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Als sie sich dem Sandsteinfelsen bis auf eine Meile genähert hatten, drehte sie sich noch einmal halb im Sattel herum und sah zurück. Sie erschrak. Der Sturm hatte sie fast erreicht. Vielmehr die massive Wand, die die Wüste und den Horizont sowie einen Teil des Himmels verschlungen hatte und langsam hinter ihnen heranrollte. Der Himmel darüber war schwarz, längst nicht mehr graubraun, und sie glaubte, dünne, verästelte Blitze darin zucken zu sehen. Sie hörte ein unheimliches Grollen und Dröhnen, nicht das Geräusch eines Sturmes, sondern einen Laut, der an berstende Steine oder ein einstürzendes Gebirge erinnerte. In den stampfenden Rhythmus der Kamelhufe, der ihre Zähne schmerzhaft aufeinander schlagen ließ, hatte sich ein dumpfes Vibrieren und Zittern gemischt, als erbebe die Erde selbst unter der Wut dieses Höllensturmes.

Das Ende der Karawane war nicht mehr zu sehen. Die ehemals dicht geschlossene Kette war weit auseinander gefallen, und dort, wo die letzten zwei oder drei Tiere sein sollten, rollte eine brüllende braunrote Masse, die genau in diesem Augenblick einen weiteren Reiter verschlang.

»Schneller!«, brüllte Harun neben ihr. »Bei Allah, reite schneller, Mädchen, oder du bist verloren!«

Der Wind, das Donnern der Kamelhufe und die erschrockenen Schreie der verängstigten Männer verschluckten seine Worte nahezu. Selbst wenn sie es versucht hätte - sie hätte gar nicht schneller reiten können. Das Kamel griff bereits so rasch aus, wie es überhaupt möglich war, und Robin brauchte ihre ganze Kraft und Geschicklichkeit, um sich im Sattel zu halten, der mittlerweile ruckartig hin und her schwankte. Irgendwie brachte sie die Kraft auf, den Kopf zu drehen und nach Nemeth und ihrer Mutter zu sehen. Ihr Kamel befand sich nur wenige Schritte schräg hinter ihr - aber es fiel schon merklich zurück. Das Gewicht zweier Reiter, und sei der Unterschied noch so gering, begann sich bemerkbar zu machen. Robin schrie deshalb Saila verzweifelt zu, was Harun gerade ihr herübergerufen hatte, doch die Worte wurden ihr von den Lippen gerissen, noch bevor sie selbst sie hören konnte.

Verzweifelt starrte sie die Felswand an. Sie war jetzt ganz nahe, vielleicht noch hundertfünfzig, zweihundert Schritte entfernt, wenige Augenblicke nur bei dem rasenden Trab, in den die Kamele verfallen waren. Die ersten Männer hatten den Schutz des verwitterten gelb-braunen Sandsteins bereits erreicht, zwangen ihre Kamele zu Boden oder sprangen aus den Sätteln, noch bevor die Tiere ganz angehalten hatten, um sich im Schutz ihrer Körper zusammenzukauern. Ein paar der Lastkamele rannten blindlings weiter, halb wahnsinnig vor Furcht, und etliche der Reittiere mussten mit Gewalt dazu gezwungen werden, anzuhalten. Robin beobachtete voller Entsetzen, wie einer von Mussas Söldnern sein Schwert zog und seinem Tier die Sehnen an den Hinterläufen durchhackte, damit es zusammenbrach. Harun, der neben ihr ritt, schrie und gestikulierte wieder in ihre Richtung, ohne dass Robin etwas verstehen konnte. Er saß weit nach vorne gebeugt im Kamelsattel, und sie hatte das sichere Gefühl, dass sein Tier noch wesentlich schneller hätte laufen können, wenn er es nur zugelassen hätte.

Der Verzweiflung nahe, drehte sie noch einmal den Kopf, um nach Saila und Nemeth zu sehen. Sie vollendete die Bewegung genau in dem Moment, als die brüllende braunrote Wand hinter ihr das Kamel der beiden verschlang. Und noch bevor ihr auch nur die Zeit geblieben wäre, einen Entsetzensschrei hervorzustoßen, hatte der Sturm auch sie eingeholt.

Dann ging die Welt unter.

Später, als alles vorbei war, sollte sie begreifen, dass sie nur von einem schwachen Ausläufer des Sandsturmes gestreift worden waren. Doch schon diese bloße Vorahnung der wirklichen Kraft des Khamsin reichte, um ihr die schlimmsten Augenblicke ihres bisherigen Lebens zu bescheren.

