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Bevor sie antwortete, sah Saila sich rasch nach allen Seiten um, als hätte sie Angst, dass jemand ihre Worte hören konnte. »Diese Rose«, sagte sie. »Woher kommt sie? Wer hat sie dorthin gelegt?« Sie sog hörbar die Luft ein. »Sie... sie stammt doch nicht von Melikaes Rosenbusch, oder?«

Statt zu antworten, betrachtete Robin sich die einzelne Rose genauer. Jemand musste sie sorgsam dort in den Sand gelegt haben, wie eine Blüte, die ein liebender Gatte seiner Frau morgens im Schlaf auf das Kopfkissen bettet; sogar sämtliche Dornen waren vom Stängel entfernt worden. Wieder dachte sie an Omar, und plötzlich war sie nicht mehr ganz sicher, dass er sein Versprechen tatsächlich halten und sie freilassen würde, sobald sie Palmyra erreichten. Sonderbarerweise empfand sie bei diesem Gedanken keinen Zorn, nicht einmal Enttäuschung.

»Verflucht sei der Narr, der diese Rose gebrochen hat«, sagte Saila. »Er beschwört Unglück auf uns alle herab.«

»Aber es ist doch nur eine Blume«, sagte Robin.

»Dies ist ein besonderer Ort«, beharrte Saila. »In der Wüste, und ganz besonders an einem Ort wie diesem, haben die Dschinn große Macht. Niemand, der sie bestiehlt, kann ihrem Zorn entgehen - ganz gleich, ob es nun ein Edelstein oder nur eine Rose ist. Wer immer das getan hat, ist ein Narr, oder er sucht den Tod.«

In diesem Moment tauchte Nemeth hinter ihr auf, die eine Schale mit kaltem Hirsebrei und etwas Wasser brachte. Als sie Robin das kärgliche Frühstück reichte, fiel auch ihr Blick auf die Rose, aber sie erschrak nicht, sondern betrachtete sie nur stirnrunzelnd. Sie fragte sich offenbar, wo diese Blume hier, mitten in der Wüste, herkam. Robin griff jedoch rasch nach der Blume und verbarg sie unter ihrem Gewand.

Mit einem vorwurfsvollen Blick stand Saila rasch auf, rief ihre Tochter und entfernte sich. Robin sah ihr verstört hinterher und ertappte sich dabei, wie ihre Hand wie von selbst nach der Stelle tastete, an der sie die unscheinbare Blume unter ihre Kleider geschoben hatte. Es war ein sonderbares Gefühl. Wohl ahnte sie, dass diese Liebesgabe eher Unglück als Glück bringen musste, und dennoch... sie hatte noch nie ein solches Geschenk bekommen. Nicht einmal von Salim.

Schuldbewusst verjagte sie auch diesen Gedanken und konzentrierte sich für die nächsten Minuten ganz auf ihr kärgliches Frühstück. Bis sie fertig war, waren sämtliche Kamele ringsum - einschließlich ihres eigenen, um das sich Saila und Nemeth kümmerten - beladen und bereit zum Aufbruch, und endlich sah sie auch Omar. Der Sklavenhändler eilte mit schnellen Schritten auf sie zu. Aber er schien sie gar nicht zu bemerken, sondern blickte starr an ihr vorbei und marschierte mit offensichtlichem Zorn auf Harun zu, der als Einziger im Lager noch immer schlief. Omar weckte ihn mit einem Fußtritt, der einen normalen Mann zur Seite geschleudert hätte, Harun aber nur zu einem Grunzen und einer unwilligen Bewegung im Schlaf veranlasste. Erst als Omar ihm einen zweiten und noch unsanfteren Tritt versetzte, schlug er widerwillig die Augen auf und blinzelte verschlafen zu dem Sklavenhändler hoch.

»Ist das Frühstück schon fertig?«, fragte er.

»Wir brechen auf«, knurrte Omar. »Du kannst aber auch gern hier bleiben. Vielleicht kommt ja ein Dschinn vorbei und lädt dich zu einem Festmahl ein.«

Harun blinzelte noch verwirrter, und Omar drehte sich auf der Stelle herum und marschierte wieder davon. Auch jetzt vermied er es fast zwanghaft, in ihre Richtung zu sehen.

In aller Eile verließ die Karawane die Ruinenstadt. Robin fand nicht einmal mehr die Zeit, ihre Schale mit Sand auszuwaschen, wie es unterwegs üblich war, sondern verstaute sie hastig in den Satteltaschen des Kamels und stieg in den Sattel. Sie ritt jetzt nicht mehr auf die sonderbare Weise, die Harun ihr am ersten Tag beigebracht hatte, sondern saß wie ein Mann im Sattel.

