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Aus der kurzzeitig aufgeflammten Hoffnung waren längst wieder Mutlosigkeit und Besorgnis geworden. Etwas stimmte mit dieser Festung nicht. War sie tatsächlich nur ein Schatten? Und hinter den Zinnen der gewaltigen Türme und der kaum weniger hohen Mauern wartete nichts weiter als Dunkelheit? Robin konnte die Größe des Gebäudekomplexes nicht einmal schätzen, aber er war groß; so groß, dass dort drinnen einfach irgendwo ein Licht brennen musste, selbst mitten in der Nacht. Dass dies nicht der Fall war, konnte nur zwei Erklärungen haben: Ihre Bewohner wollten nicht gesehen werden, oder es gab keine Bewohner. Sie vermochte nicht zu sagen, welcher Gedanke sie mehr beunruhigte. Aus dem Hochgefühl, mit dem sie der Anblick des so nahe liegenden Endes ihrer Reise erfüllt hatte, war längst wieder dumpfe Hoffnungslosigkeit und die Ahnung kommenden und vielleicht noch größeren Unheils geworden.

Das Rätsel löste sich, als sie sich der Wüstenfestung auf eine Meile oder weniger genähert hatten. Die regelmäßigen Schritte der Kamele erzeugten plötzlich ein anderes Echo, und als Robin nach unten sah, stellte sie fest, dass sie nicht mehr über feinkörnigen roten Wüstensand ritt, sondern über die Reste einer uralten, halb zerfallenen Straße, die aus großen und sorgsam geglätteten Steinen errichtet war. Und jetzt, wo sie einmal darauf aufmerksam geworden war, bemerkte sie auch noch mehr.

Rechts und links des erstaunlich breiten gepflasterten Weges erhoben sich weitere Umrisse aus dem Sand, die zu geometrisch und zu gleichmäßig waren, um von der Natur erschaffen worden zu sein. Hier eine zerbrochene Säule, dort ein Stück einer Mauer, da eine Türeinfassung, die der beharrlich scheuernde Wind aus einer Laune heraus stehen gelassen, die Wand, zu der sie gehörte, jedoch längst weggerissen hatte. Es war zu dunkel, um etwas über die Größe dieses Ruinenfeldes sagen zu können, aber Robin war doch ziemlich sicher, dass sie hier durch die Reste einer vielleicht schon vor mehr als einem Jahrhundert zerstörten Stadt ritten.

Etwas Ungutes ging von diesem Ruinenfeld aus, das sie fast körperlich spüren konnte. Unwillkürlich drehte sie sich halb im Sattel herum und sah zu Nemeth und ihrer Mutter hinüber, die unmittelbar hinter ihr ritten. Das Licht reichte jedoch nicht aus, um ihre Gesichter zu erkennen. Sie machte nur zwei fast miteinander verschmolzene Schemen aus, die im blassen Sternenlicht auf sonderbare Weise immer mehr an Substanz zu verlieren schienen. Ein eisiger Schauer lief wie eine Armee dürrer Spinnenbeine Robins Rücken hinab und sie drehte sich rasch wieder nach vorne und versuchte, den Gedanken dorthin zu verbannen, wo er hingehörte. Ihre Lage war schlimm genug. Es half niemandem und ihr am allerwenigsten, wenn sie sich selbst in Panik redete.

Harun, der wie üblich vor ihr ritt, ließ sein Kamel ein wenig langsamer gehen und lenkte es an den Rand der gepflasterten und zum Großteil mit Sand bedeckten Straße, bis Robin zu ihm aufgeholt hatte. Er lächelte ihr aufmunternd zu, doch Robin entging die Sorge in seinem Blick nicht. Zum ersten Mal wurde ihr richtig bewusst, in welch erbärmlichem Zustand sich Harun al Dhin befand. Er hatte in den vergangenen Tagen deutlich an Gewicht verloren - was nichts daran änderte, dass er noch immer ein unglaublich dicker Koloss war.

Aber ein Koloss, der litt. Harun hatte sich beharrlich geweigert, sein Wasser zurückzunehmen, und Robin konnte sich auch nicht erinnern, ihn seither auch nur ein einziges Mal etwas trinken gesehen zu haben.

»Geht es dir gut?«, fragte Harun.

Robin war selbst zu müde, um zu nicken, sie sah ihn nur an, um eine Bejahung anzudeuten, aber das schien Harun nicht zu genügen. »Wenn dieser Narr Omar Khalid nicht schon tausendfach den Tod verdient hätte, dann würde ich ihm jetzt die Pest an den Hals wünschen, allein, weil er dir das antut«, grollte er.

