Zumindest für diesen Tag jedoch regnete es keine Steine und in der Furt konnte auch niemand ertrinken. Der Orontes war an dieser Stelle zwar sehr breit, dafür aber so seicht, dass das Wasser den Kamelen nicht einmal bis an die Bäuche reichte. Allein der Anblick des Wassers ließ Robin wieder spüren, wie durstig sie noch immer war, und wie entsetzlich heiß es unter ihren Kleidern war. Hätte sie auf einem Pferd gesessen, hätte sie sich vorgebeugt, um sich Wasser ins Gesicht und über den Kopf zu schöpfen. Aber auf diesem hin und her schwankenden Monstrum konnte sie froh sein, wenn sie sich überhaupt im Sattel hielt. Sie betete, dass Harun sich täuschte und sie nicht nach Osten, sondern weiter nach Homs ritten. Selbst wenn sie dort der nackte Boden einer Karawanserei als Nachtlager erwartete, so wäre es nicht so entsetzlich wie eine weitere Nacht in diesem Sand. Aber zumindest mussten sie nicht mehr gehen.
Bis sie das gegenüberliegende Ufer des Flusses erreicht hatten und Omar ihnen befahl, wieder von den Kamelen abzusteigen, die Tiere bei den Zügeln zu nehmen und ihren qualvollen Fußmarsch fortzusetzen.
17. KAPITEL
Seit sie die Furt passiert hatten und der Orontes für immer hinter ihnen zurückgeblieben war, schien sie Mussa geradewegs in die Hölle zu führen. Hatte Robin schon am ersten Tag geglaubt, dass es unerträglich heiß wäre, so musste sie in den nächsten beiden Tagen entdecken, dass sich dieser Zustand noch ohne weiteres steigern ließ. Obwohl sie nun nicht mehr gehen mussten, sondern sich auf den schwankenden Rücken der Kamele ihrem immer noch unbekannten Ziel entgegenquälten, schmerzten ihre Füße unerträglich. Außerdem schwächte sie ein Fieber, das sie seit dem frühen Morgen in seinem unbarmherzigen Griff hatte.
Ihr wurde immer wieder schwindlig, und sie wurde so müde, dass sie mehrfach im Sattel einschlief und fast vom Rücken ihres Reittieres gefallen wäre.
Dabei lag gerade erst die Hälfte ihrer heutigen Etappe hinter ihnen. Die schlimmere Hälfte, versuchte Robin sich einzureden. Die Sonne stand noch nahezu senkrecht über ihnen. Aber die verzerrten Schatten, die die Kamelreiter auf den unebenen Untergrund warfen, begannen allmählich wieder länger zu werden; die Mittagsstunde war vorbei, und damit auch die der größten Hitze. Vor ihnen lagen noch endlose Stunden, bis die Sonne wieder untergehen und es kurz nach Einbruch der Dunkelheit ebenso grausam kalt werden würde, wie es jetzt unerträglich heiß war. Doch mit jedem Schritt, den das Kamel tat, jedem Atemzug glühender Luft, die ihre Kehle weiter ausdörrte, wurde der Tag kürzer und rückte das Ende des Martyriums näher.
Robin hob müde den Kopf und blinzelte aus entzündeten, schmerzenden Augen in die braunrote Landschaft, durch die sie ritten. Seit einiger Zeit bewegte sich die Karawane durch ein gewundenes Wadi, ein trockenes Flussbett, das sich tief in den Boden eingegraben hatte und zu beiden Seiten von rötlichem, hartkantigem Gestein eingefasst wurde. Auf dem Boden lag Geröll, kein Sand mehr. Felsbrocken und Trümmer in allen nur denkbaren Größen und Formen machten auch den Kamelen das Vorankommen schwer. Es war Robin ein Rätsel, warum Omar ausgerechnet diesen Weg gewählt hatte, denn er brachte keinerlei Vorteile. In dem ausgetrockneten Flussbett war es kein bisschen kühler. Die Hitze schien sich im Gegenteil hier noch zu stauen und es war nur eine Frage der Zeit, bis eines der Kamele einen Fehltritt tun und stürzen würde, was für Reiter wie Tier böse ausgehen konnte.
Vielleicht hoffte Omar, auf dem Talgrund eher vor den Blicken etwaiger Verfolger verborgen zu bleiben oder dass ihre Tiere auf dem steinigen Boden so gut wie keine Spuren hinterließen. Obwohl Robin in Taktik und Kriegsführung allenfalls theoretisch ausgebildet war, wusste sie doch, dass eine so große Anzahl von Tieren unübersehbare Spuren hinterlassen würde, die ein erfahrener Fährtenleser auch noch nach Tagen zu deuten vermochte. Omar hatte entweder aus purer Verzweiflung diesen Weg eingeschlagen, oder er hatte andere Beweggründe, die er niemandem von ihnen anvertraut hatte.
