»Das ist... eine sehr traurige Geschichte«, sagte sie endlich. »Aber auch eine sehr schöne.«
Omar nickte. Er schwieg. Er sah sie immer noch nicht an.
»Warum habt Ihr sie mir erzählt?«
»Dies sind die Ruinen von Qasr al-Hir al-Gharbi, dem Palast, den Hisham einst der wunderschönen Melikae schenkte«, antwortete Omar, »Und so, wie der Zauber Melikaes einst das Herz Hishams berührt hat, so hat auch vielleicht der Zauber eines kleinen Christenmädchens das des Mannes berührt, der sich selbst bisher für hart und unberührbar gehalten hat.«
Robin schloss die Augen. Sie hasste sich dafür, dass ein Teil von ihr von Anfang an auf genau diese Worte gewartet hatte.
Omar drehte sich zu ihr herum. Er ließ die Fackel sinken und sah ihr ruhig in die Augen. »Vom allerersten Moment an, in dem er sie in einem kleinen Fischerdorf an der Küste gesehen hat.«
»Omar Khalid, Ihr seid...«
»Ich weiß, was ich bin«, unterbrach sie Omar - weder in zornigem noch in herrischem Ton, sondern leise und fast bedauernd. Und traurig. »Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, wenn es das ist, was du hören willst, Robin. Ich weiß, was ich getan habe, und ich weiß, was ich vielleicht noch tun werde. Nichts davon tut mir Leid. Nichts außer dem, was ich dir angetan habe. Könnte ich es ungeschehen machen, indem ich mir meine rechte Hand abschneide, glaube mir, ich würde es tun.« Er schien es wirklich ernst zu meinen. »Ich... ich war verwirrt. Erschrocken über das, was du in mir geweckt hast, und ich wollte wohl nicht zugeben, mich in eine Sklavin und obendrein in eine Ungläubige verliebt zu haben.«
»Ihr übertreibt, Herr«, sagte Robin. »Ich bin Eurer nicht würdig. Ihr könnt Frauen haben, die...«
»... hundertmal schöner sind als du, ich weiß. Frauen von edler Herkunft, Frauen die reich sind, oder beides. Ich kann sie mir kaufen. Die meisten kann ich mir einfach nehmen, aber dich nicht.«
»Und deshalb glaubt Ihr, in mich verliebt zu sein?«, hörte sich Robin sagen. »Vielleicht begehrt Ihr mich nur, weil Ihr alles begehrt, was Ihr nicht haben könnt.«
Ihre Worte hatten ihn nicht wütend gemacht. Er sah sie nur weiter auf diese seltsam traurige, vorwurfsvolle Art an - ein Vorwurf, der nicht ihr, sondern ihm selbst galt -, schüttelte den Kopf und seufzte wieder. Er hob die Fackel, hielt die andere Hand über die Flammen und schien nicht einmal zu spüren, wie die Hitze seine Haut versengte. Erst nach etlichen Sekunden ballte er die Hand ruckartig zur Faust und zog sie zurück.
»Ich wollte, es wäre so. Aber das ist nicht die Wahrheit. Ich wollte dich verkaufen, um mich selbst von diesem Fluch zu befreien, aber nicht einmal das ist mir gelungen. Vielleicht, weil ich es nicht wirklich wollte. Um ehrlich zu sein: Ich war froh, als der Verkauf scheiterte.«
»Weshalb er wohl auch misslungen ist«, vermutete Robin.
»Ja«, sagte Omar. »Ich hätte dich niemals Arslan ausgehändigt, und wenn er hunderttausend Denar geboten hätte. Eher ertrage ich für den Rest meines Lebens den Zorn der Assassinen.«
»Aber warum habt Ihr mir das nie gesagt?«, fragte Robin.
»Weil ich es nicht wusste«, antwortete Omar. »Ich musste erst hierher kommen, an diesen einsamsten aller Orte, mitten ins Herz der glühendsten Wüste, um zu begreifen, dass ich die gleiche Wüste in mir getragen habe und du allein die Macht hast, sie in einen blühenden Garten zu verwandeln.«
»Das habe ich nicht, Omar«, sagte Robin fast sanft. Sie schüttelte den Kopf, als er widersprechen wollte. »Ich bin nicht das, wofür Ihr mich haltet. Ich bin nur ein einfaches Mädchen, nicht von hoher Geburt, weder reich noch gebildet. Was ich dem Johanniter gesagt habe, war die Wahrheit.«
»Welchen Unterschied macht das?«, erwiderte Omar. Er kam einen halben Schritt näher und verharrte mitten in der Bewegung, als er sah, wie Robin erschrocken zusammenzuckte. »Ich schwöre dir, ich werde für dich mein Leben ändern. Ich werde sicher nie ein Heiliger werden und kann nicht auf Vergebung für das hoffen, was ich getan habe, aber was in meiner Macht steht, werde ich tun. Ich habe es bereits veranlasst. Unsere Reise führt uns nicht nach Damaskus, wie alle glauben. Wir reiten direkt nach Bagdad. Der Kalif selbst hat mir gestattet, dort das Geschäft des Seidenhandels zu führen. Erinnerst du dich an die Taube, die mir in unserer letzten Nacht in Hama eine Nachricht gebracht hat?«
Robin nickte.
