harun sah sie stirnrunzelnd und mit undeutbarem Ausdruck an. Er schwieg, während er drei der Datteln, die Nemeth mitgebracht hatte, verzehrte. »Ich werde jeden Tag weniger schlau aus dir, Ungläubige«, gestand er. »Du selbst bist in einer Lage, die dem, was ihr Christen mit dem Wort Hölle bezeichnet, ziemlich nahe kommt. Und deine einzige Sorge gilt einem Kind, das du kaum kennst.«

Das Thema war Robin unangenehm, deshalb erinnerte sie: »Ihr wolltet von Omars Dummheiten erzählen.«

»Das ist wahr«, seufzte Harun und verzehrte die letzte Dattel. Robin hatte ihre noch nicht angerührt, wollte das aber nachholen, bevor Nemeth zurück war, schon um das Mädchen nicht vor den Kopf zu stoßen.

»Auf der Route, die wir bisher eingeschlagen haben, und bei dem Tempo, das Omar vorlegt, werden wir bis zur Dämmerung Homs erreichen - eine große Stadt im Westen. Ich war bis jetzt der Meinung, Omar Khalids Ziel sei Damaskus. Homs ist die erste Etappe vor dem Weg durch das Libanon-Gebirge.«

»Wieso Damaskus?«

»Es ist die Residenz Sultan Saladins«, antwortete Harun. Sein Blick streifte gierig das Vierteldutzend Datteln, das Robin in ihren Schoß gelegt hatte. Wortlos nahm sie sie, streckte die Hand aus und die süßen Früchte verschwanden so schnell in Haruns Mund, als hätte er sie weggezaubert. »Nicht einmal die Assassinen würden es wagen, so ohne weiteres nach Damaskus zu gehen oder dort gar ein Attentat zu verüben.«

Das klang schlüssig, doch Robin spürte den Zweifel hinter Haruns Worten. Er wirkte völlig anders als bisher - ernst, erschöpft -, aber da war noch etwas, ohne dass Robin es hätte benennen können. Selbst seine Art zu reden hatte sich verändert. Seine Ausdrucksweise wirkte plötzlich geradlinig und schnörkellos, was ihn ihr eher sympathisch machte.

»Und?«, fragte sie schließlich.

Harun deutete mit dem Kopf in Richtung Flussufer und Kamele. Fast gegen ihren Willen stellte Robin fest, dass der Großteil der Waren bereits aufgeladen war. Wenn Harun mit seiner Vermutung Recht hatte, dass sie keine Pause einlegen würden, würde es wohl in wenigen Minuten weitergehen. »Was ich dort sehe, deutet eher darauf hin, dass Omar nach Osten in die Wüste fliehen will. Ich kann das nicht begreifen. Vor allem nicht in Begleitung eines Mannes wie Mussa. Er ist nicht nur gewissenlos, sondern auch gierig. Und das macht ihn noch gefährlicher.«

»Und was ist im Osten?«, fragte Robin. »Außer Wüste?«

»Noch mehr Wüste«, brummte Harun. Dann schien er zu begreifen, dass seine Worte Robin nicht unbedingt beruhigten, und er versuchte seine Aussage mit einem übertrieben optimistischem Lächeln zu relativieren. »Es gibt einen Weg hindurch. Viele Karawanen sind ihn schon gegangen - mach dir keine Sorgen.«

»Wenn man will, dass sich jemand Sorgen macht«, sagte Robin, »muss man ihm nur sagen, er solle sich keine Sorgen machen.«

Harun lachte. »Er ist gefährlich. Du hast Recht. Aber nicht unpassierbar. Und ich meine es ernst - mach dir keine Sorgen. Ich glaube, Allah selbst hat ein Auge auf dich geworfen. Nach allen Unmöglichkeiten, die du bisher bewältigt hast, wird dir wahrscheinlich auch die Wüste nichts anhaben können.« Er stand auf. »Weißt du, das ist der Grund, aus dem ich immer in deiner Nähe bleibe. Vielleicht fällt ja etwas von deinem Glück auf mich ab.«

Nur wenige Minuten später gab Omar das Zeichen zum Aufbruch. Die letzten Kamele waren gesattelt, die letzten Wasserkrüge und Futtersäcke verstaut und diesmal gelang es Robin sogar, auf den Rücken ihres Kamels zu steigen, ohne damit zur Erheiterung der gesamten Karawane beizutragen. Sie sah bewusst nicht in seine Richtung, aber sie spürte Omars Blicke. Ein absurdes Gefühl von Enttäuschung begann sich in ihr breit zu machen, als sie begriff, dass er sich zwar davon überzeugen wollte, dass sie unversehrt im Sattel saß, aber nicht zu ihr kommen würde, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Sie verscheuchte den Gedanken. Was Omar anging, so hoffte sie inständig, dass er bei der Überquerung des Flusses ertrank oder vielleicht von einem Stein erschlagen wurde, der zufällig vom Himmel fiel.