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Dennoch wollte sich das Gefühl der Dankbarkeit, das sie jetzt empfinden sollte, nicht einstellen.

»Lasst mich los«, lallte sie mit schwerer Zunge.

»Erst, wenn ich sicher bin, dass du nicht gleich aus dem Sattel fällst«, sagte Harun in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.

Robin gab auf. Sie empfand immer noch einen absurden Trotz, aber sie war einfach zu müde, um selbst diesen kleinen Kampf auszufechten. Sie nickte.

Harun maß sie noch einen Moment lang mit Blicken, in denen Misstrauen und Sorge einen ungleichen Kampf fochten, dann ließ er sie vorsichtig los. Er blieb jedoch weiter in angespannter Haltung schräg auf seinem Kamel sitzen, das unmittelbar neben dem Robins einhertrottete, jederzeit bereit, wieder zuzugreifen, falls die Schwäche sie erneut übermannen sollte.

»Danke«, murmelte sie.

Aus irgendeinem Grund schien dieses Wort Harun zu ärgern. Er schüttelte den Kopf, murmelte irgendetwas auf Arabisch, das Robin gar nicht erst verstehen wollte, dann zerrte er mit einer ungeduldigen Bewegung seinen eigenen Wasserschlauch vom Sattel und schlug ihn ihr mit solcher Wucht vor die Brust, dass sie japsend nach Luft rang. »Hier! Und jetzt trink, du dummes Weib!«

Robin starrte den kaum noch zur Hälfte gefüllten Wasserschlauch verständnislos an. »Aber das ist... Euer Wasser«, murmelte sie.

»Du sollst trinken, habe ich gesagt!« Harun brachte das Kunststück fertig, zu schreien, ohne die Stimme zu heben oder auch nur einen Deut lauter zu werden. Seine Augen flammten vor Zorn. »Ich habe mir deine Albernheiten jetzt lange genug angesehen. Willst du dich umbringen, du verstocktes Kind?«

»Ich brauche kein Wasser«, beharrte Robin. Ihre Stimme war nur noch ein heiseres Krächzen, als wären auch ihre Stimmbänder ausgetrocknet und stünden kurz davor, einfach zu zerreißen, wie von der Sonne verbranntes Pergament. »Ich trinke nicht mehr als...«

»Als ich?« Harun lachte. Es klang böse. »Du hast uns allen bewiesen, was für ein tapferes Mädchen du bist. Jetzt beweis mir, dass du nicht auch ein genauso dummes Mädchen bist.«

Es dauerte einen Moment, bis Robin überhaupt begriff, was Harun gesagt hatte. Mühsam hob sie den Kopf und blinzelte in sein Gesicht, das noch immer vor Ärger verdunkelt war. »Aber woher...?«

»Ich das weiß?« Harun lachte erneut und diesmal klang es eher spöttisch als wütend. »Du hast Fieber, Mädchen. Und du gehörst zu denen, die im Fieber reden.«

»Reden?«, wiederholte Robin dumpf. Hatte sie etwa...?

Haruns Nicken beantwortete ihre unausgesprochene Frage. Sie hatte den gleichen Unsinn, den sie gerade im Hinüberdämmern gedacht hatte, wohl auch laut ausgesprochen. Der Gedanke war ihr so peinlich, dass sie spürte, wie ihr unter dem Schleier die Schamesröte ins Gesicht schoss. Trotzdem schüttelte sie noch einmal den Kopf und sagte: »Das kann ich nicht annehmen. Das ist Euer Wasser. Ich habe genauso viel wie Ihr.«

»Aber du brauchst es dringender«, beharrte Harun. Er hatte sowohl gestern als auch heute ebenso viel - oder wenig - wie Robin getrunken. Dabei war er ein sehr viel größerer, schwererer Mensch, der mehr Wasser brauchen sollte, es aber offensichtlich nicht tat. Robin fragte sich, woher er die Energie nahm, so zornig zu werden. »Jetzt sei vernünftig und trink. Es gibt keinen Grund, dich zu schämen. Ich bin in diesem Land aufgewachsen. Ich bin ein Teil der Wüste, und ich weiß, wie weit ich sie herausfordern kann oder nicht. Wir erreichen noch heute eine Oase, wo wir unsere Wasservorräte auffüllen können. Du brauchst also kein schlechtes Gewissen zu haben.«

Die letzte Behauptung war eine Lüge, das spürte Robin ganz genau.

»Dann kann ich genauso gut mein Wasser trinken«, murmelte sie.

