Er schwenkte die Fackel zurück, sodass das Licht nun auf der unverschleierten Frauengestalt ruhte.
»Es war Melikae, die Tochter des Scheichs Bahram. Sie war von solcher Schönheit, dass neben ihr selbst die Sonne verblasste. Hisham umwarb sie, doch sie, die ihr Leben nur im Wüstensand und unter Ziegen und Schafen verbracht hatte, wies ihn zurück. Hisham hätte mit einer Handbewegung für jeden der Männer des Scheichs Bahram hundert seiner Krieger aufbieten können, und er hätte vermocht, sich mit Gewalt zu holen, was er wollte, aber er tat es nicht. Er wollte Melikaes Herz gewinnen.«
»Dann war er ein sehr ungewöhnlicher Mann«, sagte Robin.
Omar schüttelte den Kopf, während er das Bildnis der vor Jahrhunderten verstorbenen Melikae ansah. »Oh, so ungewöhnlich nun wieder nicht. Ich glaube, er war eher ein sehr kluger Mann. Nur Dummköpfe glauben, dass sie sich alles mit Gewalt nehmen können, nur weil sie in der Lage dazu wären. Was nutzt dir der größte Schatz, den du dir mit Gewalt nimmst, wenn du das kleine Geschenk, das du haben möchtest, nie bekommst?«
Das war deutlich, dachte Robin, doch vermied sie es, Omars Geschichte zu deuten.
Der Sklavenhändler wartete einen Moment vergebens auf eine Antwort, dann fuhr er mit seiner Erzählung fort: »Unglücklich kehrte er in seinen Palast zurück. Doch seit er Melikae erblickt hatte, vermochte er keine Schönheit ohne Makel mehr zu sehen, denn er hatte Vollkommenheit erblickt, das Reinste und Edelste, was Allah in seiner Weisheit je erschaffen hat, und so musste ihm von nun an alles andere fade und hässlich erscheinen. In seinem Unglück ritt er in die Einsamkeit der Wüste hinaus. Dort traf er einen alten Mann, den die Weisheit Allahs erleuchtet hatte, und klagte ihm sein trauriges Los. Der Alte hörte ihm geduldig zu, dann erklärte er ihm, Melikae hätte wohl allein aus Angst das Werben des Kalifen ausgeschlagen. Das Volk der Wüste sei seltsam und anders als alle anderen Menschen. So, wie normale Männer es nicht überleben, wenn sie sich zu lange dem Atem der Wüste aussetzen, so können Beduinen nicht in Städten leben. Sie würden dort eingehen, wie eine Blume, der man das Wasser verwehrt.
Darauf ritt Hisham noch tiefer in die Wüste und nutzte seine Macht, um den König der Dschinn herbeizurufen. Und von diesem verlangte er, dass er einen Palast mit Gärten inmitten der Wüste erschaffen solle, damit er, Hisham, einen Palast habe, von wo aus er regieren könne, wie es sich für den Beherrscher aller Gläubigen gezieme, und zugleich Melikae ihre geliebte Wüste nicht verlassen müsste. Der König der Dschinn willigte ein. Doch Hisham musste - wie jeder, der einen Handel mit den Geistern abschließt - einen Preis entrichten.
Und sein Preis war, dass von nun an jeder mit falscher Zunge von ihm und seinen Taten reden würde. Alles Gute, was er bewirkt hatte, sollte als verwerflich empfunden werden, seine Gnade aber als Grausamkeit. Ein wahrhaft hoher Preis, doch Hisham dachte sich, dies sei ein geringes Übel, verglichen mit dem Glück, das aus seiner Liebe zu Melikae erwachsen würde. Also kehrte Hisham in das Lager der Beduinen zurück und bat Melikae, ihm ein Stück weit in die Wüste zu folgen. Dort zeigte er ihr den wunderbaren Palast mit Kuppeln im zarten Blau des Morgenhimmels, Säulen weiß wie Elfenbein und Gärten so weitläufig, dass man sie an einem Tag nicht ganz durchwandern konnte. Und er erklärte ihr feierlich, all dies bedeute ihm nichts im Vergleich zu ihrer Schönheit, und er wolle ihr den Palast und die Gärten schenken und sei der glücklichste Mann auf Erden, wenn sie dort an seiner Seite leben würde. Doch wenn sein Anblick ihr unerträglich sei und sie in ihrem Herzen keine Liebe für ihn empfinden könnte, dann wollte er dorthin ziehen und sie nie wieder mit seinem Liebeswerben behelligen.
