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Die Spitze der Kolonne ritt durch ein gewaltiges Bogentor, das fast unbeschädigt geblieben war und von zwei halbrunden Türmen flankiert wurde, die einen Großteil ihrer Zinnen eingebüßt hatten. Der Torbogen, der mit prächtigen, wenngleich ebenfalls verwitterten Steinmetzarbeiten geschmückt war, spannte sich mindestens drei oder vier Manneslängen über ihnen. Selbst ein Reiter mit aufgepflanzter Lanze hätte keine Mühe gehabt, ihn zu passieren.

Als Robin darunter hindurchritt, bemerkte sie die schreckliche Zerstörung in den einstmals kunstvoll gearbeiteten Reliefs: Die Köpfe sämtlicher Figuren waren zerschmettert. Was mochten die Bewohner dieses Palastes getan haben, dass sie einen solchen Zorn auf sich gezogen hatten? Warum hatte man nicht einmal ihre Steinbilder unversehrt gelassen? Schaudernd fragte sich Robin, wer diese Festung mitten in der Wüste erbaut hatte und wer sie erobert haben mochte. Jetzt verstand sie auch Haruns Worte und die besorgten Blicke, die er nach rechts und links warf.

Aber Geister hin oder her, sie waren nun einmal hier und die gewaltigen Mauern, die sie umgaben, boten wenigstens Schutz vor dem schneidenden Wind, der die vergangenen Nächte zur Qual gemacht hatte. Robin ließ ihr Kamel weitertrotten und wartete, bis sich das Tier von selbst einen Platz gesucht hatte und sich auf seine umständliche Art zu Boden sinken ließ.

Müde kletterte sie aus dem Sattel und sah sich nach Harun um. Sonderbarerweise war er verschwunden, als hätte er sich einfach in den Schatten aufgelöst, kaum dass sie durch das gewaltige Tor geritten waren. Aber dann hörte sie seine weinerliche Stimme irgendwo weiter hinten auf dem Hof und trotz allem stahl sich ein müdes Lächeln auf ihre Lippen, als sie heraushörte, dass er sich wieder einmal über die schlechte Verpflegung und die respektlose Behandlung, die man seiner Person angedeihen ließ, beschwerte.

Als Haruns Klagen verhallt waren, schlurfte Robin mit hängenden Schultern dorthin, wo Saila und Nemeth sich einen Schlafplatz gesucht hatten. Wie sich zeigte, war ihre Sorge um die beiden völlig unbegründet gewesen. Saila wirkte so müde und ausgelaugt wie alle hier, aber die Energie ihrer Tochter war ungebrochen. Sie stürmte auf Robin zu, breitete die Arme aus und hätte sie wohl von den Füßen gerissen, hätte ihre Mutter sie nicht im allerletzten Moment mit einem scharfen Befehl zurückgerufen.

Robin schenkte Saila ein rasches, dankbares Lächeln, wandte sich ganz zu Nemeth um und widerstand im letzten Moment dem Impuls, sich in die Hocke sinken zu lassen, um mit dem Mädchen zu reden. Sie war nicht ganz sicher, ob sie die Kraft gehabt hätte, sich wieder aufzurichten.

»Sind wir da?«, sprudelte Nemeth hervor. »Ist das unser neuer Palast?«

Im ersten Moment war Robin so verblüfft, dass sie gar nicht antwortete. Nemeth wollte sie nicht auf den Arm nehmen, sondern stellte diese Frage allen Ernstes. Für sie war diese zerfallene Ruine ein Palast, vielleicht, weil sie - mit Ausnahme von Omar Khalids Haus - noch nie ein Gebäude solcher Größe aus der Nähe gesehen hatte. »Ich fürchte, nein«, sagte sie schließlich. »Ein kleines Stück werden wir wohl noch reiten müssen. Aber für heute ist es genug.«

Nemeth machte ein enttäuschtes Gesicht, dem man aber zugleich auch ansah, wie aufregend sie diese Umgebung trotz allem fand. Robin spürte jedoch auch den Blick ihrer Mutter. Sie sah hoch.

»Das hier ist also Qasr al-Hir al-Gharbi«, murmelte Saila. Robin nickte, und die Furcht in den dunklen Augen der Araberin bekam neue Nahrung. Aber sie sagte nichts, sondern blickte nur einen Moment stumm auf ihre Tochter hinab und drehte sich dann weg, um das Gepäck von ihrem Kamel zu laden.