Wenn es so war, dann musste er wirklich eine gewaltige Überraschung parat haben, dachte Robin müde. Er verlangte das Allerletzte von Mensch und Tier. Die zurückliegenden beiden Tage hatten Robin mehr an Kraft geraubt, als sie in den Wochen seit ihrer Ankunft in diesem Land mühsam wieder zurückerlangt hatte. Soweit sie es in ihrer Erschöpfung mitbekam, erging es den anderen kaum besser. In der vergangenen Nacht hatte sie gehört, wie sich Nemeth und ihre Mutter gegenseitig in den Schlaf geweint hatten. Diese Flucht aus der Stadt, die zugleich die erste Etappe ihrer eigenen Flucht hatte werden sollen, war längst zu einem Albtraum geworden, der vielleicht nie ein Ende nehmen würde.
Sie versuchte, sich mit der Zungenspitze über die rissigen, verschorften Lippen zu fahren, um sie anzufeuchten, aber es gelang ihr nicht. Ihr Gaumen war ausgedörrt und der Durst hatte ihre Zunge so unförmig anschwellen lassen, dass sie schon Schwierigkeiten mit dem Sprechen hatte. Zum unzähligsten Mal an diesem Tag glitt ihre Hand wie von selbst zu dem schmal gewordenen Wasserschlauch, der vor ihr am Sattel befestigt war, und zum unzähligsten Mal zog sie den Arm zurück, ohne die Bewegung beendet zu haben. Omar hatte sie alle eindringlich ermahnt, sparsam mit dem Wasser umzugehen, und Harun hatte diese Warnung Robin gegenüber noch einmal wiederholt.
Ihr Weg würde sie an mehreren Wasserstellen und kleineren Oasen vorbeiführen, von denen man aber nie genau sagen konnte, ob sie im Moment Wasser führten oder nur ausgetrocknete Löcher voller Sand in einer Welt aus Stein waren. Omar hatte auch keinen Zweifel daran gelassen, dass sie so viel trinken konnte, wie sie wollte. Aber er hatte es laut genug gesagt, um ihr mit diesen Worten gleichzeitig vollkommen unmöglich zu machen, dieses Privileg zu nutzen. Von allen hier litt sie vermutlich am meisten unter Hitze und Durst, denn sie war weder in diesem Land aufgewachsen wie Saila und ihre Tochter, noch war sie lange Ritte durch die Wüste gewohnt, wie Omar, Mussa und die anderen. Aber sie würde lieber sterben, bevor sie die Rolle des verweichlichten Christenweibes spielte, die Omar ihr offenbar so gerne zugedacht hätte. So hatte sie eine Abmachung mit sich selbst getroffen: Sie orientierte sich an Harun, weil sie diesen riesigen, verwöhnten und verweichlichten Burschen instinktiv als das schwächste Glied in der Kette ansah. Robin hatte sich geschworen, nicht öfter als er nach ihrem Wasserschlauch zu greifen und auch nicht mehr zu trinken.
Ein Schwur, den sie schon hundertfach bereut hatte. Aber den sie auch nicht brechen würde. Es sei denn, es würde noch heißer. Oder Omar käme noch einmal zu ihr und wiederholte sein Angebot. Oder sie könnte Harun endlich beweisen, dass er nur aus dem einzigen Grund nicht trank: um sie zu quälen, denn zweifellos wusste er von dem Eid, den Robin sich selbst gegenüber abgelegt hatte, und ertrug die Qualen des unerträglichen Durstes nur, um ihr selbst noch größere Qualen zu bereiten und sich an ihrem Leid zu laben. Oder...
Schwielige Finger schlossen sich hart um ihr rechtes Handgelenk und rissen sie so derb in die Höhe, dass Robin vor Schmerz und Überraschung aufschrie. Ihr Herz hämmerte so heftig, dass es wehtat, und das leise Schwindelgefühl, das sie schon seit ihrem morgendlichen Aufbruch hatte, explodierte zu einer Woge von Übelkeit. Sie sank nach vorne und hätte sich übergeben, wäre in ihrem Magen noch irgendetwas gewesen, das sie hätte ausspucken können.
»Robin!«
Die Übelkeit verging. Der Schwindel und das Gefühl unerträglicher Hitze blieben, ebenso wie der schmerzhafte Druck auf ihr rechtes Handgelenk. So weit es die kräftig zupackende Hand zuließ, richtete sich Robin im Sattel auf, blinzelte die Tränen weg und blickte in eine zerfurchte Landschaft aus Falten und vom Sand grau gepuderter Haut, die sie erst nach weiteren drei oder vier Atemzügen als das Gesicht Harun al Dhins erkannte. Er sah zornig aus, dann begriff sie, dass es in Wahrheit Schrecken war, was sich auf seinen Zügen abmalte. Zugleich wurde ihr klar, warum er sie so unsanft am Handgelenk gepackt hielt: Sie war wieder einmal eingenickt, ohne es zu merken, und hätte er nicht im letzten Moment zugegriffen, dann wäre sie diesmal wirklich aus dem Sattel gefallen; ein Sturz von der Höhe des Kamelrückens herab auf den felsübersäten Boden wäre vermutlich nicht ohne Knochenbrüche oder Schlimmeres abgegangen.