Nemeth kam gehorsam heran, wich seinem Blick aber genauso aus wie ihre Mutter und starrte voller Unbehagen auf ihre nackten Zehenspitzen.
»Geh zu meinem Kamel und sag dem Mann, der es bewacht, er soll den Becher wieder auffüllen«, befahl Omar, während er Nemeth das tönerne Trinkgefäß in die Hand drückte. »Und gib Acht, dass du nichts davon verschüttest. Lauf langsam!«
Nemeth verschwand wie der Blitz und Omar drehte sich wieder zu Robin herum. Er setzte gerade dazu an, etwas zu sagen, als er abermals den Kopf wandte, diesmal aber in Richtung des Feuers, das Saila entfacht hatte. »Was kochst du da, Weib?«
»Eine Suppe«, antwortete Saila. »Ich fürchte, sie wird Euren Ansprüchen nicht genügen, aber wir müssen mit unseren Vorräten haushalten.«
»Du bist zu bescheiden«, antwortete Omar. »Sie riecht jedenfalls köstlich.«
»Und vermutlich schmeckt sie genauso gut«, sagte Robin. »Saila ist eine hervorragende Köchin. Ich muss mich noch einmal bei Euch bedanken, dass Ihr sie mir geschenkt habt.«
Saila fuhr bei diesen Worten fast unmerklich zusammen und auch Omar wandte mit einem Ruck den Kopf und starrte sie einen Herzschlag lang aus zusammengekniffenen Augen an. Der Blick des Söldnerführers wanderte mehrmals und erwartungsvoll zwischen Omar Khalid und Robin hin und her, aber der Sklavenhändler ging auf Robins Bemerkung nicht ein, sondern zuckte schließlich nur mit den Schultern.
»So, wie es duftet, wirst du wohl Recht haben«, sagte er. »Bring mir einen Teller von deiner Suppe, Sklavin!«
Saila gehorchte und brachte Omar eine Schale der dünnen, scharf riechenden Gemüsesuppe sowie einen hölzernen Löffel. Der Sklavenhändler kostete, verzog das Gesicht - die Suppe war heiß - und nickte dann anerkennend.
»Die Ungläubige hat Recht«, sagte er im Tonfall gespielter Überraschung. »Es schmeckt ganz ausgezeichnet. Es ist erstaunlich, wie gut manchmal gerade die einfachen Dinge des Lebens sind, wenn man sie nur lange genug vermisst.« Er wedelte mit der freien Hand. »Bring Mussa und meinem Begleiter auch eine Schale. Und Brot dazu.«
Saila gehorchte, immer noch schweigend und weiterhin bemüht, jeden Blick in Omars Richtung zu vermeiden. Omar Khalids Leibwächter, Mussa und als Letzte auch Robin bekamen eine Schale Suppe. Robin registrierte matt, dass der Topf über dem Feuer damit leer war. Saila selbst und Nemeth würden an diesem Abend mit knurrendem Magen schlafen gehen. Sie sagte nichts dazu. Omar hatte seine beiden Begleiter zweifellos aus keinem anderen Grund aufgefordert, von der Suppe zu essen, als um genau das zu erreichen und Robin damit zu treffen. Sie würde ihm zu allem Überfluss nicht auch noch die Genugtuung geben, sich anmerken zu lassen, wie gut sein Plan aufgegangen war.
»Sagtet Ihr nicht, es gäbe einen Grund zu feiern?«, fragte Robin, als sie zu Ende gegessen hatten und Saila die Gelegenheit nutzte, die schmutzigen Schüsseln fortzutragen und sich dabei unauffällig zurückzuziehen.