»Ach, verzeiht, Herrin«, sagte Nemeth aufgeräumt. »Ich habe ja noch gar nicht angefangen, mich um Euer Essen zu kümmern. Ich bin eine schlechte Dienerin.«

»Du bist die beste, die ich mir nur wünschen kann«, antwortete Robin. »Und was das Essen angeht, zerbrich dir nicht den Kopf. Ich bin nicht hungrig.«

»Aber Ihr müsst etwas essen«, beharrte Nemeth. »Ich werde Euch sofort etwas holen.«

Der Gedanke, Nemeth allein hier herumlaufen zu lassen, gefiel Robin nicht, aber sie hielt das Mädchen auch nicht zurück, als es davonstürmte. Was sollte schon passieren? So weit sie sehen konnte, war der Burghof an allen Seiten von Mauern umschlossen, an die sich die Reste halb zerfallener Ställe, Schuppen und anderer Gebäude lehnten. Überall waren Omar Khalids und Mussas Männer damit beschäftigt, ihre Kamele zu entladen, Feuer zu entzünden oder andere Vorbereitungen für die Nacht zu treffen. Eine Hand voll fremder Söldner war bereits auf dem Weg nach oben, um auf den zerstörten Wehrgängen Posten zu beziehen. Bei all diesen Menschen würde Nemeth kaum verloren gehen.

Sie kehrte wieder zu ihrem Kamel zurück und lehnte sich mit untergeschlagenen Beinen gegen den Sattel des Tieres. Sie wünschte, sie könnte auf der Stelle einschlafen. Aber es ging nicht. Eine Art innere Anspannung hinderte sie gerade jetzt daran, wo ihr nicht mehr die Gefahr drohte, dass sie aus dem Sattel fiel und sich den Hals brach. Vielleicht lag es daran, dass jetzt nicht nur ihre Kehle schmerzte, sondern auch ihr Kopf dröhnte und ihr Magen zu knurren anfing - auch wenn sie gerade noch geglaubt hatte, nicht hungrig zu sein. Irgendwie hatte sie immer noch das Gefühl, dass die Welt im Takt eines schaukelnden Kameles von links nach rechts und wieder zurückkippte.

Sie musste aber doch eingeschlafen sein, denn plötzlich stand Omar wie aus dem Boden gewachsen neben ihr. Nur ein kleines Stück von ihm entfernt brannte ein Feuer, an dem Saila kniete und mit steinernem Gesicht in einem Suppenkessel rührte. Ihre Augen waren leer. Sie vermied es fast krampfhaft, den Mann anzusehen, der sie und ihre Familie in die Sklaverei verschleppt hatte.

»Komme ich ungelegen, holde Wüstenblume?«, fragte Omar aufgeräumt.

Weniger die Worte als vielmehr der entspannte, fast fröhliche Ton, in dem er die Frage stellte, ließen Robin müde den Kopf heben und in sein Gesicht hinaufsehen. Sie bemerkte, dass Omar nicht allein gekommen war. Hinter ihm stand sein Leibwächter, wie immer stumm und lautlos und in der Nacht fast unsichtbar wie ein Schatten, und ein Stück neben diesem erkannte sie Mussa, den Söldnerführer.

Robin hätte nichts lieber getan, als seine Frage mit einem eindeutigen Ja zu beantworten - sie war so entsetzlich müde wie wohl noch nie zuvor in ihrem Leben -, aber da war etwas in Omars Blick, was sie neugierig machte. Sie deutete ein Kopfschütteln an und wollte aufstehen, aber Omar winkte ab und ließ sich ihr gegenüber im Schneidersitz nieder. Mussa tat es ihm gleich, während Omars Leibwächter wie eine Statue aus gemeißeltem Schwarz reglos stehen blieb.

»Du bist doch sicher durstig?«

Der Sklavenhändler reichte Robin einen Becher. Sie griff automatisch danach und trank gierig einen großen Schluck, ohne auch nur nachzudenken. Im nächsten Moment hustete sie und hätte die kostbare Flüssigkeit um ein Haar wieder herausgesprudelt, denn es war kein Wasser, sondern süßer, klebriger Dattelwein. Sie spürte jedoch Omars amüsierte Blicke, würgte den Schluck tapfer herunter und trank auch noch den Rest, der sich im Becher befand, ehe sie ihn zurückreichte.

»Danke«, sagte sie. »Aber verbessert mich, wenn ich mich irre, edler Omar Khalid: Verbietet Allah nicht den Genuss von Alkohol?«

Mussas Gesicht verdüsterte sich, aber Omar lachte nur leise. »Normalerweise schon«, sagte er. »Aber wir sind hier im Niemandsland. Ich werde morgen ein zusätzliches Gebet sprechen und um Vergebung bitten, und ich glaube, dass Allah und der Prophet Verständnis haben werden. Außerdem haben wir etwas zu feiern.«

»Ach?«, fragte Robin.

»Durchaus.« Omar nickte aufgeräumt, setzte den Becher an die Lippen und machte ein enttäuschtes Gesicht, als er feststellte, dass er leer war. Sein Leibwächter wollte sich vorbeugen und die Hand ausstrecken, aber Omar lehnte ab und winkte Nemeth herbei. »Du da, Mädchen!«