»Es ist... nicht so schlimm«, behauptete Robin. Schon der Nachhall ihrer eigenen Stimme machte ihr klar, wie lächerlich diese Behauptung war. Dennoch fügte sie hinzu: »Ich habe schon Schlimmeres durchgestanden.«

»Daran zweifle ich nicht«, antwortete Harun ohne die mindeste Spur von Spott. »Aber Schlimmeres und so etwas: Das ist ein Unterschied, glaub mir.« Er wartete einen Moment vergebens darauf, dass Robin etwas entgegnete; schließlich hob er die Schultern und wandte den Blick wieder nach vorne. Sein Kamel ließ er nicht wieder antraben, sondern hielt es weiterhin neben Robins Tier.

Offenbar hatte er beschlossen, das letzte Stück des Weges unmittelbar neben ihr zurückzulegen. Statt sich wegen seiner Fürsorge zu ärgern - wie sie es sonst getan hätte -, empfand sie fast so etwas wie Freude. Vielleicht, weil sie mittlerweile so weit war, auch sich selbst gegenüber zuzugeben, dass sie dringend auf Hilfe angewiesen war, vielleicht aber auch, weil sie sich schlicht und einfach nach einem vertrauten Menschen in ihrer Nähe sehnte.

Nach einer Weile fiel ihr auf, dass Harun den schwarzen Umriss der Festung vor ihnen unverwandt anstarrte. Es war schwer, in dem schwachen Licht und unter all den Spuren von Erschöpfung und Schmutz auf seinem Gesicht irgendeine Regung zu erkennen, aber er sah nicht begeistert aus.

»Ihr kennt diese Stadt?«, vermutete Robin.

Harun löste seinen Blick nicht von dem kantigen, schwarzen Flecken in der Nacht und nickte nur. »Omar scheint noch verzweifelter zu sein, als ich angenommen habe«, sagte er kopfschüttelnd. »Oder er hat endgültig den Verstand verloren.«

»Ihr kennt diesen Ort«, sagte Robin noch einmal. Diesmal war es keine Frage, sondern eine Feststellung.

»Qasr al-Hir al-Gharbi«, murmelte Harun. »Das ist kein guter Ort.«

»Wer lebt hier?«, fragte Robin. Haruns Antwort überraschte sie nicht im Geringsten, aber sie gab ihrer Furcht noch mehr Nahrung.

»Niemand. Aber das heißt nicht, dass er verlassen ist.«

»Aha«, sagte Robin.

Sie hatte es sogar irgendwie fertig gebracht, das Wort spöttisch klingen zu lassen, doch als Harun den Kopf drehte und sie ansah, da wirkte er so ernst und erschrocken, dass ihr erneut ein kalter Schauer über den Rücken rann. »Jeder kennt diesen Ort, obwohl kaum jemand je hier gewesen ist. Er ist verflucht. Nur Verrückte oder Lebensmüde wagen sich hierher. Oder Männer, die völlig verzweifelt sind.«

»Verflucht?« Robin unterdrückte ganz bewusst den Impuls, wieder zur Festung hinzusehen, und Harun fuhr in leisem, bitterernstem Tonfall fort: »Manche nennen ihn auch das Grab der Karawanen, weißt du? Mehr als eine Karawane hat hier schon Rast gemacht, von der hinterher nie wieder jemand gehört oder irgendeine Spur gefunden hätte. Diese Stadt und der Palast wurden schon vor langer Zeit von ihren Bewohnern verlassen. Jetzt gehören sie der Erinnerung und den Geistern. Es ist nicht gut, sie zu stören. Omar sollte das wissen.«

Und wieder lief Robin ein eiskalter Schauer über den Rücken: Ein Schrecken hatte sich mit Haruns Worten in ihre Seele geschlichen, der sie langsam zu vergiften begann. Sie versuchte vergeblich, die Worte des Tanzlehrers als das zu werten, was sie vermutlich darstellten: Geschichten, mit denen Männer beim Wein im Gasthaus prahlten oder wie sie Mütter ihren kleinen Kindern abends am Feuer erzählten, damit sie nicht auf die Idee kamen, nachts heimlich das Haus zu verlassen.

Zweifellos war nichts daran. Robin glaubte nicht an Geister, und schon gar nicht passten magische Flüche in ihr Weltbild. Dennoch machte ihr der klobige schwarze Schatten, der in der Dunkelheit vor ihnen emporwuchs, plötzlich Angst.

Ihr Gefühl wurde nicht besser, als sie die Ruine der uralten Festung endlich erreichten. Wie ein gewaltiger, von Menschenhand erschaffener Berg erhob sich ein riesiges Mauerngeviert mit eingefallenen Ecktürmen vor ihnen in den Himmel, scheinbar ebenso hoch und ungleich beeindruckender. Aus der Nähe betrachtet und im flackernden Licht der Fackeln wirkte die Festung zwar ebenso alt und zerfallen wie die Stadt, über die sie einst gewacht hatte, aber noch immer Ehrfurcht gebietend.