»So gut wie das, was du schon in der Hand hast«, gab Harun zurück. Er änderte seine Taktik und versuchte es mit einem Lächeln. »Es ist keine Schande, der Wüste nicht gewachsen zu sein, weißt du? Ich habe schon gestandene Ritter zusammenbrechen und wie kleine Kinder nach ihren Müttern schreien hören, weil sie die Wüste unterschätzt haben.« Er seufzte. »Du wirst dem Mädchen nicht helfen können, wenn du tot bist oder dir der Durst den Verstand geraubt hat, weißt du?«

Robin gab endgültig auf. Nicht nur, weil Harun mit seiner letzten Bemerkung durchaus Recht hatte und sich ihr schlechtes Gewissen regte und sie daran erinnerte, dass sie schon seit einer geraumen Zeit weder an Nemeth gedacht, noch nach ihr gesehen hatte, sondern auch, weil sie mittlerweile wieder klar genug war, um sich zu erinnern, neben wem sie da eigentlich ritt. Harun würde sowieso keine Ruhe geben, bis sie entweder getrunken oder tot vom Kamel gefallen war. Mit vor Schwäche zitternden Händen öffnete sie den Verschluss des Wasserschlauches, setzte ihn an und musste mit aller Macht gegen den Impuls ankämpfen, das Wasser in großen, gierigen Schlucken herunterzustürzen.

Es war warm und schmeckte widerwärtig, aber zugleich war es köstlicher als der erlesenste Wein, den sie jemals getrunken hatte. Vorsichtig benetzte sie die Lippen mit wenigen Tropfen der kostbaren Flüssigkeit und verzog das Gesicht, als einige der kaum verschorften Risse darin wieder aufplatzten und zu bluten begannen. Dennoch widerstand sie dem Verlangen, die Hand zu heben und das Blut von ihren Lippen zu wischen; stattdessen leckte sie die wenigen Tropfen sorgsam auf und spülte mit einem weiteren, etwas größeren Schluck Wasser nach.

Es nutzte nicht viel, das war ihr klar. Sie hätte die zehnfache Menge dessen trinken müssen, was sich noch in Haruns Wasserschlauch befand, um ihren Durst wirklich zu löschen. Aber allein das Gefühl, dass statt kochender Luft nun Wasser ihre Kehle hinunterrann, war unendlich erleichternd. Sie machte eine Pause, in der sie sich zwang, langsam in Gedanken bis zwanzig zu zählen, dann trank sie einen dritten, noch größeren Schluck, verschloss sorgsam den Wasserschlauch und wollte ihn Harun zurückgeben.

Er schüttelte den Kopf. »Behalt ihn.«

»Das ist sehr großzügig, aber das kann ich nicht annehmen«, antwortete Robin. Sie war fast überrascht, wie leicht ihr die Worte plötzlich wieder von den Lippen gingen. Sie hatte immer noch das Gefühl, Fieber zu haben und innerlich ausgedörrt zu sein, aber die wenigen Schlucke abgestandenen, warmen Wassers hatten doch wahre Wunder bewirkt.

»Das wirst du wohl müssen«, antwortete Harun spöttisch. »Es sei denn, du legst Wert darauf, dass ich zu Omar reite und ihm sage, dass du dich wie ein verstocktes Kind benimmst.«

Das traute sie ihm durchaus zu. Sie zögerte trotzdem noch einen Moment, ehe sie mit einem Seufzer den Schlauch neben ihrem eigenen Wasservorrat am Sattel befestigte. Sein Anblick gab ihrem schlechten Gewissen erneut Nahrung. Harun meinte es gut, aber er beschämte sie auch.

Der Schrecken über diesen kleinen Zwischenfall hatte sie vollends wach werden lassen. Sie richtete sich so weit im Sattel auf, wie es ihr schmerzender Rücken zuließ, streifte Harun mit einem letzten, tadelnden Blick und sah dann hinter sich in die Richtung, in der Nemeth und ihre Mutter ritten. Die beiden saßen so eng aneinander gepresst im Sattel des Kamels, dass sie wie ein einziger, sonderbar missgestalteter Reiter wirkten. Sailas Kopf war nach vorne und auf den ihrer Tochter gesunken, und im allerersten Moment befürchtete Robin schon, dass sie das Bewusstsein verloren haben oder gar tot sein könnte.

Dann aber, als hätte sie ihren Blick gespürt, hob die Araberin langsam den Kopf und sah zu ihr herüber. Sie war viel zu weit entfernt, um ihr Gesicht zu erkennen, und darüber hinaus verschleiert, aber Robin spürte ihren Blick trotzdem. Es lag ein unausgesprochener Vorwurf darin, Schmerz und Verbitterung, aber auch eine Forderung, der sie sich nicht entziehen konnte. Sie schauderte, spürte plötzlich ein eisiges Frösteln und drehte den Kopf rasch wieder nach vorne.