Als sie durch das Tor kamen, durch das sie am vergangenen Abend diesen verwunschenen Ort aufgesucht hatten, sah sie sich noch einmal um. Harun war noch damit beschäftigt, sein Kamel zu beladen, aber auch er hatte es sichtbar eilig. Mit einiger Mühe würde er die Karawane sicher wieder einholen. Robin war erleichtert. Der übergewichtige Araber war ihr - auch wenn sie ihn nicht gerade als Freund bezeichnen würde - in den letzten Tagen mehr und mehr ans Herz gewachsen. Man wurde bescheiden, wenn man kaum mehr Menschen um sich wusste, denen man vertrauen konnte.

Gerade als Robin sich ernsthafte Sorgen um ihn zu machen begann, tauchte Harun auf seinem Kamel unter dem Tor auf. Er hatte sich umgezogen. Statt albern wie ein herausgeputzter Papagei saß er nun, vollkommen in Schwarz gekleidet, im Sattel seines Kameles. Mit seiner hofnarrenhaften Aufmachung schien auch jegliches linkische Gehabe von ihm abgefallen zu sein. Robin konnte sich nicht daran erinnern, Harun al Dhin jemals so selbstverständlich und in perfekter Haltung auf seinem Kamel sitzen gesehen zu haben. Obwohl er ein gutes Stück zurücklag, holte er doch schnell auf und wurde erst langsamer, als er das Ende der Karawane erreicht hatte. Auch dann noch ließ er sein Tier ein wenig schneller traben als die anderen, sodass er allmählich wieder an ihre Seite gelangte. Ein sonderbar spöttisches Lächeln lag auf seinem Gesicht, als er an ihr vorbeiritt und dann - wortlos - seinen angestammten Platz zwei Kamellängen vor ihr wieder einnahm.

Der Rest des Vormittages verlief ereignislos. Sie bewegten sich weiter in einer Richtung, von der Robin längst nicht mehr wusste, ob sie Süden oder Norden, Osten oder Westen war. Ohnehin war es ganz egal, in welche Richtung man sah, der Anblick war überall gleich: Gewellte, regelmäßige Sanddünen von rötlichbrauner Farbe, aus denen nur hier und da ein verwitterter Felsen aus bröckelndem Stein ragte, und eine Sonne, die mit jedem Moment erbarmungsloser von einem wolkenlosen Himmel herabbrannte.

Sie waren etwa zwei Stunden geritten, als Omar den Befehl gab, abzusteigen und die Tiere am Zügel zu nehmen. Innerlich seufzte Robin tief - der einzige Einwand, den sie sich gestattete. Das Gehen in diesem glühend heißen, fast staubfeinen Sand, der beständig unter ihren Füßen nachgab und zur Seite rutschte, war ungemein anstrengend. Man ermüdete auf diese Weise viel schneller, und der Sand war tückisch; manchmal geriet eine ganze Düne einfach ins Rutschen und floss wie Wasser unter den Füßen hinweg. Robin war durchaus nicht die Einzige, die gelegentlich um ihr Gleichgewicht kämpfen musste oder auch stürzte. Dennoch billigte sie Omars Entscheidung ohne jedes weitere Murren.

Sie mussten die Kräfte der Kamele schonen, selbst wenn sie ihre eigenen dabei über die Maßen strapazierten. Omar hatte ihr zwar versichert, dass die Assassinen sie unmöglich bis hierher verfolgen würden, aber die Karawane musste dennoch so schnell wie möglich aus dieser Wüste heraus. Anderthalb Tage noch bis Palmyra, hatte er gesagt. Das klang nach wenig, aber anderthalb Tage in dieser Hölle, das waren anderthalb Ewigkeiten.

Als die Sonne senkrecht am Himmel stand, legten sie eine kurze Rast ein. Sie hatten einen lang gezogenen Wüstenkamm erreicht, von dem aus der Blick ungehindert über viele Meilen in die ewig gleich bleibende Einöde reichte, und Robin wunderte sich ein bisschen, dass sie hier oben lagerten, statt unten im Dünental. Dann wurde ihr klar, dass es keinen Unterschied machte. Es gab ja nichts, um sich vor der Sonnenglut zu verstecken. Dort unten im Tal zwischen den Sanddünen war es genauso unerträglich heiß wie hier oben.

Sie sah sich nach Nemeth um, weil sie nicht allein sein wollte, aber das Mädchen und seine Mutter hatten sich ein gutes Stück von ihr entfernt in den Sand gesetzt. Sie musste Sailas Gesicht nicht einmal sehen, um zu wissen, dass das kein Zufall war. Dass sie es sich mit der Araberin abermals verdorben hatte, schmerzte Robin. In den letzten Tagen hatte sich ein noch scheues, aber spürbares Vertrauensverhältnis zwischen ihnen entwickelt, das nun schon wieder zerstört war. Robin verstand nicht so recht, warum. Außerdem fragte sie sich, warum Omar ihr versichert hatte, er sei der Einzige, der das Geheimnis des Busches kannte, dieses lebendige Symbol der großen Liebe zwischen Melikae und Hisham - wo sogar Saila darum wusste.