»Es war die Antwort des Kalifen. Der Seidenhandel ist ein Geschäft, das jeden, der es gut führt, in wenigen Jahren so reich wie einen Sultan machen kann. Fast so reich wie einen Sklavenhändler.«
»Ihr würdet damit nicht leben können«, sagte Robin. Ihre Stimme zitterte. Sie gestattete sich nicht, darüber nachzudenken, warum.
Omar wischte ihr Argument mit einer unwilligen Bewegung zur Seite. »Ich werde niemals wieder mit Sklaven handeln«, versprach er. »Wenn du es wünschst, werde ich allen Sklaven, die sich noch in meinem Besitz befinden, die Freiheit schenken. Ich werde noch mehr tun. Wenn du mich erhörst und mich zum Manne nimmst, dann verspreche ich, an jedem Jahrestag unserer Hochzeit einhundert Sklaven auf dem Markt zu kaufen, um ihnen die Freiheit zu schenken.«
Diese sonderbare Liebeserklärung traf Robin wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass ein Mann so etwas zu ihr sagte, und sie war vollkommen verwirrt.
»Ihr wollt mich mit einem Märchen beeindrucken, Omar Khalid?«, fragte sie. »Und mit Versprechen, ohne Beweise?«
»Die Geschichte von Hisham und Melikae ist kein Märchen«, antwortete Omar. »Komm.«
Mit widerstreitenden Gefühlen - sie war gleichermaßen verwirrt wie von einer sonderbaren Erregung ergriffen - folgte sie Omar aus dem ummauerten Geviert heraus. Sie gingen nicht zu den anderen zurück, sondern in einen noch weiter abseits gelegenen, zur Wüste hin offenen Teil der Festungsruine. Die Nacht machte es schwer, genau zu erkennen, wo der sandfarbene Stein aufhörte und die gleichfarbene Wüste begann. Sie hörte ein feines, wisperndes Rascheln, das nur das Geräusch der Sandkörner war, die der kaum spürbare, aber eisige Wind aneinander rieb; in ihrer Fantasie wurde es jedoch zum Flüstern längst vergangener Stimmen, die Geschichten erzählten und ein vielleicht vor Jahrhunderten erloschenes Lachen an ihr Ohr trugen. Sie folgte Omar in größerem Abstand, als nötig gewesen wäre, als könnte sie sich auf diese Weise Klarheit über ihre Gefühle verschaffen.
Schließlich blieb Omar stehen und hob seine Fackel ein wenig höher. Sofort griff der Wind nach den Flammen und spielte mit ihrem Licht, sodass ringsum Bewegung entstand und mit ihr die Illusion von Leben zurückkehrte. Er schien noch etwas zu suchen und auch Robin sah sich neugierig um. Unter ihren Füßen war jetzt Sand, kein Stein mehr; überall ragten die Reste zerborstener Säulen hervor, erhoben sich kniehohe, fast regelmäßig geformte Mauerreste, deren Kanten von Wind und Jahreszeiten rund geschliffen worden waren. Und dann hatte Omar gefunden, wonach er gesucht hatte.
Er ging noch einige Schritte, blieb dann stehen und begann, mit dem Fuß den Sand zur Seite zu scharren. Es war nur eine dünne, vergängliche Schicht, unter der ein nahezu unversehrter Mosaikfußboden zum Vorschein kam, der eine Jagdszene zeigte. Omar winkte sie heran und bedeutete ihr wortlos, sich seine Entdeckung genauer anzusehen. Seine Augen leuchteten vor Besitzerstolz, als sie es tat.
Nach einigen Minuten ehrfürchtigen Staunens führte Omar sie weiter durch die einst blühenden Gärten von Qasr al-Hir al-Gharbi, die den Kampf gegen die Wüste schon vor langer Zeit verloren hatten. Sie bewegten sich immer noch schweigend, als fürchtete Omar, diesen heiligen Ort durch den Klang seiner Stimme zu entweihen. Schließlich erreichten sie einen gut doppelt mannshohen Felsbrocken. An dieser von der Natur geschaffenen Mauer wuchs - geschützt vor Wüstenwind und Sand - ein Busch.