Einen Sekundenbruchteil auf den anderen wurde es dunkel um sie herum, finsterer und lichtloser als in der schwärzesten Nacht, nur dass diese Dunkelheit nicht schwarz, sondern rot war und aus reiner tobender Bewegung bestand. Sie konnte nicht mehr atmen. Sand hieb ihr wie eine Faust ins Gesicht, verstopfte ihre Nasenlöcher, drang zwischen ihre zusammengepressten Zähne, fand binnen eines einzigen Augenblickes jeden noch so winzigen Spalt in ihrer Kleidung. Ihre Augen waren verklebt und brannten von dem staubfeinen, heißen Sand und zu dem heftigen Schaukeln des Kameles unter ihr gesellte sich eine zweite, noch viel stärkere Kraft, die wütend an ihr zerrte. Sie wollte schreien, aber hätte sie die Lippen auch nur einen Spalt breit geöffnet, wäre sie auf der Stelle von dem Sand um sie herum erstickt worden.

Robin benutzte die Zügel schon lange nicht mehr, um das Tier zu lenken, sondern klammerte sich nur noch mit verzweifelter Kraft daran fest und betete, dass das Kamel von selbst seinen Weg in den Schutz der Felswand finden würde. Weder sie noch der Himmel, noch irgendetwas rings um sie herum waren zu sehen. In dem tobenden dunkelroten Chaos konnte sie kaum noch den Hals des Kamels erkennen, und alles, was sie noch zu hören vermochte, war ein ungeheures tiefes Grollen und Dröhnen, die Stimme des Sturms, die in ihren Ohren zum wütenden Zorngebrüll der Dschinn anschwoll, vor denen Saila so viel Angst hatte. Hätte sie die Rose noch gehabt, sie hätte sie weggeworfen, um sie der Wüste zurückzugeben.

Mit einem Mal strauchelte ihr Kamel, ein besonders heftiger Ruck brachte Robin endgültig aus dem Gleichgewicht und sie stürzte fast zwei Meter tief in den Sand hinab. Etwas Riesiges, Bedrohliches huschte rechts an ihr vorbei und schien wie die Hand eines Giganten nach ihr zu schlagen, verfehlte sie um Haaresbreite, und sie ahnte mehr, als dass sie sah, wie ihr Kamel noch zwei, drei Schritte weiter lief und dann erschöpft zu Boden sank. Blindlings, ohne zu wissen, was sie tat, kroch Robin auf Händen und Knien zu dem Tier hin und rollte sich in der Deckung seines Körpers zu einem Ball zusammen.

Irgendwie fand sie der Wind noch immer. Ihre Kehle war mit Sand gefüllt. Sie musste ununterbrochen husten und jeder Atemzug bereitete ihr Höllenqualen. Sie hatte entsetzlichen Durst, aber sie wagte es nicht, auch nur die Hand zu heben, um nach dem Wasserschlauch am Sattel des Kamels zu greifen. Robin wusste nicht, wie lange es dauerte. Vermutlich nur wenige Minuten, doch sie dehnten sich für sie zu einer Ewigkeit. Irgendwann jedoch war es vorbei, und das Ende kam so unvermittelt und schnell, wie der Sturm sie verschlungen hatte. Ein letztes gewaltiges Aufheulen der tobenden Dschinn, die Omar mit seiner Freveltat entfesselt hatte, und plötzlich war der Himmel wieder strahlend blau und die Luft beinahe windstill. Die gigantische rotbraune Mauer, hinter der die Welt einfach aufhörte, befand sich plötzlich jenseits der Karawane und entfernte sich scheinbar so behäbig, wie sie gekommen war.

Als Robin sich hochstemmte und sich den Sand aus den Augen wischte, bot sich ihr ein Anblick des Schreckens. Was noch von der Karawane übrig war, war weit auseinander gerissen und willkürlich verstreut worden. Männer und Tiere lagen im Sand oder irrten ziellos umher. Der Großteil ihrer Ausrüstung war auf einen Bereich von sicherlich mehr als einer Meile im Durchmesser verstreut, soweit er nicht ganz verschwunden war. Sie bemerkte mindestens zwei von Mussas Männern, die reglos am Fuße der Felswand lagen, wo sie der Sturm gepackt und einfach gegen den Stein geschleudert hatte, dazu noch drei oder vier Kamele, die verletzt waren und vor Schmerz blökten. Es war unmöglich zu sagen, wie viele Opfer der Sturm wirklich gefordert hatte, aber es waren unzählige.

Jemand berührte sie an der Schulter. Robin fuhr mit einem unterdrückten Schrei herum. Es war Omar, dessen Kleider in Fetzen hingen und dessen Gesicht blutüberströmt war. »Bist du verletzt?«, stieß er hervor. »Ist dir etwas geschehen?«