Daraufhin gestand Melikae ihm, dass auch sie vom ersten Augenblick an von seiner Schönheit und Kraft gerührt gewesen sei, doch Angst gehabt habe, ihm in die Stadt zu folgen, denn von alters her sei es so, dass das Volk der Wüste dort vergehen müsse. Doch nicht den eigenen Tod hätte sie gefürchtet, sondern ihre schlimmste Angst sei es gewesen, den Beherrscher aller Gläubigen nach ihrem allzu frühen Tod mit gebrochenem Herzen zurückzulassen.
Nachdem nun auch Melikae ihm ihre Liebe eingestanden hatte, feierten die beiden Hochzeit, und sie lebten in vollkommenem Glück. Doch mit der Zeit berichtete man dem Kalifen, wie sich sein Volk gegen ihn empörte, und dass man ihn einen Ungläubigen und einen Tyrannen nannte. So weit kam es, dass sich sein eigener Bruder gegen Hisham erhob und den Thron in Bagdad forderte. So musste Hisham schließlich sein verwunschenes Schloss in der Wüste verlassen und zog mit einer großen Heeresmacht gegen seinen eigenen Bruder.
Vor den Toren von Bagdad kam es zur Schlacht und so gewaltig waren die Heerscharen, die die verfeindeten Brüder ins Feld führten, dass die Kämpfe drei Tage und Nächte dauerten und es lange ungewiss blieb, wer als Sieger hervorgehen würde. In der Hitze der Schlacht verlor Hisham sogar das grüne Banner des Propheten, das stets an der Seite des Kalifen in den Kampf getragen wird. Dies sah Bahram, der Vater Melikaes, und voller Verzweiflung, weil er alles verloren glaubte, kehrte er in die Wüste zurück und berichtete seiner Tochter, das Banner des Propheten sei gefallen und der Kalif von Verrätern erschlagen.
Wie von Sinnen vor Schmerz zerriss sich Melikae ihre seidenen Gewänder und flüchtete in den Garten, den Hisham ihr geschenkt hatte. Nur wenigen Stunden nach Bahram trat der siegreiche Hisham in seinen Palast ein, und als er hörte, was geschehen war, da lief er voller Angst in die Gärten und suchte nach seiner Geliebten. Er fand sie bei einer Quelle, an der ein Rosenbusch wuchs. Sie hatte sich einen goldenen Dolch ins Herz gestoßen, und ihr Blut hatte sich mit dem kristallklaren Wasser vermengt.
Es heißt, dass auch Hisham starb, als er seine tote Geliebte in den Armen hielt, und auch, wenn sein Körper noch lange auf Erden wandelte, so war er doch nicht mehr er selbst. Er sandte das grüne Banner des Propheten seinem Bruder und überließ ihm auch den Thron in Bagdad. Dann sammelte er seine Getreuen um sich und wählte sich als neues Feldzeichen ein schwarzes Banner, und schwarz waren auch die Gewänder, die er und seine Krieger von nun an trugen. Sie zogen Richtung Abend und drangen bis tief in die Königreiche der Franken ein. Doch obwohl Hisham stets dort focht, wo die Schlacht am blutigsten war, fand kein Speer, kein Schwert und kein Pfeil sein Herz, um ihm endlich Frieden zu schenken.
Und als er begriff, dass der Tod nur jene aufsuchte, die an seiner Seite ritten, fanden seine Getreuen an einem Morgen sein Zelt leer, und niemand weiß, wohin Hisham gegangen ist. Nur manchmal erzählen Reisende, die mit knapper Not dem Wüstentod entronnen sind, sie hätten dort, wo die Wüste am tödlichsten für einen Menschen ist, wo es nicht einmal mehr Schlangen und Skorpione gibt, in der Ferne einen schwarz gewandeten Reiter gesehen. Einen alten Mann mit unendlich traurigem Gesicht, der ihnen in der Stunde zwischen Leben und Tod verraten habe, wo sie Wasser finden könnten.«
Omar war zu Ende gekommen und schwieg. Für eine Weile breitete sich eine sonderbare, fast vertraute Stille zwischen ihnen aus, als hätte Omar mit dieser kleinen Geschichte eine Tür zwischen ihnen aufgestoßen, deren Vorhandensein Robin ganz tief in sich stets gespürt, die zu sehen sie sich aber stets geweigert hatte. Alles in ihr sträubte sich gegen die Einsicht, aber sie konnte nicht anders: Sie hasste und verabscheute Omar noch immer, aber zugleich begriff sie, dass er trotz allem auch ein sehr empfindsamer Mann war, jemand, der Liebe und Vertrauen brauchte wie andere Menschen auch und der vielleicht sogar in der Lage war, das Gleiche zu geben.