»Mussa hier hat eine wahre Meisterleistung vollbracht«, antwortete Omar. Er lachte, schlug dem kleineren Mann derb auf die Schulter und lachte noch lauter, als Mussa das Gesicht verzog und ihm einen drohenden Blick zuwarf. »Ich übertreibe nicht! Wir sind weit abseits aller üblichen Karawanenrouten und sogar abseits der kärgsten Weidegebiete wandernder Beduinenstämme. Einen Weg hierher zu finden, und dabei nicht einen einzigen Mann und nicht ein einziges Tier zu verlieren, das ist schon eine Leistung. Dieser Tag ist es durchaus wert, ein Fest zu feiern. Wir sind in Sicherheit. Niemand wird uns hierher folgen.«
»Wegen der Geister, die hier leben?«
Omar wirkte für einen Moment verblüfft, aber dann lachte er. »Ah, ich verstehe. Du hast mit Harun al Dhin gesprochen.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, nicht wegen der Geister. Aber wir haben heute im Laufe des Nachmittags einen Punkt überschritten, jenseits dessen uns die Assassinen nicht mehr gefährlich werden können.«
»Wieso?«
»Weil wir viel zu tief in der Wüste sind«, antwortete Omar. »Wir sind in der heißesten Jahreszeit überhaupt unterwegs. Und es gibt in weitem Umkreis kein Wasserloch, keinen Brunnen und erst recht keinen Fluss mehr, der Wasser führt. Pferde, wie sie die Assassinen benutzen, sind nicht so ausdauernd wie unsere Kamele. Sie ertragen die Hitze nicht so gut und brauchen regelmäßig Wasser. Nur wenn unsere Verfolger bis spätestens zur Mittagsstunde nach Westen abgebogen sind, dürfen sie überhaupt noch hoffen, dass ihre Pferde dem Wüstentod entgehen. Und damit sie selbst.«
»Aha«, sagte Robin. »Und wenn die Assassinen keine Pferde haben, sondern Kamele?«
»Kaum«, antwortete Omar lächelnd. Er warf Mussa neben sich einen fast verschwörerischen Blick zu. »Ich habe dafür gesorgt, dass jedermann in der Karawanserei in Hama wusste, dass wir auf dem Weg nach Damaskus sind. Eine Route, auf der man keine Kamele braucht. Ganz im Gegenteiclass="underline" Eine Schar von Reitern hätte uns auf dieser Strecke mit Leichtigkeit einholen können.«
»Aber sie müssen doch gemerkt haben, dass sich die Karawane nicht auf dem Weg nach Damaskus befindet.«
»Nicht sofort«, antwortete Omar. »Später vielleicht. Wahrscheinlich sogar - die Assassinen sind nicht dumm. Aber nachdem wir den Orontes überquert haben und in die Wüste geritten sind, befanden wir uns in einer Gegend, in der es nur noch kleine Dörfer gibt. Dort bekommt man vielleicht Esel, vielleicht auch ein paar alte Klepper, die gerade noch zur Arbeit auf dem Feld gut sind, aber kaum Kamele. Sie hätten also nach Hama zurück oder sogar nach Homs reiten müssen, um sich Kamele zu besorgen, und dann wieder zurück bis an die Furt, um unsere Spur aufzunehmen. Wir sind so oder so in Sicherheit.«
»Aber wenn sie den Plan durchschauen...?«
Omar lachte leise auf. »Wenn sie unseren Plan durchschaut und sich Kamele besorgt haben, müssen sie mindestens einen Tag verloren haben, und damit auch unsere Spur. Und falls sie uns immer noch folgen, dann werden wir in Palmyra das Verwirrspiel noch einmal wiederholen. Ich werde erneut nach Süden reiten und das Gerücht verbreiten lassen, ich wäre auf dem Weg nach Damaskus. Im Sandmeer der Wüste werden wir dann einen weiten Bogen schlagen und unserem wirklichen Reiseziel weit oben im Norden entgegenstreben. Ein halber Tag in der Wüste reicht, um die Spuren selbst einer so großen Karawane wie der unseren im Sand zu verwischen. Dann ist es, als würdest du einen Feind über das Salzmeer verfolgen. Du hast keine Fährte, und wenn du ihn finden willst, dann kannst du allein auf Allahs Hilfe vertrauen.« Omar grinste. »Oder darauf, dass du vielleicht sein wirkliches Reiseziel kennst.«
»Und welches wäre das?«, fragte Robin.
Der Sklavenhändler schüttelte lächelnd den Kopf. »Das weiß nur ich allein. Nicht einmal Mussa kennt das Ziel unserer Reise. Es ist besser so, zumindest bis sicher ist, dass die Assassinen ihre Verfolgung endgültig aufgegeben haben.«
»Und wenn Ihr Euch täuscht?«, fragte Robin. »Wie könnt Ihr so sicher sein, dass die Assassinen sich nicht mit ein paar wenigen Kamelen begnügen?«
»Wir sind mehr als fünfzig«, gab Mussa zu bedenken.
Robin schüttelte den Kopf. »Es heißt doch, sie sind so unbesiegbare Kämpfer.«
Der Söldnerführer stieß verächtlich die Luft aus. »Das mögen sie sein«, antwortete er. »Aber ihre Macht beruht vor allem auf der Furcht, die sie in die Herzen der Menschen streuen. Sie sind keine Dschinn. Sie sind einfach nur Männer aus Fleisch und Blut.«
Robin dachte an die Geschichten, die Naida über die Hashashin erzählt hatte, und vor allem an das, was Omar und sie selbst erlebt hatten. Mussa schien ihre Zweifel zu bemerken, er schüttelte den Kopf und fuhr fort: »Als kleiner Junge habe ich selbst gesehen, wie sich die Straßen von Damaskus rot vom Blut der Assassinen gefärbt haben. Der neue Atabeg von Damaskus, Tadsch el-Mulk Buri, gab gleich zu Beginn seiner Herrschaft den Befehl, jeden Assassinen zu töten, dessen man habhaft werden konnte, und er wurde ausgeführt. Glaub mir, wenn man sie schneidet, dann bluten sie wie du und ich, Christenweib.«